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Kolumne Fremd und befremdlichAus der Wohnung vertrieben

Kolumne
von Katrin Seddig

Die Flugzeuge des Hamburger Flughafens fliegen im Zwei- bis Dreiminutentakt tief über meinem Haus. Man wird wirklich verrückt. Ich hätte gerne einen Schuldigen.

Landeanflug auf den Hamburger Flughafen: Die Anwohner*innen sind unmittelbar dabei Foto: dpa

I ch weiß nicht, wie ich irgendjemandem, der nicht da wohnt, wo ich wohne, erklären soll, wie es ist. Ich sitze gerade in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofes, und hier kann ich nichts davon merken. Letztens war jemand bei mir zu Besuch, der sagte: Wie hältst du das eigentlich aus? Meine Freundin, die nicht weit von mir wohnt, die sagt, sie hält es nicht mehr aus. Meine Nachbarn, die halten es nicht mehr aus.

Flugzeuge fliegen tief über meinem Haus, im Zwei- bis Dreiminutentakt. Sie fliegen von sehr früh bis sehr spät nachts. Sie fliegen nach 23 Uhr, natürlich. Ich wohne nicht am Flughafen, ich wohne in Hamburg Eilbek. Ich verlasse jetzt täglich meine Wohnung zum Arbeiten. Ich kann zu Hause nicht mehr sein, in diesem ohrenbetäubenden Lärm, ich kann nicht arbeiten und nicht schlafen, solange sie fliegen, solange diese riesigen Dinger tief über meinem Haus fliegen.

Ich kann das Fenster schließen, aber ich wohne in einer Dachgeschosswohnung und es ist sehr heiß. Wenn ich trotzdem die Fenster schließe, dann ist es nur wenig leiser. Denn die Flugzeuge sind so laut, dass man sich keinen Film ansehen kann, man muss ein Gespräch unterbrechen, man versteht sein eigenes Wort nicht mehr. Man wird wirklich verrückt.

Wie können die uns das antun?, denke ich. Ich fliege nicht, aus ökologischen Gründen, ich habe mir kein günstiges Grundstück am Flughafen gekauft, wie es in vielen hämischen Kommentaren heißt. Ihr habt euch doch diese günstigen Grundstücke gekauft, heißt es dann, ihr habt euch das doch so ausgesucht.

Selber schuld, das ist sowieso der Tenor der meisten Kommentare zu den meisten Themen. Ich bin vielleicht auch selber schuld, irgendwie. Ich weiß es nur nicht. Ich hätte aber gerne einen Schuldigen. Einen, den ich verantwortlich machen könnte. Einen, den ich beschimpfen könnte.

Im August wird geflogen und geflogen, alle fliegen sie im August irgendwohin

Seid ihr es, die in diese Flieger steigt, die schuld sind? Seid ihr es, die für fünfzig Euro in den Urlaub fliegt? Seid ihr schuld? Oder sind die Flughafenbetreiber schuld? Die Fluglinienbetreiber? Seid ihr stolz, auf diesen innerstädtischen Flughafen? Wollt ihr mal eine Woche in meiner Wohnung wohnen? Wollt ihr mal sehen, wie Menschen sich fühlen, die dreiminütig überflogen werden, im Landeanflug? Mein einziger Trost ist, dass es wieder enden soll.

Nur aufgrund einer Landebahnerneuerung werden die innerstädtischen Bereiche überflogen, ausnahmsweise, so heißt es jedenfalls, ich habe mich erkundigt. Von den letzten Jahren her weiß ich, dass es demnächst aber wieder, ausnahmsweise, so sein wird.

Insbesondere im Sommer, wenn sie alle fliegen, dann wird es, ausnahmsweise, so sein. Im August wird geflogen und geflogen, alle fliegen sie im August jede Sekunde irgendwohin.

Es wird viel mehr geflogen als vor zehn Jahren

Als ich vor zehn Jahren in meine Wohnung zog, war das Problem nicht da. Ich kann mich nicht erinnern. Es wird einfach jetzt viel mehr geflogen. Die Leute fliegen und fliegen und sie fliegen alle über mein Haus. Ich weiß natürlich, dass es anderen noch schlimmer geht. Aber soll mich das trösten? Was ist das denn für ein Leben, verdammt noch mal?

Und da wollen sie dann irgendwas machen. Irgendeine Maßnahme, damit sie sagen können, sie haben sich gekümmert. Sie wollen Fluglinien, die ihre Flugzeuge zu spät starten oder landen lassen eine Strafe aufbrummen. Fünfhundert Euro an die Umweltbehörde sollen sie zahlen. Fünfhundert Euro! Die Fluglinien werden zittern. Ich weiß, dass die Strafen vorher noch lächerlicher waren, aber fünfhundert Euro? Ehrlich jetzt?

Von Januar bis April soll es 45 Starts und 215 Landungen nach 23 Uhr gegeben haben. Eigentlich sind diese Starts und Landungen verboten gewesen. Aber dieses Verbot hat keinen Wert, oder jetzt hat es einen Wert von fünfhundert Euro. Es kostet fünfhundert Euro, dieses Nachtflugverbot außer Kraft zu setzen.

Ich hoffe, dass es wieder aufhört. Ich hoffe, dass dieser Sommer weniger schlimm wird als der letzte und dass ich nicht den Verstand verliere.

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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Solche Beschwerden sind immer sehr zweispältig zu sehen , aus meiner Sicht. Es gibt Menschen die ziehen bewwusst in die Nähe des Flughafens um ihre Reisetätigkeit möglichst Komfortabel und günstig gestalten zu können. Sind dan bare verwunder wen sie von den Emissionen betroffen sind. Vor kurzem hatte ich wieder eine Diskussion mit einem Bekannten der in die Nähe von Alsterdorf gezogen war uns sich beschwerte das es so laiút wäre etc.

    Im Flur standen seine Koffer noch von seiner letzten Flugreise, von bislang 5 diesen Jahres, da kannma schon ins Grübeln kommen.

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    ich kann Sie sehr gut verstehen, Frau Seidig.

    Wenn ich meinen Enkel besuche, der auch dort wohnt, bin ich nach einer Stunde völlig fertig. Das ist unmenschlich.

    Sie sollen umziehen, rät Ihnen hier ein "netter Kommentar".

    Fragen Sie ihn doch mal ob er eine Wohnung zu vermieten hat in HH, zu einem günstigen Preis.

    Mein Enkel studiert und war froh, dass er überhaupt eine bezahlbare Wohnung erhalten hat.

    Obwohl für ein 16 qm Zimmer 400 Euro Miete zu zahlen sind.

    Schöne neue Welt. Die im Flieger sitzen interessiert das wenig, ich vermute mal gar nicht.

    Hauptsache man kommt schnell in den Süden und wenn es sein muss auch von Hamburg nach München.

    Ob da noch irgendwie etwas zu machen ist, im Bewusstsein? Ich denke, das ist hoffnungslos.

  • 9G
    96177 (Profil gelöscht)

    alles Einzelfälle, der wahnsinnig machende Fluglärm, die Dieselfront, der Pflegenotstand.. es gilt nur noch ein Prinzip: Gewinnmaximierung, koste es was es wolle, zugunsten einer winzigen Schicht von Profiteuren ... hier schön auf den Punkt gebracht: http://www.rationalgalerie.de/home/ein-staat-gibt-seine-tarnung-auf.html

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Alles hat seinen Preis, zur Großstadt gehört der Lärm. So what?

  • Umziehen ?

  • In 32 Jahren muss der weltweite Flugverkehr klimaneutral sein, so steht es im Paris-Vertrag, mit dem das Klima auf der Erde einigermaßen beherrschbar gehalten werden soll (da die Physik es abgelehnt hat, mit unserem Wirtschaftssystem in Verhandlungen zu treten). Es müssen also jetzt die entsprechenden Weichenstellungen erfolgen. Fragen Sie bei Ihrem Flughafenbetreiber und bei den Airlines sowie im Verkehrsministerium an, welche Maßnahmen geplant sind. Falls die Antworten unzureichend sind, schließen Sie sich einer Klagegemeinschaft nach dem Vorbild des "People's Climate Case" an.

    //taz.de/!5506440

    • @Mika:

      Können sie das mit der Klagegemeinschaft noch mal erklären? Kann man sich da wirklich einfach anschließen? Im Grunde ist es doch allen klar, dass der Flugverkehr das Klima, die Umwelt und die Gesundheit ruinieren. Und das ganze für "Arbeitsplätze".

  • Der Fluglärm in Hamburg hat in den letzten Jahren deutlich spürbar zugenommen - in allen Stadtteilen. Je nach Wind und Wetter verlaufen die Start- und Einflugschneisen mal hier mal da. Wirklich sicher vor Fluglärm ist man in Hamburg nirgends und wann immer Du in den Himmel schaust, siehst Du mindestens vier Flugzeuge in Deinem Blickfeld. In einigen Stadtteilen wurden bereits Aktionsbündnisse gegen den Fluglärm gegründet, aber gegen die kommerziellen Interessen eines Flughafens einer Großstadt wird man so leicht nichts ausrichten können.

    Vor Jahren wurde ein Flughafen für Hamburg weit draussen in Schleswig Holstein angedacht, aber u.a. wegen der zu langen Anfahrtswege wieder fallengelassen. Die Frage ist eigentlich nicht so sehr, wer die Schuldigen sind, sondern vielmehr, wo der Gesetzgeber die Grenze des Zumutbaren zieht. Es gibt sicher Situationen, in denen die Grenzen nicht eingehalten werden können, aber hier in Hamburg wird die Ausnahme - vor allem am Wochenende - mittlerweile zur Regel. Da ist dringend Handlungsbedarf, denn Fluglärm macht nachweislich krank und kranke Menschen haben wir auch so schon genug. Einfach so weitermachen geht im Interesse der Allgemeinheit ganz sicher nicht.

    • @Rainer B.:

      In Wien wurde gegen den weitern Ausbau geklagt und gewonnen. Inzwischen haben die Flughafenbetreiber ein anderes Urteil erzwungen und es wird doch ausgebaut :-(

    • 9G
      96177 (Profil gelöscht)
      @Rainer B.:

      eine Regierung, die die Ökonomie der Konzerne zum heiligsten christlichen Prinzip erklärt, gibt die grundgesetzliche Verfasstheit der Lächerlichkeit preis... zum "Wohle des deutschen Volkes" tätig zu sein, ist längst zu ersetzen durch das Wohl der ganz wenigen, die weniger als ein Prozent ausmachen und sich in obszöner Weise auf Kosten der 90% bereichern und dabei ganz genau wissen, auf wen sie sich dabei verlassen können... das ist die Regel, der sich alles unterzuordnen hat... wahnsinnigmachender Lärm, kranke Menschen, krepierende Kreatur, alles schei**egal, die Hauptsache, die Kasse klingelt

  • Mein Mitgefühl, Frau Sedding. Mein vollstes und erfahrugsgesättigtes Mitgefühl. Zu großer Lärm kann einen wirklich wahnsinnig machen. Man tut dann Dinge, die man eigentlich gar nicht tun will. Schuld oder nicht Schuld ist dann nicht die Frage. Die Frage ist: Was hat's für Konsequenzen?