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Kolumne Gott und die WeltDemokratischer Hemmschuh

Kolumne
von Micha Brumlik

Doppelte Staatsbürgerschaft und türkischer Wahlkampf im Ausland: Doppelstaatler haben mehr Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen.

Auf der Internationalen Tourismusbörse stehen die deutsche und die türkische Flagge auch in schweren Zeiten in schöner Eintracht nebeneinander Foto: dpa

D ie Ausfälle des türkischen Präsidenten Erdoğan gegen die Bundesrepublik lenken die Aufmerksamkeit auf eine Frage, die längst beantwortet schien: das Problem doppelter Staatsbürgerschaften. Als 1998 der hessische Ministerpräsident Koch seine Wahlkampagne mit einer Unterschriftenaktion gegen doppelte Staatsbürgerschaften aufrüstete, war es im weitesten Sinn „links“, dafür zu sein.

Das Motiv war und ist integrationspolitisch: Sollten doch Menschen nicht vor die schmerzhafte Alternative gestellt werden, bei Annahme eines neuen Lebensmittelpunkts entweder ihre alte Identität aufgeben zu müssen oder Bürger zweiter Klasse zu sein. Entsprechend hatte die rot-grüne Bundesregierung doppelte Staatsbürgerschaften gesetzlich zugelassen.

Neuerdings stellen jedoch philosophische Deuter der globalisierten Migration – etwa der Kanadier Joseph ­Carens – die Frage, ob nicht das Vererben der elterlichen Staatsbürgerschaft im Zielland der Migration unzeitgemäße feudale Züge trägt: Rechte und Privilegien werden ohne jede Leistung vererbt. Weltgesellschaftlich hat das zudem die Konsequenz, dass Doppelstaatler mehr Chancen auf Einflussnahme gesellschaftlicher Entwicklungen haben als „Einfachstaatler“.

Durch Telekommunikation und Flugverkehr sind Bevölkerungszentren näher aneinandergerückt. Die Übertragung innenpolitischer Debatten ist ohne Zeitverlust ins Ausland möglich; um die damit verbundenen Fragen geht es in der Debatte um die Wahlkampfauftritte türkischer Minister in Deutschland. Vor 100 Jahren wäre derlei aus technischen Gründen unmöglich gewesen: Wahlkämpfe in Italien hätten nicht gleichzeitig in New York ausgetragen werden können.

Veletzung der deutschen Souveränität?

Verletzen also Wahlkampfauftritte ausländischer Politiker am Ende die deutsche Souveränität? Oder stellen sie nicht umgekehrt einen durchaus wünschenswerten Beitrag zur faktischen politischen Vollendung der Weltgesellschaft dar? 1795 publizierte Immanuel Kant seine Schrift „Zum ewigen Frieden.“ Darin zeigt Kant, dass die Utopie eines Weltfriedens – wenn überhaupt – sich in einer Globalgemeinschaft von Republiken verwirklichen lässt; Republiken aber sind durch Rechtsstaatlichkeit gekennzeichnet.

Dass dies gegenwärtig in der Türkei eindeutig nicht der Fall ist, muss hier nicht weiter entfaltet werden. Dann aber folgt aus der kantischen Überlegung, dass Auftritte von türkischen Regierungsmitgliedern in Deutschland ein Hemmschuh auf dem Weg zu einer demokratischen Weltgesellschaft darstellen. Wenigstens das: Es ist in der Tat nicht einzusehen, warum die Bundesrepublik sich hierbei zurückhaltender gibt als die österreichische Regierung.

Darüber hinaus gilt es aber, über die Problematik mehrfacher Staatsbürgerschaften nachzudenken: Die deutsche Staatsbürgerschaft soll jede Person, die auf dem Territorium der Bundesrepublik geboren ist oder sich nach klaren Verfahren hat einbürgern lassen, erhalten; wer eine zusätzliche Staatsbürgerschaft erwirbt, verwirkt damit seine deutsche Staatsbürgerschaft.

Dabei geht es nicht darum, dass die deutsche Staatsbürgerschaft besser ist als andere, sondern lediglich darum, die durch mehrfache Staatsbürgerschaften ermöglichte Wahlbeteiligung anderswo und somit eine Beeinträchtigung weltbürgerlicher Zustände zu verhindern. Das Argument, doppelte Staatsbürgerschaften erleichterten die Integration kann darüber vernachlässigt werden; denn es funktioniert so nicht.

Indes: Frankreich zeigt, dass die rechtliche Zuerkennung einer Staatsbürgerschaft ohne entsprechende integrationspolitische Maßnahmen lediglich zu noch mehr Konflikten führt.

