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Kolumne German AngstWir nennen es „Israelkritik“

Sonja Vogel
Kolumne
von Sonja Vogel

Feuer auf eine Synagoge – kein Antisemitismus. Anschlag auf einen jüdischen Supermarkt – kein Antisemitismus. Die deutsche Logik ist relativierend.

Alltag in Deutschland: Polizei vor der jüdischen Joseph-Carlebach-Schule in Hamburg. Bild: dpa

V or einer Woche trieben etwa 300 Anhänger des Schweizer Fußballclubs FC Luzern einen als orthodoxen Juden verkleideten St.-Gallen-Anhänger durch die Straßen. Das war aber symbolisch gemeint, karnevalistisch eben und – selbstverständlich! – nicht antisemitisch. Versteht denn keiner mehr Spaß?, fragten die Fans.

Ein bisschen erinnerte die Szene an den Film „Borat“. Sacha Baron Cohen stellt darin die Tradition des „Judenrennens“ vor: Das Volk jagt eine nach dem antisemitischen Klischee gefertigte Pappmachéfigur. Das ist tatsächlich komisch, weil eine Überzeichnung der abstrusen Welt des europäischen Antisemitismus. Doch ohne den Perspektivwechsel ist die St. Gallener Szene nur eine Jagd. Nicht lustig.

Zumal es zuletzt in Europa einige antisemitische Mordanschläge gab: Toulouse, Burgas, Brüssel, Paris, Kopenhagen. Und Attacken nehmen auch in Deutschland zu. Die Jüdische Gemeinde Berlin verschickt ihre Zeitung nur noch im neutralen Umschlag – zum Schutz ihrer Mitglieder. Dazu passt die Empfehlung, besser auf die Kippa zu verzichten. Juden sind in Deutschland bedroht? Nicht, wenn man sie nicht erkennt.

Die Bezeichnung ungenannt

Geht es noch zynischer? Ja. In Deutschland nämlich wird der Antisemitismus relativiert. Etwa nach dem antisemitischen Attentat auf den Supermarkt in Paris. Hier sprach man von Geiseln, ganz so, als habe der Täter etwas erpressen wollen, oder verbrämt von „einem“, manchmal einem „koscheren“ Supermarkt und schaffte so das Kunststück, das Attentat, bei dem vier Menschen sterben mussten, weil sie Juden waren, nicht antisemitisch zu nennen.

Und während in Frankreich, Belgien und Dänemark die Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Einrichtungen verschärft wurden, verteilt die deutsche Justiz Freifahrtscheine für AntisemitInnen.

Im Sommer flogen Brandsätze auf die Wuppertaler Synagoge. Das Gericht aber konnte beim besten Willen keinen Antisemitismus erkennen; die Attentäter hätten auf den Gazakrieg aufmerksam machen wollen. Wir nennen das Israelkritik: jüdische Gotteshäuser anzünden und so. Keine Kerze, sondern gleich ein Feuer für den Frieden. Und dann das unfassbare Urteil in München, nachdem ein Antisemit nur ist, wer sich positiv auf den NS bezieht.

Erfolgreiches Verdrängen

Irgendwie ist es da nur konsequent, dass die Antisemitismus-Kommission des Innenministeriums gleich ganz auf einen jüdischen Experten verzichtet. Warum auch nicht? Der moderne Antisemitismus braucht schließlich auch keine Juden! „Kritiker sind entsetzt“, kommentierte Spon die Entscheidung. Und ein Kollege schrieb auf Facebook in etwa: Was regen sich alle so auf? An der Wannsee-Konferenz hatte ja auch kein Jude teilnehmen dürfen.

Zynisch, ja. Aber was bleibt einem bei dieser Ignoranz gegen die antisemitische Realität, dem Auseinanderdriften zwischen dem radikalen Hass gegen Jüdinnen und Juden und dem grotesken Drang der Institutionen, selbst Anschläge zur Symbolpolitik umzudeuten. Es scheint ganz so, als hätte die deutsche Öffentlichkeit erfolgreich verdrängt, dass es die vergangenen 200 Jahre gegeben hat.

Update: In einer früheren Version dieses Beitrags hieß es fälschlichweise, St. Gallener Fans hätten einen Fan des FC Luzern gejagt. Es verhielt sich jedoch genau anders herum.

