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Kolumne HerbstzeitlosGroßstadtglück und Fluglärm

Zu Besuch in einem Berliner Schrebergarten. Und das auch noch mit guter Verkehrsanbindung dank ständig vorbeifliegender Flugzeuge.

Eine Kleingartenanlage in Berlin, aufgenommen aus einem Flugzeug Foto: dpa

D ie einen nennen es Urban Gardening, die anderen Schrebergarten. Eine Kollegin nennt ihr Stück kleines Glück inmitten der Großstadt schlicht „Garten“ und hatte neulich zu einem Besuch in selbigem eingeladen. Mit ihrer Lebensgefährtin betreut sie seit Jahren die grüne Parzelle im Herzen Berlins, und . . .

16.00 Uhr. STUTTGART. AB 655.

. . . ich wundere mich, dass die beiden noch nicht verhaftet wurden.

16.04 UHR. TALLIN. BET 202.

Nicht etwa weil die beiden gleichgeschlechtlich Liebende sind und die Gewalt gegen Homosexuelle allgemein zunimmt, sondern weil die beiden ganz offensichtlich aus der Reihe tanzen mit ihrem Bepflanzungskonzept.

16.05 Uhr. München LH 2041.

Während die Kollegin in der kleinen, zum Garten gehörigen Hütte einen Espresso braut, schweift der Blick auf Nachbars Garten zur Linken: Messerscharfe Rasenkanten und verkrüppelte, da zu Tode beschnittene Obstbäume. Eine Carporttrennwand wurde installiert, um den Pollenflug von rechts abzuwehren. Und auf der Terrasse stapeln sich die neuesten Gadgets aus dem nahe gelegenen Baumarkt.

16.10 Uhr. BERN. SX 211.

Als der Blick zum Nachbarn auf der Rechten schweift: Symetrisch angeordnete Waschbetonplatten, militärisch straff organisierte Zierrabatten und Koniferen in preußischer Hab­achtstellung. Ganz anders bei der geschätzten Kollegin und ihrer Frau: Hier explodiert die Streuobstwiese und die Waschbären tanzen Tango. Hier summen die Bienchen um den wilden Majoran . . .

16.15. HELSINKI. AB 8076.

…und der rotädrige Sauerampfer feiert fröhliche Urstände. Die Natur, so scheint es, ist hier völlig außer Kontrolle geraten. Und das . . .

16.25 UHR. BASTIA. 4 U 8432.

. . . kann ja wohl nicht im Sinne des Erfinders sein: Schließlich folgt die Handhabung der Natur in einem deutschen Schrebergarten deutschen Gesetzen. Unkraut ist Unkraut und keine Leitkultur . . .

16.35 UHR. DÜSSELDORF. EW 9043.

. . . und wer Gegenteiliges behauptet . . .

16.40 UHR. PARIS CDG. AB 8296.

. . . gefährdet den Gartenfrieden. In deutschen Schrebergärten nämlich ist das Verhältnis von Nutz- und Zierpflanzen streng geregelt. Hier allerdings . . .

16.45 UHR. LONDON LHR. BA 985

. . . herrscht die reinste Anarchie. Sicherlich aus Gründen allgemeinem Widerstands gegen die Staatsgewalt?

16.45 UHR. FRANKFURT. LH 195

„Ach nein“, winkt die Kollegin ab und schenkt den Espresso ein, „wir sind nur von dem Fluglärm so zermürbt, dass wir es einfach . . .

16.50 UHR. MÜNCHEN. LH 2043.

. . . nicht mehr schaffen . . .

16.50 UHR. LONDON CITY AIRPORT. BA 8494.

. . . herzukommen“.

Krass, wenn der Schrebergarten in der Abflugschneise des Flughafens Tegel liegt.

17.00 UHR. STOCKHOLM ARN. AB 8006.

Da kann man auf Dauer zur Terroristin werden. Besonders, weil der Lärm die Nachbarn links und rechts gar nicht zu stören scheint.

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Martin Reichert
Redakteur taz.am Wochenende
* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien
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1 Kommentar

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  • Puh, ja und dann kommt das neue Luftverkehrskonzept von unserem Netzminister .... keine Lösung.in Sicht - jedenfalls für die anderen Flughäfen. In Tegel gibts ja immerhin die Aussicht auf ein Ende irgendwann.

    Wenn du aber ein Haus in Hennef hast, wie meine Freundin, genau in der Einflugschneise von CGN (Köln/Bonn) und die Berge rechts und links den Schall schön bündeln und es kein Nachtflugverbot gibt, dann siehst du das mit den in Aussicht gestellten steuerlichen Anreizen zur Stabilisierung des Gwinne der Gesellschaften (Abschaffung der Fluggaststeuer, Beibehaltung der Steuerfreiheit beim Flugtreibstoff) nur noch lethargisch.

     

    Jedes Engeagement in Bürgerinitiativen gegen Fluglärm ist zusätzlich verpulverte Kraft.

     

    Und auch hier sind die NAchbarn weitgehend wie beschrieben.

    Auf dem RASEN müssen alle Halme mit dem Motormäher alle drei bis vier Tage auf gleiche Höhe gebracht werden.

    Nicht dass da einer den Kopf rausstreckt

    Der Weg um den Swimmingpool muss jede Woche mit dem Kärcher "frisch" geputzt werden .

    was stören da die Flugzeuge?