Kolumne Eier: Mehr Mütterlichkeit für Männer

Warum werden Männer, die „noch bei Mama“ wohnen, mehr verachtet als diejenigen, die grapschen? Schluss mit den männlichen Rollenbildern.

Der vier Monate alte Eisbär Wilbär sitzt neben seiner Mutter Corinna

Manchmal nervt sie, manchmal braucht man sie: Die Fürsorge der Mutter Foto: dpa

Noch ehe ich meinen Kaffee geschlürft habe, bekomme ich eine SMS. Meine Mutter informiert mich ohne Grußformel, dass sie mit einem schlechten Gefühl ins Bett gegangen ist. Ob alles in Ordnung sei. Ich denke seitdem, dass ich Krebs haben muss oder dass mir ein Zehennagel einwächst, denn die Vorahnungen meiner Mutter sind legendär. Um also nicht darüber nachdenken zu müssen, was mir womöglich Schlimmes widerfährt, schreibe ich schnell eine Kolumne über Mütter. Die bin ich ohnehin schuldig, nachdem ich in der letzten Folge auf den Vätern rumgehackt habe.

Es hat sich mir nie erschlossen, warum „Muttersöhnchen“ eine Beleidigung ist. Der Begriff weist darauf hin, dass es da ein schwieriges Verhältnis zwischen Männern und ihren Müttern gibt. Zu geben hat. Von einem „Vatertöchterchen“ habe ich jedenfalls noch nicht gehört. Und es stimmt: Die mutterspezifischen Angewohnheiten, die der recht eingeschränkte Gender-Baukasten bereithält, wurden mir zum Problem. Das Rumfummeln in meinen Haaren, die Hinweise darauf, was für ein Wonneproppen ich als Baby war, und die ständige Sorge um mein Wohlergehen wurden lästig.

„Geh doch zu Mami!“, werfen Männer sich zu, um zu sagen: Du kommst nicht klar ohne die Fürsorge anderer Menschen (zudem einer Frau!). Unsere Gesellschaft ist darauf aufgebaut, dieses peinliche Mal-aus-einer-Vulva-gekommen-Sein zu verdrängen und die metaphysische Nabelschnur am besten zu verhackstücken. Für die Mütter, die überzeugt sind, dass da seit der Schwangerschaft irgendeine magische Verbindung besteht, kommt das natürlich nicht infrage. Was folgt, ist ewiges Gezerre.

Fürsorge kann zur Ausbeutung werden

Was nicht heißt, dass man sich nicht emanzipieren soll, und irgendwann mal … Nest-Vogel-Metapher hier einfügen. Fürsorge kann in Ausbeutung umkippen, wenn man nicht aufhört, die Dreckwäsche vorbeizubringen.

Aber es ist schon bezeichnend, dass die am wenigsten anerkannte Männlichkeit nicht diejenige ist, die grapscht und verletzt – sondern die, die „noch bei Mama“ wohnt. Der Horrorklassiker der Filmgeschichte, „Psycho“, baut auf unser Misstrauen gegen „Muttersöhnchen“ auf. Vom Ödipuskomplex ganz zu schweigen.

Für Männer sollte es cool sein, wenn sie Zuwendung und Zuneigung von einer elterlichen Person zulassen und feiern. Das muss nicht unbedingt eine Frau sein. Aber Sie wissen ja, wie das ist mit den Rollenbildern. Klar, unsere Mütter kannten uns, als wir doof, ungelenk und verletzlich waren. Das würden wir gerne ausklammern. Aber ein bisschen Mütterlichkeit in der eigenen Männlichkeit zu verkraften ist wahrscheinlich besser, als sich ein Leben lang einzureden, dass man ganz toll alleine klarkommt. Der nächste Schritt ist dann natürlich, selber auch ein bisschen „mütterlich“, also fürsorglich zu werden.

Ich habe die SMS jedenfalls umgehend beantwortet und meiner Mutter damit gedroht, dass ich den morgendlichen Schreck mit einer Kolumne bestrafe. Sie hatte nichts dagegen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Schreibt über Kultur, Gesellschaft, queeres Leben, Wissenschaft.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.