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Sonja Vogel
tazzwei-Redakteurin
Vollzeitautorin und Teilzeitverlegerin, Gender- und Osteuropawissenschaftlerin.
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33 Kommentare

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  • "Deutsche Logik" ! ... uahhhch )-:

    Was soll das den sein? Wir in der taz wieder einmal aus der Mottenkiste des Völkischen das Teutschen-Gen hervor gezaubert?

     

    Und ... ist "deutsche" Logik nun besonders schlau oder grottig schlecht? Und ganz wichtig ... ist Sonja Vogel "deutsch" und was sagt das über ihre Logik aus?

    • @Arcy Shtoink:

      Hier geht es nicht um Genetik, aber um gesellschaftliche Tendenzen. Man sollte Texte mitunter interpretieren können, sonst macht man es am Ende wie die Kreationisten.

  • Zahlen antisemitische Straftaten 2014:

    Gesamt 864

    Gewaltdelikte 25

    Körperverletzung 0

     

    Zahlen antisemitische Straftaten 2013:

    Gesamt 788

    Gewaltdelikte 32

    Körperverletzung 0

     

    Zahlen rechtsextreme Straftaten 2013:

    Gesamt 16557

    Gewaltdelikte 801

    Körperverletzung 704

     

    Quellen:

    > Deutscher Bundestag

    > Verfassungsschutzbereicht 2013

  • Gesinnungsstrafrecht

    Die Nazis haben dieses z.B. in den Mordparagraphen eingeführt, was die Wahrer der deutschen demoktratischen Republik namens BRD nicht daran hindert, dieses weiter auszubreiten. Dass die Richter nun eine Gesinnung den Tätern unterstellen, die nicht strafbewehrt ist, ist dann die einzige Möglichkeit, dem Gesinnungsstrafrecht Einhalt zu gebieten und ist politisch in diesem Fall eine Verharmlosung der antisemitischen Übergriffe. Das Strafrecht sollte alos von allen Gesinnungsparagraphen gereinigt werden, um Attentäter gerechter be- und verurteilen zu können.

    Auch wenn Israel die Ausgeburt des europäischen und vor allem deutschen Antisemitismus ist wie Amerika die Europas, sollte man dennoch der Gleichsetzung von militanter Kritik an Israels Okkupationspolitik und Antisemitismus versuchen entgegenzuwirken, weil ein Anschlag auf eine Synagoge in Deutschland ein Anschlag auf Deutsche ist, die jüdischen Glaubens sind und hat mit Antizionismus eigentlich nichts zu tun. Diese Gleichsetzung von Israel und Juden in anderen Ländern ist übel, oder wollen wir das mit Russen jetzt auch so machen? Oder mit Türken, oder beliebig anderen Migranten und sprachlichen oder nationalen Minderheiten?

  • zur "antisemitischen Realität" hätte ich noch dieses

    http://www.vice.com/de/video/ich-bin-mit-einer-kippa-durch-berlin-gelaufen-732?utm_source=vicefb

    zu bieten.

    • @christine rölke-sommer:

      Außerdem: Wer weiß schon, ob das Paris-Video nicht inszeniert ist? Stellste einfach ein paar Kumpels an die Straßenecke, die Dich blöd anlabern.

       

      Medienkompetenz, liebe Leutz! Ganz wichtig im Internetzeitalter.

  • Als antisemitisch gilt u.a. "Die Behauptung einer Kollektivverantwortung der Jüdinnen und Juden gegenüber der Politik des Staates Israel"

    (Arbeitsdefinition der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC); 2008 v. dt. Bundestag für die Arbeit staatlicher Behörden empfohlen)

     

    Und jetzt würde ich gerne einmal die Urteilsbegründung zum Anschlag auf die Wuppertaler Synagoge lesen.

    • @jhwh:

      mehr, liebes tetragramm, als das, was epd dazu schrieb, gibt es nicht. es sei denn, das urteil wurde nicht rechtskräftig. so viel zum lesen-wollen der urteilsbegründung.

       

      was die eumc-definition anbelangt: wollen wir deren tauglichkeit ernstlich diskutieren? ich fürchte, das wird tränen geben.

      • @christine rölke-sommer:

        ... da wäre ich gar nicht so sicher.

