Kolumne Henningway: Religion Rugby
Die Neuseeländer lieben den Körperkontaktsport, ihr Nationalteam ist Kult. Show oder Selbstdarstellung sind den Insulanern aber fremd.
D ie Deutschen lieben Neuseeland. Was spricht sie an? Die Einsamkeit? Die kargen Berge, das Gletscherige, die knolligfaltigen Hügel? Oder doch die Millionen Milchkühe, die streckenweise die Schafe ersetzt zu haben scheinen? Individuell im Kollektiv wird das sehnsüchtig Geliebte wortwörtlich erfahren. Im gemieteten Camper.
Die Rundfahrt auf der Südinsel, wo die Deutschen temporär so gern zu Hause sind, ergibt sich aus zwei möglichen Routen: So rum. Oder so rum. Ich sitze im Pub und verfolge die ersten Spiele von „Super Rugby“. Das spricht mich an. Doch wenn es eine Reise gibt, die fehlgeplant ist, dann ist es meine. Ich bin im Land des Rugbys, aber die Saison hat noch nicht angefangen.
Die Ozeanier unterteilen ihren Sport in Sommer- und Wintersport. Rugby ist der Sport in Neuseeland, und den spielen sie in ihrem Winter. Nur „Super Rugby“, die Profiliga, die fünf neuseeländische mit Teams aus Australien, Südafrika, Argentinien und Japan vereint (und die nicht von einer Fluggesellschaft gesponsert wird), ist aus kommerziellen Gründen schon angelaufen.
Von den 4,8 Millionen Einwohnern Neuseelands spielen rund 150.000 Rugby, vermehrt auch Mädchen und Frauen. Rugby ist Religion hier, sagen sie. Auf jeden Fall ist es wichtig für die Identität, merke ich. Ich imaginiere den Tag im März herbei, an dem die Leute aus dem Dorf die Pfosten und Stangen der Rugbytore auf den Feldern, die im Sommer von Cricket bespielt werden, gemeinsam aufrichten.
Supermarke „All Blacks“
Ein symbolischer Kulturakt, als ob wir einem baskischen Volksfest beiwohnen würden, phantasiere ich. Nein, so ist das nicht, sagt mir Tony, der Chef des Rugbyverbandes der Region Canterbury, wir stellen einfach die Pfosten auf, damit die Saison beginnen kann. In Neuseeland sprechen die Leute die Dinge so aus, wie sie sind. Show oder übertriebene Selbstdarstellung sind ihnen fremd.
Warum Neuseeland im Rugby so gut ist? Wir haben sehr gute Trainer und gute Wettbewerbe, erklärt mir recht lakonisch Richard vom Sportministerium, und wir haben ein klares Ziel, auf das sich alle einigen können und das für uns zentral wichtig ist: die „All Blacks“. Die „All Blacks“, das Nationalteam der Männer, hat als erste Mannschaft der Welt zweimal in Folge, 2011 und 2015, den World Cup geholt. In diesem Herbst findet dieses Turnier in Japan statt. Wer ist wohl Favorit?
Die „All Blacks“ stehen für: tollen, super erfolgreichen Teamsport; für charismatische Spieler; und für knorrige wie kluge Trainerfüchse. Andererseits sind sie: Sportmarke in einer globalen Welt; mit US-amerikanischer Versicherung als Trikotsponsor; mit multimedial verwertbarem Tanz, den sie vor jedem Spiel aufführen, den Haka.
Damit dieses Produkt so erfolgreich laufen kann, haben die Neuseeländer sich etwas ausgedacht. Wer „All Black“ sein will, muss in einem der fünf neuseeländischen Clubs spielen. Obwohl im Ausland, 24 Flugstunden weg, in Frankreich, England, oder auch in Japan, für die Stars das Vielfache zu verdienen wäre.
Im Grunde genommen leben die Neuseeländer im Rugby ein von oben gelenktes Staatssystem und wahren sich bewusst Isolation als Wettbewerbsvorteil: Alle Spieler der Profivereine werden direkt vom Verband bezahlt und sind das ganze Jahr hindurch in der Obhut der All-Blacks-Coaches.
Im Pub spielen auf fünf TV-Geräten die Chiefs aus Hamilton im „Super Rugby“ gegen die Sunwolves aus Japan. Niemand außer mir schaut zu. Ein „Local“ bestellt ein Pint und spricht mich an: „Überall diese Deutschen! Was zum Teufel macht ihr alle hier?“ Bevor ich antworten kann, schiebt er nach: „Euer Bier schmeckt doch viel besser.“
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