Kolumne Frauen-WM: VARsch mich nicht!
Bei der Frauen-WM blamiert sich der Videobeweis. Eine ewige Zumutung. Die vermeintliche Gerechtigkeit zerstört jegliche Emotionen.
![Stadion mit Anzeigetafel Stadion mit Anzeigetafel](https://taz.de/picture/3505267/14/imago40690324h.jpeg)
S echs Zentimeter oder was. Sechs Zentimeter trennten Nigeria vom Unentschieden und damit von einem wahrscheinlichen Einzug ins Achtelfinale. Und es waren nicht die dramatischen, interessanten sechs Zentimeter: der Ball neben das Tor, die Fußspitze im Abseits. Es waren jene sechs Zentimeter, die die Torfrau Nigerias, Chiamaka Nnadozie, beim Elfmeter der Französinnen vor der Torlinie stand.
Wendy Renard schoss an den Pfosten, Nigeria jubelte, es wäre auch weiß Gott nicht verdient gewesen. Aber dann meldete sich der Videoschiedsrichter: Nnadozie stand nicht plan auf Linie, sofort wiederholen. Im zweiten Versuch setzte Renard den Ball dann in die Ecke, Frankreich gewann mit 1:0, Nigeria ist einigermaßen sicher draußen.
Sechs Zentimeter also, vielleicht waren es auch nur fünf. Was soll das? Dutzende solcher Elfmeter werden jedes Wochenende einfach durchgewunken, warum hier nicht? Und warum müssen die Stürmerinnen immer noch zwanzig Meter im Vollsprint durchziehen, bloß weil die Linienrichter auf das finale Okay zum Fähnchenwinken aus irgendeinem Keller warten? Damit es ja keine Fehlentscheidung gibt! Der Fußballgott, früher lustig und anarchisch, ist einem allwissenden, strafenden Korinthenkacker gewichen.
Was ist schon gerecht?
Gerechter soll der Fußball werden durch den VAR (Video Assistant Referee), hieß es, wobei natürlich völlig unklar ist, was im Fußball gerecht sein soll. Das ist ja der Witz des ganzen Spiels, dass auch die schwächere Mannschaft gewinnen kann, das macht seinen Reiz aus vor vielen anderen Mannschaftssportarten. Und wer sagt eigentlich, wer die bessere Mannschaft gewesen ist? Das ist Kokolores.
Für diese Gerechtigkeit, die keine ist, hat die Fifa die Emotion geopfert. Inzwischen traut man sich ja kaum noch zu jubeln nach Toren, weil das allwissende Auge aus irgendeinem Kellerloch noch mal alles neu bewerten will. Früher reichte ein Blick zur Seitenlinie, jetzt sitzt man da, dreht sich eine Zigarette, bestellt noch eine Runde Rosé, und dann weiß man, ob man sich freuen darf oder eben nicht. Immerhin ist es dann eine gerechte Freude! Was zur Hölle soll das? Das ist ein Spiel, kein Prozess vor einem Kammergericht zur Klärung der Schuld einzelner Akteure. Wie mühselig und verquast der ganze Quatsch noch werden kann, werden wir die nächsten Jahre erleben, wenn es wieder heißt: Handelfmeter oder nicht? Ziehen Sie den Publikumsjoker!
Die französische Sportzeitung L’Équipe hat eine schöne Verschwörungstheorie ausgegraben: Der VAR beim Spiel gegen Nigeria hieß Danny Makkelie, er gilt als ausgewiesener Frankreich-Freund. Beim WM-Finale in Russland war er als dritter Videoschiedsrichter daran beteiligt, dass den Franzosen der Elfmeter, der zum vorentscheidenden 2:1 gegen Kroatien führte, zugesprochen wurde. Der Niederländer ist Ehrenbürger des Mittelmeer-Dorfs La Grande Motte. Klar ist das eine Räuberpistole. Aber wenn’s derart undurchschaubar wird auf dem Platz, muss man sich nicht wundern, wenn die interessanten Drehs außerhalb gesucht werden.
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