Kolumne Fernsehen: Mit Risiko haben wir es nicht so
"Die Rache der Wanderhure" drehen und junge Filmemacher aussaugen - Das ist kein Witz, das ist Sat1.
Manchmal kriege ich ganz plötzlich sehr schlechte Laune. Am Dienstagabend wieder: Ich saß im Theater am Potsdamer Platz, bei der Verleihung des Nachwuchsfilmpreises First Steps, und hörte Joachim Kosack sagen, dass er als Co-Geschäftsführer und Senior Vice President German Fiction bei ProSiebenSat.1 - so viel Zeit muss sein - künftig auch in Abschlussfilme investieren will. Wie alle Stifter des Preises durfte auch er einige Minuten Werbung für sein Unternehmen machen.
Kosack entschied sich dagegen. Mir wurde übel.
Denn anstatt einen Appell für die Wichtigkeit der Nachwuchsförderung ins Publikum zu schicken - was dem Image seines Arbeitgebers nicht schaden könnte -, schränkte er das angekündigte Engagement sogleich ein, indem er sinngemäß sagte, Reichtümer könnten die Beteiligten auch von ProSiebenSat.1 nicht erwarten, und die Schauspielagenten bat, ihre Schützlinge auch für ein Butterbrot mitspielen zu lassen.
Hallooo! Erde an Kosack - gehts noch?! Der über Tarif entlohnte Chef eines börsennotierten Medienunternehmens spielt öffentlich den Wohltäter, indem er Filmstudenten anbettelt und ein Dankeschön erwartet.
Wääääähh!!
Am Tag zuvor hatte Sat.1 mitgeteilt, dass die Dreharbeiten zum Sequel des Historienschinkens "Die Wanderhure" in diesen Tagen beginnen. "Die Rache der Wanderhure" soll an den Erfolg von 2010 anknüpfen - knapp zehn Millionen Zuschauer sahen den ersten Teil. "Das TV-Event verspricht noch mehr Abenteuer, mehr Action und natürlich wieder jede Menge Leidenschaft", frohlockte Sat.1-Filmchef Joachim Kosack. Was soll er auch sagen?! Etwa: Wir machen noch mal das Gleiche in Grün, weil das garantiert funktioniert. Risiko, damit haben wirs bei Sat.1 nicht so. Bevor wir das Wagnis einer neuen Idee eingehen, reiten wir lieber die alte zu Tode. Der dritte Teil der "Wanderhure" ist auch schon in Planung - ich wünschte, es wäre ein Witz, aber es ist Privatfernsehen.
Stolze 5,5 Millionen Euro hat der erste Teil der "Wanderhure" gekostet, die Sequels werden wohl kaum billiger - schon wegen der gestiegenen Gage von Hauptdarstellerin Alexandra Neldel und der Betreuungskosten für Visconti-Relikt Helmut Berger ("Graf Sokolny"). Details der Handlung erspare ich uns.
Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass alle First-Steps-nominierten Filme ungleich inspirierter waren - und deutlich preisgünstiger. Für 5,5 Millionen Euro drehen Studenten locker 20 Abschlussfilme.
Damit wir uns nicht missverstehen: Natürlich haben Fernsehzuschauer ein Recht auf Zerstreuung, die gern "hochwertig produziert" sein darf, ergo teuer. Aber wenn dann ausgerechnet bei denen geknausert wird, die eh schon nichts haben, nebenbei aber die Zukunft der Branche sind, könnte ich brechen.
Dieser Würgereflex war mein treuer Begleiter am Dienstag. In Erinnerung an Preismitgründer Bernd Eichinger wurde auf der Bühne der Nachwuchsproduzentenpreis "No Fear Award" ins Leben gerufen, dotiert mit 5.000 Euro. Applaus. Und ratlose Gesichter. Verliehen wird er nämlich erst ab nächstem Jahr. Man spart, wo man kann.
Leser*innenkommentare
Emma Müller
Gast
Der Helmut Berger der 'Wanderhure' ist kein Visconti-Relikt, da es ein anderer Helmut Berger ist und zwar 1949 geboren, während der Visconti-Berger 1944 geboren wurde.
lazy sunday
Gast
In der Filmbranche herrschen doch eh schon Arbeitsbedingungen wie im letzten Sweatshop. Als der Berliner Zoll - die, die sonst auf den Baustellen Schwarzarbeiter fangen sollen - mal ein Filmset aufsuchten, haben sie erst mal alle nach Hause geschickt (stand in der taz). Es ist nämlich verboten, Leute 16 Stunden am Stück arbeiten zu lassen. Entlohnt wird das Ganze, wenn es nicht gleich wieder ein unbezahltes Praktikum ist (eigener Wagen von Vorteil) nur für die Dauer des Projektes, dann schlecht und danach gehen Sie bitte über Hartz4 und ziehen sie 400€ ein. Wie man so hört, steigen die Gehälter aber weiter oben in der Hierarchie dann doch eher steil an. Der Herr Kosack könnte ja auch seinen Job gegen Aufwandsentschädigung machen, um die ihm so am Herzen liegende Branche zu fördern. Auf die Idee ist der bestimmt noch nicht gekommen. Typen wie der sind mit ein Grund, dass Fernsehen zum Aussterben verurteilt ist.
claudia
Gast
schön, wenn sie sonst keine probleme in leben haben als über dinge zu lästern, die den menschen freude bereiten. das "die wanderhure" fortgestzt wird kann ihnen doch schnuppe sein-wenn sie kein fan sind wird sie 2012 auch keiner zwingen, sich vor den fernseher zu begeben!
fauler student
Gast
Oh, ich fühle mich zum Luft machen angestiftet!
Leider gar kein Einzelfall, ich sollte, obwohl Wissenschaftler im Zweitberuf und Künstler im ersten, neuelich auch für Sozialarbeit (auch so´n unbezahltes Hobby, was als Beruf verkauft wird) weichgeklopft werden. Zwar wird bei Sat1 nicht auf sozialmitleidig gemacht, aber generell scheint sich nicht erst seit neoliberaler Hegemonie gerade im kreativen Bereich die merkwürdige Ansicht einer Bedürfnislosigkeit bis zum Existieren von Luft und Nichts durchzusetzen. Mit widerwärtig ist sowas noch weitaus zu fein bezeichnet, beim öffentlich-rechtlichen Verblödungsauftragsausführungsamt wäre dann ganz sicher ein Gebührenboykott fällig. Aber krieg mal jenseits von lustigen Veranstaltungen wie BBK Leute zusammen, die aufmucken, wenn alle Jahre wieder die KSK gekippt werden soll - damit´s noch für Spesen und Diätenerhöhung reicht? Langsam häckseln die Verhältnisse, hacken tut´s schon lange nicht mehr.