Kolumne G-nervt: Hinten kommt nichts raus

Die radikale Linke misst der Gewaltfrage zu viel Gewicht bei. Das ist narzisstisch – und die antikapitalistische Massenmobilisierung so zum Scheitern verurteilt.

Polizisten verprügeln einen am Boden liegenden Mann

Durchs Draufhauen stirbt der Kapitalismus nicht, Menschen sterben aber schon Foto: Miguel Ferraz

Am Donnerstag hat eine vermummte, gewaltbereite und bewaffnete Gang eine Versammlung brutal angegriffen. Mit Wasserwerfer, Pfefferspray, körperlichen Angriffen und allem, was zu so einer waschechten Eskalationsstrategie gehört, sprengte die Polizei die antikapitalistische „Welcome to Hell“-Demo.

Schnell verschwand der anfängliche Schlachtruf „A-Anti-Anticapitalista“ zugunsten der Parole „Ganz Hamburg hasst die Polizei“. Die vorgeschobenen Gründe für die Polizeiattacken waren hanebüchen. Aber das spielt jetzt auch keine Rolle mehr.

In der Öffentlichkeit bleibt nur der Eindruck zurück, dass Polizei und Autonome aneinandergeraten sind, so wie sie immer aneinandergeraten. Was hingegen nicht bleibt: die Botschaft, dass der Kapitalismus Leid und Elend produziert und er deshalb auf den Müllhaufen der Geschichte gehört.

Es ist wichtig, dass es viele Stimmen gibt, die Polizeigewalt verurteilen und Versammlungsfreiheit einfordern. Allerdings geht damit immer die thematische Verschiebung einher, die sich auch im Wechsel der Parolen ausdrückte. Plötzlich geht es nicht mehr „ums Ganze“, sondern lediglich um die Handlanger der Staatsmacht, um „vom Staat bezahlte Hooligans“.

Am 7. und 8. Juli treffen sich in Hamburg die Staatschefs der größten Industrie- und Schwellenstaaten zum G20-Gipfel. Die taz berichtet dazu in einem laufend aktualisierten Schwerpunkt und ab dem 1. Juli mit täglich 8 Sonderseiten.

Man sitzt der Logik von Innenpolitikern und Polizei auf. Seit Monaten warnen die staatlichen Akteure vor Gewalt, überbieten sich selbst mit der Zahl der erwarteten gewaltbereiten Linken, sprechen von Terror. Auf der anderen Seite geht es darum, wie viel Polizei welche der schweren Geschütze auffahren wird. Die Schlagzeilen immer mit dabei.

Im Kern narzisstisch

Doch die Anliegen, wofür oder wogegen da eigentlich genau demonstriert wird, gehen unter. Der Staat bauscht das Gewaltproblem auf, die Medien steigen darauf ein, und die ­außerparlamentarische Linke spielt artig mit. So sorgt sie selbst dafür, dass sich niemand für die eigenen Inhalte, Analysen, Parolen und Forderungen interessiert. Das hat viel damit zu tun, dass die radikale Linke selbst der Gewaltfrage so viel Gewicht beimisst.

Dabei ist es eine im Kern narzisstische Frage. Denn ob von einer Demonstration Gewalt ausgeht oder nicht, ist nicht entscheidend für die Frage ob sie erfolgreich ist. Entscheidend ist, was hinten rauskommt: ob man mobilisieren konnte, ob man die Adressaten erreichen konnte, ob man neue Leute ansprechen konnte.

Vielleicht geht es in diesen Zeiten auch gar nicht anders, als sich auf die Logik der Innenpolitiker und ihrer Behörden einzulassen, auf die Fragen nach der Gewalt Antworten zu geben und sie sich selbst eben doch zu stellen.

Doch wenn das so ist, dann scheint das ganze Unterfangen der antikapitalistischen Massenmobilisierung zum Scheitern verurteilt. Denn hinten raus kommt dabei nichts.

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Alexander Nabert war Medienredakteur der taz. 2018 und 2019 recherchierte er im Rechercheressort zu "Hannibals Schattennetzwerk": taz.de/hannibal.

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