Kolumne Geräusche: Hinter meinem Haus
Die Nachtgeräusche von Dorf und Stadt unterscheiden sich. Stören tun sie beide.
D er Umzug vom Dorf in die Stadt vor einem Jahr hatte auch damit zu tun, dass es uns auf dem Dorf einfach zu laut geworden war. Der deutsche Dorfbewohner, so viel weiß ich nach zehn Jahren Studium, steht gern früh auf und lärmt. Wahrscheinlich um allen anderen in seiner Umgebung mitzuteilen, dass er nun sein Tagwerk begonnen, also allseits Achtung verdient habe. Ob das eine Eigenheit schwäbischer Dörfer ist und in Brandenburg und Vorpommern ganz anders, entzieht sich meiner Kenntnis.
In meinem Fall lärmten meine lieben Mitmenschen vor allem und mit allem, was einen Motor besaß. Mit Autos und Lastwagen, die sie ab fünf Uhr morgens an der Tankstelle gegenüber betankten oder bei denen sie an der einzigen Ampel des Dorfes, die ausgerechnet vor meinem Haus stand, ihren Drehzahlmesser auf seine Funktionstüchtigkeit überprüften.
Etwas später setzte dann das Summen und Heulen der anderen Motoren ein, die, je nach Jahreszeit, mal eine Heckenschere, einen Rasenmäher oder einen Laubbläser antrieben. In den ruhigen Phasen dazwischen donnerte der Regionalexpress hinter dem Haus vorbei oder raste ein Notarztwagen, aus der Stadt kommend, in Richtung Dorfmitte. Ich fragte mich damals, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Lärm und den vielen Herzinfarkten in unserem Dorf. Nicht einmal in der Nacht ebbte die Beschallung ab: Da versammelte sich die Dorfjugend an der Tanke, um den Tag ausklingen zu lassen, und von der nahen vierspurigen Bundesstraße legte sich ein Rauschteppich über das schlafende Dorf.
ist Autor der taz.
Es war jedenfalls an der Zeit, mir einen ruhigeren Lebensmittelpunkt zu suchen, und die Stadt versprach genau das. Die neue Wohnung liegt zentral in der Innenstadt, und in den ersten Nächten nach meinem Umzug musste ich mich an die Stille erst gewöhnen. Ich schlief, was wir im Dorf niemals taten, bei geöffnetem Fenster, das ich erst am Morgen schloss, weil die Amseln davor so laut pfiffen.
Inzwischen weiß ich, dass diese ersten herrlich ruhigen Nächte trügerisch waren. Man sollte niemals in den Semesterferien in eine Universitätsstadt ziehen. Das Ende der Semesterferien lässt sich von meinem Schlafzimmerfenster aus in Dezibel messen.
Es beginnt am frühen Abend mit angenehmem Stimmengewirr aus dem gegenüberliegenden Biergarten, steigert sich bis kurz nach Mitternacht in ein Geklirr aus zerplatzten Bierflaschen und findet seinen Höhepunkt gegen fünf Uhr früh, wenn vom Berg hinter unserem Haus die Verbindungsstudenten ihre alten Lieder heruntergrölen. Sie singen nicht, sie grölen. Gesungen könnte ich es ja vielleicht noch ertragen, wenn aus den biergeschmierten Kehlen der Burschenschaftler ein nächtliches Lob auf den württembergischen Graf Eberhard im Bart angestimmt würde.
Morgens um fünf. Obwohl Graf Eberhard im Bart seit über 400 Jahren tot ist. Er sei, so höre ich schlaflos in meinem Bett liegend, ein sehr guter Landesvater gewesen. Also kein Mappus. Einer, der seinen Kopf jedem Untertan in den Schoß hätte legen können, ohne umgebracht zu werden, um zu schlafen. Schlafen. Mehr wollte ich ja eigentlich auch nicht.
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