         

        Mir ist wichtiger, daß wir uns einig sind, daß unsere Mitbürger jüdischen Glaubens nicht für die Politik Israels in Sippenhaft zu nehmen sind. Beim Strafmaß für diese armen Lichter aus Wuppertal komme ich Ihnen dann gerne entgegen. So würde sich unser Dissenz darauf beschränken, daß ich die Tat weiterhin antisemitisch nenne.

        • @jhwh:

          wer möchte schon gern in sippenhaft genommen werden?

          ich tät mal sagen: da geht es juden wie palästinensern.... die haben beide ständig damit zu tun, sich dieser oder jener kollektiv-ver-haft-barmach-ung zu erwehren. und sie sind nicht die einzigen....

          so gesehen können wir uns tatsächlich schnell darauf einigen, dass sippen-ver-haft-barmach-ung nicht sein soll.

           

          dies als ausgangspunkt genommen ist die frage, ob wir hier (oder andere anderswo) nicht vielleicht endlich einen anderen begriff dafür finden sollten, wenn palästinenser mollis auf eine synagoge in 'schland (oder anderswo) werfen. schließlich sollten deutsche (oder andere) palästinenser nicht für der deutschen ihre reichspogromnacht in sippenhaft nehmen, oder?

  • wär da nicht dies unterschwellige strafbedürfnis in kolummniat+kommentariat, wär's nur saukomisch zu nennen: da gibt es ein strafverfahren gegen drei palästinenser wg. versuchter schwerer brandstiftung, aber nachdem die drei geständig und außerdem angedeutet, dass es politisch wohl etwas verwickelter sein könnte, interessiert sich bis auf epd http://www.ekir.de/www/service/brandanschlag-18574.php die versammelte presse einen scheißendreck für die urteilsverkündung. sie bleibt weg - obwohl doch zuvor dieser brandanschlag noch zu einem der bedeutendsten vorkommnisse im protest gegen den gazakrieg erklärt worden war. stattdessen wird die dürre dpa-meldung übernommen....

    und je nach gusto erweitert. von leutz, wo die urteilsbegründung, v.a.die ausführungen zum strafmaß mit eigenen ohren nicht gehört hatten.

    diese kolummne ist ein beispiel für's eigene gusto.

    und da hört dann saukomisch auf.

    denn fast könnt' man meinen, eine gewisse enttäuschung darüber zu lesen, dass die drei molli-werfer nicht kurzerhand erschossen wurden.

    welches strafbedürfnis bricht sich da bahn? welches strafbedürfnis hätte frau Vogel gern an drei palästinensern exekutiert gesehen? stellvertretnd für wessen taten?

     

    ich für meinen teil bin froh, dass richterinnen nicht jeden anti-deutschen und sonstwie symbol-politischen verschiebebahnhof mitmachen. sondern die richterliche unabhängigkeit dazu nutzen, eigene zielführende gedanken in tat- und schuldangemessene strafurteile umzusetzen.

    • @christine rölke-sommer:

      Das nenne ich mal ein klares Bekenntnis

    • @christine rölke-sommer:

      Sie sollten da besser zwischen den eigeenn Phantasieen und den Aussagen trefefn können, schon im Interesse Ihres Kundenkreises.

       

      Es wurde denn auch nur auf die mit dem Brandflascheneinsatz für die Täter zu gegenwätigenden Gefahren hingewiesen. Da kann eben durchaus terrorhysteriebedingt die Wachpolizei schon mal sehr massiv mit Zwangsmitteln einschreiten.

       

      Und bei Angriffen auf Menschen gehört der SWG zur zweckmäßigen und Gebotenen Gefahrenabwehr.

       

      Nicht mehr, nicht weniger.

  • Israelkritik- Ich frage mich, warum sich Deutsche da nicht der Enthaltung bedienen, oder muss da jeder auf jeder Hochzeit tanzen ? Als Moralwächter ist Deutschland nun mal angekratzt.

  • Richtig und wichtig!

     

    Antisemitismus ist Antisemitismus, auch wenn sich der moderne Antisemit lieber als Antizionist oder, noch eleganter, Israelkritiker titulieren lässt.

     

    Aber Judenhasser, bleibt Judenhasser, egal welches Etikett auf der Verpackung klebt.

