Kolumne German Angst: Schaut mal im Osten vorbei
Unsere Autorin verlässt Sachsen-Anhalt und wird so Teil des Problems: Zu viele Demokrat*innen ziehen weg. Dabei sollten wir die Aktiven nicht allein lassen.
Nach zweijährigem Gastarbeiter-Intermezzo verlasse ich Sachsen-Anhalt. Und werde Teil eines grundsätzlichen Problems – nämlich dem, wegzugehen, einer entleerten Stadtgesellschaft das zu entreißen, was sie am dringendsten braucht: Menschen mit Anspruch an die Gesellschaft. Zum Abschluss ein paar Episoden.
Die AfD in Sachsen-Anhalt bestimmt längst den parlamentarischen Diskurs mit beziehungsweise zerstört ihn. 2016 zog sie mit 24 Prozent in den Landtag ein. Geredet wird darüber kaum. Was hat es für Konsequenzen für demokratische Strukturen? Bildungseinrichtungen? Initiativen? Und was passiert in eineinhalb Jahren? Wer bringt sich ein, wenn die Jungen und vor allem die Frauen weggehen?
Ausgerechnet diejenigen, die in Leipzig oder Berlin die Stadtgesellschaft lebendig machen. Und sie hinterlassen Leere – es fehlt vor allem an Austausch und Debatte. Während der Bundestagswahl erzählte mir ein SPD-Kandidat, der allein neben einem AfD-Pulk ausharrte, wie seine Wahlpost verschwunden sei und er sie nun selbst austrage, begleitet von einem radikalen Rechten mit Fotoapparat. Er sagte: Wählen Sie irgendwas, Hauptsache, demokratisch. Die Erinnerung an die Bombardierung Dessaus 1945 ist Sache der extremen Rechten (Randnotiz: Dessau war Produktionsort von Zyklon B).
Wünsche für Dessau
Gegen die Nazis steht ein Stadtfest der demokratischen Parteien. Wie in Görlitz, wo es die Allparteienallianz braucht, um einen AfD-Oberbürgermeister zu verhindern. Aber kann das funktionieren? Was wünschst du dir für Dessau, fragte eine Kollegin eine 19-Jährige. Geschäfte, die nach 19 Uhr offen haben, ein Café, in dem man abends sitzen kann, sagte sie. Was für Wünsche in einer Stadt mit 82.000 Einwohner*innen und einer Hochschule. Nach dem Todesfall in Köthen 2018 mobilisierten die Rechten erfolgreich. Die Hochschule Anhalt empfahl ihren internationalen Studierenden, die Stadt „großzügig zu meiden“. Während der Innenminister die Bevölkerung aufforderte, ihre Rollläden zu schließen, als Zeichen dafür, „dass man die nicht sehen will“.
Tage später fanden sich Regionalpolitiker zusammen, die knappe und richtige Worte fanden. Sie sprachen von Rechtsterrorismus und davon, wie „wir Demokraten“ „uns“ Straße und Parlament nicht nehmen lassen dürfen. Die Angst, dass die Rechten ihnen den Bürgermeisterstuhl unterm Arsch anzünden, stand ihnen im Gesicht. Trotzdem CDU und AfD offiziell nicht kooperieren, hielt die CDU den Rechten im Landtag den Steigbügel, zum Beispiel bei der Einsetzung der „Enquetekommission Linksextremismus“. Ohne Linksextreme zielt die allein auf die Zivilgesellschaft.
Zum Schluss: Respekt vor all den aktiven Leuten, die sich seit Jahren – und mit Erfolgen – abmühen, Orte und Situation zu schaffen, die Menschen zusammenbringen und interessieren. Und es wegstecken, wenn die hyperaktiven Gastarbeiter*innen ein, zwei Jahre klugscheißen über die Möglichkeiten der entleerten Infrastruktur – bevor sie wieder weg sind. Darum: Fahrt nach Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, zu Lesungen und Workshops, auf Konzerte, in die Kneipen. Unterstützt die Strukturen, solange es sie noch gibt, seid einfach mal dort.
Leser*innenkommentare
Duckunwech
Wieder nur ein Besserwisserartikel aus der hauptstädtischen Filterblase. 3/4 der afd-Wähler wohnen im Westen.
98589 (Profil gelöscht)
Gast
Danke, Frau Vogel.
Ich tue dies schon seit Jahren. Es ist immer eine Bereicherung.
Erweitert den Blickwinkel und den Horizont!