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Kolumne German AngstRhetorischer Schießbefehl

Sonja Vogel
Kolumne
von Sonja Vogel

Im bundesdeutschen Diskurs sind die Waffen für den Bürgerkrieg bereitgelegt – insbesondere die der Entmenschlichung von Geflüchteten.

Die Mitte ruft, die Nazis sind schon da: beschlagnahmte Waffen und Propagandamaterial Foto: dpa

Asyltourismus“, „Abschiebeindustrie“, „Menschenfracht“ – im atemberaubendem Tempo schreitet die rhetorische sowie die Entmenschlichung in Taten voran. 63 Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht. Eine Lösung für die Migrationskrise gibt es nicht. Fakt ist, dass kaum ein Staat mehr Menschen in Not aufnehmen will, nicht die EU-Staaten und auch die afrikanischen Staaten wollen die Zurückgeschickten nicht mehr – koste es auch ihr Leben.

Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus, Menschen nicht mehr wie Menschen zu behandeln? Es hat sich gezeigt, wie schnell das geht: aus Menschen mit universellen Rechten wurden Kriminelle, deren Rechte beschnitten wurden und schließlich eine namenlose Armee, die auf das eigene Territorium eindringt und mit allen Mitteln ferngehalten gehört – egal wie, ersoffen im Mittelmeer, elendig gestorben in Kriegs-, wirtschaftlichen und ökologischen Katastrophen-Regionen oder aber im Niemandsland der Transitrouten, irgendwo an den Rändern unserer Welt.

„Bis zur letzten Patrone“, rief Horst Seehofer 2011, werde man sich „gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren“. Damals hagelte es noch Anzeigen. Heute schreckt das niemanden mehr. Seehofer ist Innenminister. Die Rhetorik von menschenverachtender und aufwieglerischer Hetze bis zum Bruch internationalen Rechts: längst normal. Nur über die Mittel der Durchsetzung gibt es noch etwas Streit: Grenze dicht? Schießbefehl? – Man muss nicht nach Ungarn, nach Italien oder Österreich schauen, um zu verstehen wie nah wir dem sind. Die einstudierte Rhetorik trifft in dieser Regierung auf die Realität, denn wie sollen Grenzen undurchdringlich werden, wenn nicht durch Gewalt?

Rainer Wendt für Gauland

Jahrelang schon wird in Deutschland von einem Bürgerkrieg phantasiert, von einer Invasion, davon, dass die Deutschen sich wehren müssten, vom bewaffneten Kampf gegen Einwanderung – zunächst von der rechten Flanke, dann von der Mitte der Gesellschaft und schließlich von Amtsträgern. Rainer Wendt etwa, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, schnitzt fleißig an dem Eindruck eines Bürgerkriegs, gegen den der Rechtsstaat machtlos sei. „Was wird aus unserem Land, wenn geduldet wird, dass Menschen einreisen, (…) schreckliche Verbrechen begehen und trotzdem frei herumlaufen, offensichtlich jederzeit bereit, erneut zuzuschlagen?“ Übersetzt von Alexander Gauland: „Ein Staat, ein Volk muss sich auch selbst behaupten. Wenn man das aufgibt, gibt man den Staat auf. Wir landen im Bürgerkrieg, wenn wir nicht aufpassen.“

Ganz nebenbei wird so den Flüchtlingen einmal mehr der Grund ihrer Flucht abgesprochen. Denn Krieg, den haben wir eben auch in Deutschland. „Asylkrieg gegen Deutschland“ oder die neue rhetorische Wunderwaffe „Krieg gegen Frauen“ – gemeint ist natürlich die deutsche Frau und entsprechend der Lehrliteratur des 20. Jahrhunderts: ein Krieg gegen den Nukleus des deutschen Volkes. Schlimmer geht es nicht – und näher an der völkischen Idee auch nicht, denn das ist der absolute Krieg, „molekular“ und „innergesellschaftlich“.

Und im Krieg, da ist alles erlaubt. Rhetorisch sind wir bereits an diesem Punkt.

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Sonja Vogel
tazzwei-Redakteurin
Vollzeitautorin und Teilzeitverlegerin, Gender- und Osteuropawissenschaftlerin.
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7 Kommentare

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  • 9G
    9076 (Profil gelöscht)

    Die Menschenverachtung findet sich nicht nur in der Rhetorik wieder, sondern leider auch in ekelerregender Weise im selbstgerechten Glauben, dass "Wir" in keinster Weise etwas mit Fluchtursachen zu tun.

     

    Wo kommen die seltenen Erden der Handys her, unser Benzin, ein Großteil der Textilien? Und und und....

    • 9G
      9076 (Profil gelöscht)
      @9076 (Profil gelöscht):

      ....zu tun haben.

  • Will man Menschen, wie Menschen, behandeln, dann muss man sich von Schwarz-Weiss-Denken verabschieden. Flüchtlinge zu idealisieren, als Opfer, ist genauso falsch, wie sie zu demonisieren, als Täter. Es sind einfach nur Menschen und Menschen sind nunmal nicht perfekt.

     

    Ein Syrer der seine Heimat verlassen hat und nach Deutschland gereist ist, ist Kriegsflüchtling, weil er aufgrund des Krieges seine Heimat verlassen hat. Zugleich ist er Wirtschaftsflüchtling, weil er ein besseres Leben, als in türkischen, jordanischen und libanesischen Flüchtlingscamps, sucht.

     

    Das Problem an der ganzen sog. Flüchtlingskrise ist, dass es nur um Extreme gibt: Alle wilkommen heißen oder alle abschieben. Zuerst war das eine Extrem und nun folgt eben das Andere.

     

    Das Ziel müsste es sein die Mitte zu finden. Z. B. in dem man Entwicklungspolitik betreibt, indem man den Flüchtlingen die Möglichkeit gibt ein paar Jahre zu arbeiten und zu lernen, um anschließend mit Wissen und Geld erhobenem Hauptes nach Hause zurückkehren zu können. Das könnte auch der Wirtschaft zugute kommen, denn wenn ein (Ex-) Flüchtling in seiner Zeit in Deutschland einen Beruf gelernt hat, Geld für einen Betrieb sparen konnte und somit die Chance hat, in seiner Heimat erfolgreich zu sein , kann er sich am Ende vll. auch ein deutsches Auto leisten.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @rujex:

      ..."Flüchtlinge zu idealisieren" ist bereits sog "Schwarz-Weiss-Denken".

      Menschen sind Menschen und bleiben Menschen.

      Ob sie nun einen sog. "Anspruch auf Asyl" haben oder nicht, es sind immer noch Menschen.

      Wenn jemand hier arbeiten will, weil in seinem Geburtsland keine Zukunft hat, was spricht dagegen, dass er hier arbeitet?

      Nichts.

      • @81331 (Profil gelöscht):

        Was spricht dagegen, dass hier irgendjemand aus irgendeinem Land hier in Deutschland arbeitet und lebt, wenn er die nötige Qualifikation mitbringt? Gar nix.

         

        Es spricht durchaus etwas dagegen, dass Deutschland diesem jemand diese Qualifikation erst noch finanzieren soll. Der Wille allein - sorry - reicht net.

  • Wie das mit dem "bis zur letzten Patrone" dann konkret am Ende ausgeht, wissen wir ja aus historischer Erfahrung... Die kann man sich dann nämlich nach dem Ende des nationalistischen Rauschs selber durch den Kopf jagen, weil man zu feige für den unweigerlich folgenden Kater ist.

  • Leider haben Sie mit allem recht und leider wird es noch viel schlimmer...