    • @Oma Kruse:

      Das ist richtig.

      Nur, wann darf man dann Israelische Politik kritisieren?

       

      Oder darf man es niemals machen? Das kann keine Lösung sein.

       

      Ich denke, es kommt darauf an was kritisiert wird, wie und in welchen Zusammenhang.

       

      Ich kann mir nicht vorstellen, z.B. einfach alles was Herr Netanyahu verbockt unkommentiert zu lassen. Und das hat mit SEIN Person und SEINE Regierung zu tun. Das sind Menschen, die machen (wie ich auch) Fehler usw. usw.

       

      Wenn Frau Merkel von ein Griechische Arbeitslose beschimpft wird, ist das Anti-Deutsch? Hängt davon ab was er sagt, wie und in welchen Zusammenhang........

      • @anton philips:

        "Nur, wann darf man dann Israelische Politik kritisieren?"

         

        Wäre ich "Radio Eriwan", würde ich jetzt antworten: "Im Prinzip ja. Man darf kritisieren. Nur muss man sich auch dann die Krititk gefallen lassen, dass die sog. Israelkritik aufgrund von Einseitigkeit und einer gewissen Zwanghaftigkeit durchaus antisemitische Tendenzen aufweist oder antisemitisch motiviert sein kann. Dieses Schwarz-Weiß-Denken (Israel = böser Besatzer und Palästinenser = arme Unterdrückte) ist zu plump.

  • In Deutschland wird nicht nur der Antisemitismus relativiert, sondern aus der Rassismus und die institutionelle Diskriminierung von Ausländern durch die Polizei und die Justiz! Die Entnazifizierung der Justiz wurde ja nicht umsonst 1951 von der LPD (heute FDP) und der CDU bewusst gestoppt!

  • Was ihr "bleibt […] bei dieser Ignoranz gegen die antisemitische Realität, dem Auseinanderdriften zwischen dem radikalen Hass gegen Jüdinnen und Juden und dem grotesken Drang der Institutionen, selbst Anschläge zur Symbolpolitik umzudeuten", fragt Sonja Vogel, und versucht gleich drauf ihren eigenen Zynismus mit der Dummheit und Brutalität Anderer zu rechtfertigen.

     

    Fürs erste könnte sie damit beginnen, der allgemeinen Begriffsverwirrung nicht auch noch Vorschub zu leisten. Antijudaismus, Antisemitismus, Isrealkritik - für Sonja Vogel ist das alles eins. Aber wenn schon eine Frau wie Sonja Vogel, die als Journalistin und "Teilzeitverlegerin" zu leben versucht von Worten, Unterschied erkennen will, brauchts sie sich nicht zu wundern, dass St-Gallen-Hools, deutsche Juristen und die Antisemitismus-Kommission des Innenministeriums sich nicht mehr Mühe geben bei der korrekten Ausdruckswahl.

     

    Wer Antijudaisten, Antisemiten und Isrealkritiker mit Kritikern der israelischen Regierung umstandslos zu einem dicken braunen Brei verrührt, der macht ein großes Problem noch größer als es ohnehin schon ist. Die Verlockung, sich in seinem Zynismus häuslich einzurichten, wird dadurch jedenfalls nicht kleiner. Es wird nur leichter, sie öffentlich zu rechtfertigen.

     

    Was aber den angeblichen Gipfel des (fremden) Zynismus angeht, einen koscheren Supermarktes als koscheren Supermarkt zu bezeichnen, sollte sich Frau Vogel vielleicht überlegen, ob es einen zum Christen macht, wenn man einen Altar anschaut oder zum Grünen-Wähler, wenn man im Ökoladen kauft. Dass auch Leute, die am Sabbat, Schabbat oder Schabbes arbeiten, im koscheren Supermarkt einkaufen oder gar verkaufen könnten, kommt ihr offenbar nicht in den Sinn.

    • @mowgli:

      "Antijudaismus, Antisemitismus, Isrealkritik - für Sonja Vogel ist das alles eins. "

       

      Antijudaismus ist ein Synonym für Antisemitismus bzw. umgekehrt. Antisemitismus ist der gängige Begriff, auch wenn viele Judenhasser immer wieder darauf hinweisen, dass Juden keine Semiten sind und auch Araber Semiten sind, bla bla bla.

      Israelkritik ist an sich nicht antisemitisch, doch in den meisten Fällen sind die Kritiker antisemitisch motiviert. Und das ist immer dann der Fall, wenn an Israel bzw. seiner Politik Doppelstandards angelegt werden oder aber man sich an derselben Politik, wenn sie von anderen Ländern ausgeübt wird, nicht stört. Jeder Aufruf, israelische Waren, Wissenschaften und Kultur zu boykottieren ist Antisemitismus pur, denn dieselben Leute, die zum Boykott Israels aufrufen, weil beispielsweise die Palästinenser so leiden müssten, stören sich in keinster Weise daran, dass die Chinesen die Tibeter und auch die Chinesen selbst unterdrücken.

    • @mowgli:

      "Was aber den angeblichen Gipfel des (fremden) Zynismus angeht, einen koscheren Supermarktes als koscheren Supermarkt zu bezeichnen, sollte sich Frau Vogel vielleicht überlegen, ob es einen zum Christen macht, wenn man einen Altar anschaut oder zum Grünen-Wähler, wenn man im Ökoladen kauft. Dass auch Leute, die am Sabbat, Schabbat oder Schabbes arbeiten, im koscheren Supermarkt einkaufen oder gar verkaufen könnten, kommt ihr offenbar nicht in den Sinn."

      Das ist wie der Rest des Beitrages hübsch verklausuliert. Vielleicht habe ich aber auch etwas nicht richtig verstanden.

      Ich denke, wir sind uns einig, dass das Ziel des Mörders im Fall des koscheren Supermarktes in Paris eindeutig Juden waren - ob da nun Juden gerade einkauften, oder auch ein Nichtjude im Laden war. Und natürlich wird man vom Kauf eines koscheren Käses kein Jude. Das spielte und spielt jedoch keine Rolle. Fakt ist doch: hier wurde nicht IRGENDEIN Laden ausgesucht, sondern ein ganz bestimmtes Target, eines, hinter dem der Mörder ein "jüdisches" Target vermutete. Das sich darin auch Nichtjuden befinden könnten kam ihm nicht in den Sinn, und vielleicht denken solche Leute ja auch "mitgefangen, mitgehangen".

      Who knows.

      • @Berto Rand:

        Wenn Sie meinen, mein Beitrag sei "hübsch verklausuliert", ist es durchaus möglich, dass Sie "etwas nicht richtig verstanden“ haben. Mir schien er jedenfalls klar und plausibel zu sein, sonst hätte ich ihn gar nicht abgeschickt.

         

        Nachdem der Supermarkt-Attentäter erschossen worden ist, kann man ihn leider nicht mehr fragen, ob sein "Ziel […] eindeutig Juden waren", ob er es, wie im Fall der Redaktion zuvor, auf Leute abgesehen hat, die gleichzeitig exponiert und schutzlos waren, oder ob er einfach noch mal ein Massaker anrichten wollte, bevor er ins Gras beißt. Immerhin war die Polizei ihm bereits auf den Fersen. Der Supermarkt samt Inhalt wäre in dem Fall nicht akribisch und mit Blick auf sein "Anderssein" ausgesucht worden, sondern zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.

         

        Sie sollten sich hüten, hier das Gerichtsverfahren ersetzen zu wollen, das nun nicht mehr stattfinden kann. Vor-Urteile sind nämlich grundsätzlich scheiße, nicht nur wenn sie Juden treffen. Sie vernebeln den Blick fürs Wesentliche. Im Übrigen gehe ich mal davon aus, dass Sie Sonja Vogel, anders als mich, ganz richtig verstanden haben. In dem Fall haben Sie ja auch verstehen wollen. Dass nämlich keine andere Konstruktion vorstellbar ist als die, die in ihr zynisches Weltbild passt. Und dieses Weltbild ist nun mal recht simpel. Es entspricht ganz jenem, das sie dem Attentäter unterstellt: In einem Laden, an dem außen das Wort "koscher" steht, kann es (anders als in der redaktion) nur Juden geben oder Judenfreunde. Das, allerdings, ist, ich bitte um Entschuldigung für die Wortwahl, antisemitische Kackscheiße. Und die sollte nicht auch noch massenmedial breitgetreten werden, nur damit auch wirklich jeder kapiert, wie wenig antisemitisch Sonja Vogel sich fühlt.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      Ich werfe hier zum Bedenken einfach mal zwei Zitate von Adorno und Horkheimer/Adorno in den Raum (1. Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit; 2. Elemente des Antisemitismus)

       

      1. "Man geht dabei allzusehr von der Voraussetzung aus, der Antisemitism

      us habe etwas Wesentliches mit den Juden zu tun und könne durch konkrete

      Erfahrungen mit Juden bekämpft werden, während der genuine Antisemit vielmehr dadurch

      definiert ist, daß er überhaupt keine Erfahrung machen kann, daß er sich nicht ansprechen läßt."

       

      2. "Erst die Blindheit des Antisemitismus, seine Intentionslosigkeit, verleiht der Erklärung, er sei ein Ventil, ihr Maß an Wahrheit. Die Wut entlädt sich auf den, der auffällt ohne Schutz. Und wie die Opfer untereinander auswechselbar sind, je nach der Konstellation: Vagabunden, Juden, Protestanten, Katholiken, kann jedes von ihnen anstelle der Mörder treten, in derselben blinden Lust des Totschlags, sobald es als die Norm sich mächtig fühlt. Es gibt keinen genuinen Antisemitismus, gewiß keine geborenen Antisemiten."

      • @849 (Profil gelöscht):

        Danke für die Zitate. Auch ich bin ziemlich sicher, dass Antisemitismus so gut wie nichts mit konkreten Menschen und beinah alles mit dem Wunsch zu tun hat, das Ventil nicht zu verlieren, das darin gesehen wird. Dass es keine geborenen Antisemiten gibt, ist derart logisch, dass die Klarstellung eigentlich keines Philosophen bedürfte. Antisemitismus ist ein soziales Konstrukt. Es kann also nur innerhalb der Gesellschaft erlernt und auch nur dort bekämpft werden. Eine "biologisch-physikalische Lösung", die zum Beispiel darin besteht, dass man den "Stein des Anstoßes" entfernt aus der Gesellschaft, ist unvorstellbar. So lange er sie braucht, wird der Antisemit andere Opfer finden. Er ändert dann zwar seinen Namen, aber nicht seine Gesinnung. Genau deswegen gehen Antisemitismus und Rassismus uns alle an, nicht nur die Juden, die Schwarzen oder die Gelben.

    • @mowgli:

      "Wir nennen das Israelkritik: jüdische Gotteshäuser anzünden und so. Keine Kerze, sondern gleich ein Feuer für den Frieden."

       

      Das ist überdeutlich Sarkasmus. Damit kritisiert sie, dass so eine Gewalttat als Israelkritik durchgeht. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie generell Israelkritik mit Antisemitismus gleichsetzt.

      A - B ist nicht gleich B - A

       

      Und die Bezeichnung des Supermarkts wird als Relativierung kritisiert und keinesfalls als "angeblicher Gipfel des (fremden) Zynismus"

      • @nickname00:

        Nur noch mal zum Mitlesen: "Dazu passt die Empfehlung, besser auf die Kippa zu verzichten. Juden sind in Deutschland bedroht? Nicht, wenn man sie nicht erkennt. Geht es noch zynischer? Ja. In Deutschland nämlich wird der Antisemitismus relativiert. Etwa nach dem antisemitischen Attentat auf den Supermarkt in Paris."

         

        Ich finde es ausgesprochen nett von ihnen, dass Sie Sonja Vogel verteidigen. Der Text, den sie verfasst hat, spricht allerdings eine anderes Sprache als die, die Sie gehört haben wollen. Mag sein, das war so nicht beabsichtigt. Aber so nicht beabsichtigt war womöglich auch der eher gut gemeinte als gute Rat, Juden mögen doch bitte auf die Kipa verzichten. Eine Gesellschaft, derern Mitglieder auf dem Kopf oder am Körper nicht tragen können was sie tragen wollen, ist nicht mehr frei. Auch da nicht, wo der Konformismus die Kleiderordnung bestimmt.

         

        Übrigens habe ich mit meinem Kommentar ausdrücklich jene Art von Sarkasmus und Zynismus kritisiert, die wohlfeil ist, weil sie an Stelle von konkreten Handlungen ins Netz gerüpelt wird. Den Tenor: "Die Anderen sind schon so schlimm, dass ich nichts mehr dagegen machen kann", finde ich zum kotzen. Sonja Vogel ist schließlich nicht irgendwer. Als Journalistin und Verlegerin will und muss sie die Aufmerksamkeit möglichst vieler Leute auf sich lenken. Sie sollte sich also hüten, ein schlechtes Beispiel abzugeben, sondern ihren Job so gut wie irgend möglich machen. Beispielsweise dadurch, dass sie verbal sauber trennt und anschließend öffentlich überlegt, wie die einzelnen Probleme ganz spezifisch angegangen werden können. Wenn sie alles und jeden mit einer einheitlich braunen Zynismus-Soße übergießt, dann ist das jedenfalls keine Solidarität für mich, sondern auch nur verkappt judenfeindlich.

  • Sehr geehrte Frau Vogel.

    Bis auf die Problematik mit der Antisemitismuskommission kann man Ihnen schon zustimmen.

     

    "Religionszugehörigkeit" ist nun mal keine wissenschaftliche Qualifikation, nicht mal bei den Kollegen von den weichen Wissenschaften!

     

    Ansonsten wird aus politischen Gründen verharmlost und abgewiegelt, da rächt sich die Weisungsgebundenheit deutscher Staatsanwaltschaften.

     

    Unsere Minderleisterorganisationen haben nämlich Angst! Angst das je nach Repression die verantwortliche "gesellschaftliche Gruppe" mit Gewalt gegen die eigenen höchst wertvollen Repräsentanten reagiert. Vor nix anderem hat die politische Klasse hierzulande Angst, NSA ausgenommen.

  • Eine offene Debatte über Israelkritik und Antisemitismus und ihren inneren Zusammenhang ist in Deutschland leider immer noch nicht möglich. Ich sage: Ja, es ist antisemitisch, Juden aufgrund israelischer Politik anzugreifen. Das ist ziemlich offensichtlich und daran gibt es nichts zu entschuldigen. Die Gegnerschaft zu Israel schlägt deshalb so schnell in Antisemitismus um, weil führende Politiker in Israel ihr Land als Heimstätte für alle Juden weltweit deklarieren und auch andere Politiker und mediale Diskursteilnehmer sich ähnlich (im Sinne eines jüdischen Israels) öffentlich äußern. Jüdischen Antizionismus gibt es, doch hat seine Stimme nicht viel Gewicht. Diese Gegnerschaft zu Israel ist nun nicht so irrational wie der Antisemitismus des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Man kann ganz klare Bezugspunkte nennen, um deren Deutung heftig gestritten wird, aber kaum um deren Faktizität: Nakba, Siedlungsbau, Besatzung uva.

    Was kann man also tun? Die jungen Muslime in Norwegen haben hier ein wichtiges Signal gesetzt. Sie trennen die politische von der religiösen Sphäre und solidarisieren sich mit den Juden in Norwegen, in dem sie eine Menschenkette um deren Synagoge bildeten, rückten aber gleichzeitig nicht von ihrer Israelkritik ab. Diese Grenze muss immer wieder betont werden, auch wenn es trivial ist. Israel ist Israel, Juden sind Juden. Zwei verschiedene Dinge, auch wenn es Überschneidungen gibt. Aber die gibt es bei allen Identitäten...

    • @Marius:

      "Die Gegnerschaft zu Israel schlägt deshalb so schnell in Antisemitismus um, weil führende Politiker in Israel ihr Land als Heimstätte für alle Juden weltweit deklarieren und auch andere Politiker und mediale Diskursteilnehmer sich ähnlich (im Sinne eines jüdischen Israels) öffentlich äußern."

       

      Die Gegnerschaft zu Israel IST Antisemitismus. Dazu bedarf es nicht, dass "führende Politiker in Israel ihr Land als Heimstätte für alle Juden weltweit deklarieren". Israel IST die Jüdische Heimstätte, das Land eines Volkes das sich "Juden" nennt. Es soll auch viele Deutsche geben, die nicht in Deutschland leben (wollen), dennoch sind sie Deutsche. Der Unterschied ist aber, dass Deutsche im Ausland nicht für die Politik der deutschen Regierung verantwortlich gemacht werden. Oder haben Sie davon gehört, dass z.B. irgendwelche deutsche Touristen in Griechenland für Merkels Politik verantwortlich gemacht wurden und deswegen um ihr Leben fürchten müssen?

