Kolumne Helden der Bewegung: Man spricht Landserdeutsch
Die Eintracht lacht, Jens Lehmann hat einen Job und ein Kneipenwirt packt aus: Warum Martin Hinteregger das Augsburger Lustspiel für sich entschied.
B esonders viel Spaß macht gerade der FC Augsburg. Also außer man ist Augsburg-Fan. Aber davon gibt es ja nicht gerade übertrieben viele. Es ist wie ein Molière-Stück: Es gibt keine sympathischen Protagonisten, nur Träger von Eitelkeiten und Selbstüberschätzungen; es ist kein echtes Drama, dafür ist es nicht existenziell genug, es ist eher eine Art Lustspiel, ohne das einer bella figura machen darf.
Lobenswerterweise hat sich Augsburg schon zu Beginn der Saison um Fallhöhe bemüht: der beste Saisonstart seit Beginn der Aufzeichnungen, dramatische Momente wie bei der 4:3-Auswärtsniederlage in Dortmund, und dann der Einbruch, bis hinunter auf Platz 15, mit 15 Punkten zur Winterpause. Zum Rückrundenauftakt verliert Augsburg dann mit 0:2 in Mönchengladbach, es ist das zehnte Spiel ohne Sieg, und dann beginnt das schöne Stück, das keine Helden kennt, nur Clowns.
Nach dem Spiel tritt Martin Hinteregger vor die Mikrofone, voller Leidenschaft, Emotion, Kompromisslosigkeit, und spricht: „Man sieht, dass wir noch tiefer im Sumpf stecken, da geht gar nichts. Wir betteln ums Gegentor. Das ganze Jahr 2018 ist die Kurve nach unten gegangen.“
Und angesprochen auf den Trainer, entschließt er sich zu einer Valentin'schen Wendung, schon was sagen hätte mögen zu wollen, aber sich nicht getraut gedurft zu haben: „Ich kann nichts Positives über ihn sagen und werde auch nichts Negatives sagen.“ Bloß eines hatte er hinsichtlich des Spieles noch hinzuzufügen: „Ich weiß selber nicht so genau, was heute unsere Taktik war.“
Manuel Baum, Trainer beim FC Augsburg, versuchte zwar noch, die hohen Wellen durch ein eigenes absolut indiskutables Interview einzudämmen, indem er den Schiedsrichter beschimpfte; da brannte der Baum, könnte man sagen, aber es half nichts. Martin Hinteregger, bester Innenverteidiger einer an guten Innenverteidigern nicht gerade gesegneten Defensive, zog sich den Unmut der Verantwortlichen zu.
Jens Lehmann als Co-Trainer engagiert
In schönstem Landserdeutsch ließ Geschäftsführer Stefan Reuter hören, alle müssten in die gleiche Richtung marschieren, und Martin Hinteregger könne sich ebenso einen neuen Verein suchen wie Caiuby, der seinen Weihnachtsurlaub um 22 Tage verlängerte und damit mein persönlicher Held der Arbeit dieses Jahr ist.
Martin Hinteregger tat indes wie ihm geheißen und heuerte bei Eintracht Frankfurt an, sehr zum Ärger der Augsburger Fans: Da sagt einer mal, was Sache ist, und dann wird er einfach abgesägt, so der Tenor. Wer soll denn nun hinten die ersten hohen Bälle gewinnen? Auch als Stefan Reuter insinuierte, Martin Hinteregger habe diesen Eklat bewusst heraufbeschworen, um eine Freigabe zu bekommen, wurde ihm nur vereinzelt geglaubt; dann polterte ein Augsburger Kneipenwirt auf Facebook drauflos, Martin Hinteregger habe schon im Dezember in seiner Kneipe davon erzählt, er lerne jetzt Russisch, weil er den Verein auf jeden Fall im Winter verlassen wolle, eigentlich egal wohin.
Bei Stefan Reuter seinerseits liegt der Verdacht nahe, das die Rechte nicht weiß, was die Linke tut: Während er Martin Hinteregger strafte, weil er den Trainer in Frage stellte, demontiert er andernhands seinen Trainer selbst, indem er Jens Lehmann als Co-Trainer engagiert; ein wegen seiner Zurückhaltung und Bescheidenheit berühmter Mann mit keinerlei Verbindungen zur Presse, der sich in der Vergangenheit immer und vorbehaltlos damit begnügt hat, ruhig und zuverlässig im zweiten Glied zu stehen, wenn man es von ihm verlangt. „Im Moment habe ich keine Ambitionen, Cheftrainer zu werden, weil ich jetzt hier Co-Trainer bin.“ Im Moment also. Die Frage wird man ihm jedes Wochenende stellen können. Augsburg hat sich einen Floh in den Pelz gesetzt.
Martin Hinteregger hat gegen Leipzig ein überragendes Spiel gezeigt, Augsburg macht ein ordentliches Spiel gegen Bremen und verliert trotzdem 4:0. Es bleibt unterhaltsam, und es wird noch unterhaltsamer, sobald Hannover seine Serie starten wird.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott