piwik no script img

Kolumne Generation CamperStühle für die ganze Welt

Der Thonet-Stuhl, ein Kaffeehaus-Klassiker, war früher ein Massenexportprodukt. Heute erobert der Plastikstuhl die Welt. Was für ein Fortschritt!

Der Favorit aus der Kaffeehaus-Ära Foto: imago/Thomas Frey

Was reizt uns an Thonet“, fragt mein Freund J., „Industriekultur oder schöne Nostalgie?“ Er scrollt zu den Fotos vom letzten Urlaub: Kuba. Die farbenfrohen Oldtimer übergeht er, dann zeigt er mir Aufnahmen aus einem Café – und darauf sind sie zu sehen, die vielen Wiener Kaffeehausstühle.

Lauter schön geschwungene Bugholzstühle. Lauter Klassiker, lauter Thonet-Stühle. Sie sind ein vertrauter Anblick. Vertraut auch diese Kaffeehausatmosphäre – und doch so weit wChristel Burghoffeg, als wäre es eine andere Ära.

Beim Besuch des Museums der Herstellerfirma Thonet sind wir von Bugholzraritäten umgeben. Ein engagiertes Familienmitglied hat die Stars der frühen Thonet-Stühle in aller Welt aufgespürt und hier zusammengetragen. Thonet hat seinen Sitz im nordhessischen Frankenberg, nahe dem Ausflugsziel Edersee und dem Nationalpark Kellerwald.

Dieser ist ein Buchennationalpark und macht schon im Namen deutlich, was in dieser Region einmal die wirtschaftliche Grundlage war, nämlich Buchenholz, dem Holz für die Stühle. Im Rahmen von Industrietourismus gehört inzwischen auch Thonet zu den beliebten Ausflugszielen. Nicht nur der Holzstühle wegen.

Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts landete Thonet den nächsten großen Design­treffer mit den Freischwingern der Bauhaus-Designer. Deren hohe Ansprüche an Gebrauchsgegenstände, an die Ästhetik ihrer Stahlrohrmöbel, an Form und Funktion sind legendär. Heute würde man „nachhaltig“ sagen. In den Showrooms des Werks stehen die Design-Generationen: aktuelle Kollektionen, Bauhausklassiker, Bugholzstühle. Tatsächlich werden in Frankenberg neben den modernen Möbeln auch weiterhin die perfekten Stühle von einst hergestellt. Thonet lässt die Legenden weiterleben.

Unsere Favoriten aus der Kaffeehaus-Ära sind wunderschön – und teuer. Dabei waren sie früher mal ein Massenprodukt, schlichte Gebrauchsstühle für die ganze Welt – sie wurden überallhin exportiert. Heute sind sie Luxus. Nennt sich dies nun industrieller Fortschritt?

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Themen #Design
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!