Kolumne Geht’s noch?: Germany, Land der Nichtschwimmer?
Die DLRG schlägt Alarm: Immer weniger lernen schwimmen! Es gibt zu viele Badetote! Doch das ist Panikmache.
Nichtschwimmer auf dem Vormarsch“, titelte tagesschau.de vor ein paar Tagen. Es ist wie jedes Jahr: Die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) stellt ihre Jahresbilanz vor, und alle schreiben: „Immer weniger Grundschüler können schwimmen. Was ist da los?“ Es geht um zwei Zahlen: Wie viele Schulkinder haben Schwimmen gelernt, und wie viele Menschen ertrinken jährlich in deutschen Gewässern? „Im Durchschnitt besitzen nur 40 Prozent der Sechs- bis Zehnjährigen ein Jugendschwimmabzeichen“, sagt DLRG-Vizepräsident Achim Haag. Dies ergab eine aktuelle Forsa-Umfrage. 60 Prozent der Grundschulkinder können also nicht richtig schwimmen.
Die zweite Zahl klingt genauso beunruhigend: 537 Menschen sind 2016 in deutschen Gewässern ums Leben gekommen. So viele wie noch nie in den letzten zehn Jahren. Das war ja klar: Schwimmunterrichte fallen aus, zu wenige Bademeister, Schwimmbäder schließen. Deutschland, du Land der Nichtschwimmer!
Aber die beiden Zahlen sagen nichts aus. Panik ist erst mal nicht angebracht. Denn für die DLRG gilt: Nur wer ein Schwimmabzeichen hat, kann auch wirklich schwimmen. Wer kein Abzeichen hat, kann nicht schwimmen. Der Umkehrschluss ist unlogisch. Ob ein Kind ein Abzeichen hat, ist total zufällig. Der Schwimmunterricht fällt oft aus. Und welches Kind geht in seiner Freizeit ins Schwimmbad und legt eine DLRG-Prüfung ab? Eben.
Es gibt noch ein Problem: Wer von der Zahl der Ertrinkenden auf die Schwimmkompetenz schließen möchte, muss die Statistik in einem größeren Zusammenhang betrachten. Seit den 90er Jahren liegt die Zahl der tödlichen Badeunfälle auf einem konstanten Niveau zwischen 400 und 600. Die Ausreißer nach oben – zum Beispiel 2003, als 644 Menschen starben – sind meist durch sehr heiße Sommer zu erklären. Natürlich: Jeder Tote ist einer zu viel. Aber im Vergleich zu den Jahrzehnten zuvor sind die Zahlen niedrig. 1951 starben noch mehr als 2.000 Menschen in deutschen Gewässern.
Und: Nur drei Prozent der Ertrunkenen sind Kinder im Alter von 6 bis 15 Jahren. Etwa die Hälfte sind Männer ab 50. So wie unsere Leser. Wenn Sie also dieses Wochenende die Badehose einpacken – die Wetteraussichten sind gut – passen Sie auf sich auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!