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3 Kommentare

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  • Eine solidarische "Weltgesellschaft" und gleichberechtigte "Globalgemeinschaft" kann nicht im Kapitalismus (- und Imperialismus) realisiert werden. Dafür bedarf es die Beseitigung des Kapitalismus, weltweit.

     

    Nur auf Grundlage des Gemeineigentums an den gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsmitteln kann eine solidarische Weltgesellschaft (- Globalgemeinschat) realisiert werden!

     

    Es bedarf hierfür (demokratisches) Gemeineigentum an Grund und Boden, Rohstoffen und Bodenschätzen, Luft und Wasser, Tier -Natur- und Pflanzenwelt.

     

    Auf der Grundlage des Gemeineigentums die Schaffung einer qualitativen sozial-ökonomisch-ökologischen Kreislaufwirtschaft, weltweit.

     

    Einen anderen Weg zur nachhaltigen Lösung der anstehenden Menschheitsprobleme gibt es nicht!

  • Meine Hochachtung für diesen Artikel.

     

    Ja, in den 90ern und den 2000ern wurde die doppelte Staatsbürgerschaft und die deutsche Staatsangehörigkeit für in Deutschland geborene Kinder als Allheilmittel der Integrationspolitik gehalten.Damals wurde Frankreich als Vorbild gehandelt.

     

    Heute kann man sagen, dass Frankreich eher mehr Konflikte als Deutschland hat. Die Schweiz, die mit Einbürgerungen sehr restriktiv umgehen, hat keinesfalls mehr Probleme, sondern tendenziell weniger. Die Erfahrungen gerade mit Türken in Deutschland zeigen, dass doppelte Staatsangehörigkeiten und erleichterte Einbürgerung nichts gelöst haben. Dem Autor ist zuzustimmen: die rechtliche Zuerkennung einer Staatsbürgerschaft ohne entsprechende integrationspolitische Maßnahmen schafft mehr Probleme.

     

    Wenn die Türken in Deutschland überwiegend gegen Erdogan stimmen würden, hätte niemand ein Problem doppelten Staatsangehörigkeiten. Insofern ist der entscheidende Teil nicht die doppelte Staatangehörigkeit, sondern die fehlende Integrationsleistung.

     

    Es müssten die Hürden für die deutsche Staatsangehörigkeit steigen. Deutsche/r zu werden muss mehr bedeuten, als gute Sprachkenntnisse zu erwerben. Wer in Deutschland wirklich angekommen ist, der kann ansonsten Staatsangehörigkeiten sammeln. Es gäbe kaum einen Grund, dieses Recht einzuschränken.

  • Gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und doppelte Rückversicherung!

     

    Nur Beharrlichkeit der eigenen Persönlichkeit führt zum Erfolg gesellschaftlicher Integration und dabei auch ohne Selbstaufgabe.

     

    Als mein deutscher Verwandter gegen Ende der 1960er Jahre nach Australien auswanderte, da beherrschte er nicht die Sprache. Als Bau-Facharbeiter musste er sich zur Auswahl auf einem Arbeitskräftemarkt den einheimischen australischen Unternehmern stellen. So kam er anfangs in der australischen Steppe zum Straßenbau. Die Straßenbaustelle befand sich rund fünfhundert Kilometer von der nächsten Stadt entfernt. Vor Ort gab es in der Hauptsache nur tägliche fachpraktische Arbeit. Alle vier Wochen folgte zum Ausgleich ein Transport von Mitarbeitern per Flugzeug zur nächst größeren Stadt.

     

    Nachdem sich im Laufe der Jahre seine Arbeits- und Lebenssituation verbesserte gründete er zusammen mit seiner Lebenspartnerin eine Familie. Er qualifizierte sich auf der Grundlage seines in Westdeutschland erlernten Berufes weiter und übernahm zusätzlich wichtige gesellschaftliche Funktionen.

     

    Er wurde australischer Staatsbürger und beherrscht heute umfassend die Sprache. Auch wurden seine ausgezeichneten beruflichen Qualifikationen handschriftlich von ihm in der Landessprache verfasst.

     

    Noch bis in die 1970er Jahre hatte er gegen die tiefsitzenden Vorurteile bei den einheimischen Australiern [europäischer Herkunft] wegen seiner deutschen Herkunft zu kämpfen. Aber im Laufe der Jahre konnte er sich durchsetzen und wurde mit großer Mehrheit auch in gesellschaftliche Funktionen der Interessenvertretung des Landes gewählt.

     

    So gelingt vorbildliche Integration -ohne opportunistische Verbiegungen- gegen alle (unberechtigten) Vorurteile und (künstlichen) Barrieren.