    • @Marius:

      Ich schließe mich der Argumentation an!

    • @Marius:

      Die Gegnerschaft zu Israel ist einer der Kanäle wo sich der angestaute Judenhass und die Scham über den Holocaust endlich Bahn brechen kann. Die Deutschen werden den Juden den Holocaust nie verzeihen.

       

      Der Holocaust als Höhepunkt der Judenverfolgung in Europa war ein Katalysator für die Gründung Israels. Die Rechtmäßigkeit dieses Zufluchtsortes anzuzweifeln ist eine Fortsetzung des Antisemitismus des 19. Jahrhundert. Der Jude soll bitteschön ein heimatloses Opfer bleiben.

       

      Als Juden aus Europa anfingen wieder ins britische Mandatsgebiet Palästina einzuwandern haben sie immer versucht mit der arabischen Bevölkerung friedlich auszukommen. Diese jedoch weigerte sich die Immigration der verfolgten Flüchtlinge zu tolerieren. Es folgte ein Bürgerkrieg, der im Unabhängigkeitskrieg Israels sein vorläufiges Ende fand. Die Araber hatte alle Vorschläge für ein friedliches Zusammenleben abgelehnt. Sie warteten nur auf den Abzug der Briten um die gerade Geflüchteten ins Mittelmeer treiben zu können.

      • @Nase Weis:

        Die Geschichte der jüdischen Besiedlung in Palästina seit dem späten 19. Jahrhundert ist eine ziemlich komplizierte Sache. Wie in vielen anderen Bereichen kann man auch hier kaum von "den Juden" und von "den Arabern" sprechen. Unter den Arabern gab es viele Kollaborateure, die ihren Grundbesitz an jüdische Ankömmlinge aus Europa verkauft haben. Von diesem Grund und Boden wurden die arabischen Pächter dann vertrieben. Daneben gibt es natürlich auch Fälle von friedlicher Koexistenz. Alles in allem muss man aber mal fragen, mit welchem Recht die Zionisten Palästina besiedelten. Ist die religiöse Argumentation tatsächlich akzeptabel? Diese Frage erklärt auch zu einem guten Teil die stetig gewachsene Ablehnung der jüdischen Besiedlung Palästinas durch die Araber. Für weitere Studien bietet die Darstellung von Tom Segev "Es war einmal ein Palästina" viel Stoff.

         

        @Davidoff: Das Besondere mit dem Judentum ist die Verquickung von nationaler und jüdischer Identität, die sich der Zionismus zunutze macht. Es gibt viele Juden, die sich nicht als Israeli sehen, sondern als Bürger und Inhaber der nationalen Identität des jeweiligen Landes, in dem sie leben.

         

        @Naseweis nochmal:

        Der Vorwurf, Israel als rechtmäßige Heimstätte des jüdischen Volkes anzuzweifeln wäre antisemitisch, ist ein Totschlagargument. Ich würde nicht die Existenz Israels in Frage stellen wollen, aber die Frage nach der Rechtmäßigkeit hilft sehr wohl diesen Konflikt dort unten zu verstehen. Im Übrigen war die britische Unterstützung für den Zionismus sehr wohl antisemitisch motiviert: man wollte die Juden endlich los sein. Details gibts bei Tom Segev.

         

        Jetzt wurde wieder viel über den Konflikt an sich geschrieben, dabei ging es doch nur v.a. um die Verbindung von Israelkritik und Antisemitismus... Aber es geht immer so schnell ins Grundsätzliche.

    • @Marius:

      Nachtrag:

      Indem man diese Trennung der zwei Sphären betont, erkennt man indirekt den Zusammenhang zwischen Israelkritik und Antisemitismus an. Gerade dies zu erkennen und auch zu sagen, dass es diesen Zusammenhang gibt, ist meines Erachtens eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Trennung gelingen kann. Dinge, über die ein Redebedarf besteht, aber nicht artikuliert werden, gären vor sich hin und können letztlich zu den im Artikel genannten Vorkommnissen führen. Demokratie aber lebt von Diskussion. Also auch auf diesem so sehr sensiblem Gebiet.