piwik no script img

Kolumne ESC in Tel Aviv #2Held*innen wie Dana International

Jan Feddersen
Kolumne
von Jan Feddersen

Der letzte Eurovision Song Contest fand vor 20 Jahren in Israel statt. Seitdem hat sich einiges verändert, doch einige Parallelen bleiben.

Dana International sorgte 1998 vor allem bei ultra-orthodoxen Juden in ihrem Heimatland für Aufregung Foto: dpa

V or 20 Jahren fand letztmals ein Eurovision Song Contest in Israel statt – das hatte das Land der Künstlerin Dana International zu verdanken. Die transsexuelle Sängerin rauschte am 9. Mai 1998 mit dem discohymnischen Titel „Diva“ auf, umflort von papageienartigen Federn nach einer Kreation Jean-Paul Gaultiers. Es war auch ein Symbol der Anerkennung der queeren Struktur des ESC – zumal die Sängerin den Sieg ihrem Land und „allen Schwulen und Lesben in aller Welt“ widmete.

Das hatte in ihrer Heimat für tüchtig Verstimmung besorgt – der ESC ist seit 1973 in Israel zwar das populärste Showformat, das direkteste Anschlusskabel nach Europa, aber doch bitte nicht mit LGBTI*-Botschaften.

Weil der Protest wider Dana International so religiös ausfiel, so ultra-orthodox, wurde der ESC in Israel seither mit jedem Jahr cooler: ein queeres Catwalking im internationalen TV-Format. Und das nicht einmal heimlich, sondern ganz unversteckt.

Vor 20 Jahren führte Dana International also Journalisten wie mich an den Rand der Altstadt von Jerusalem, schimpfte auf alle religiösen Kräfte in ihrem Land und besonders auf den politischen Hardliner Ariel Sharon. Dass der ESC nicht in Tel Aviv stattfand, lag in erster Linie an einem politischen Kompromiss: Tel Aviv, als die „westlichste“ Stadt Israels, sollte nicht allzu stark mit dem ESC aufgewertet und Jerusalem in den Vordergrund gerückt werden.

Das war im Mai 1998. Wenige Zeit später begann das, was „Zweite Intifada“ genannt wurde: militanter, teils terroristischer Protest gegen die Behandlung der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland, gleich hinter Jerusalem. Der Mord an dem friedenswilligen Premier Jitzchak Rabin war erst wenige Jahre her, aber noch hoffte man auf eine politische Lösung im Einvernehmlichen: Dana International rief dazu ausdrücklich auf.

ESC als televisionäres Raumschiff

Das ist alles perdu. Es spielt im Tagesgeschehen wie in der politischen Physik des Landes keine Rolle mehr. Der ESC ist nun als televisionäres Raumschiff in Tel Aviv angedockt, Dana International längst, wie die israelischen ESC-Sieger Izhar Cohen und Gali Atari (1978 und 1979), in die Ruhmeshalle Israels aufgenommen worden – wo auch Netta Barzilai, Siegerin des Vorjahres, eingekehrt ist.

In Tel Aviv ist heute am sechsten Probentag des ESC im Convention Centre am Rande der „weißen Stadt“ am Mittelmeer alles im Fluss, niemand ist in Sicht, der*die sich mit einem wie Ariel Sharon öffentlich anlegen würde. Die politische Situation ist eben nicht mehr so recht offen, der Gazastreifen ist nach dem Rückzug israelischer Truppen in palästinensisch-autonomer Hand.

Am Strand von Tel Aviv werden die Public-Viewing-Areale eingerichtet, noch acht Tage sind es bis zum Grand Final des ESC. Auch das Eurovillage, das Zentrum für Fans und Partygänger*innen, gelegen zwischen der Tel Aviver Hochhauslinie und der Altstadt von Jaffa am Meer, befindet sich vor seiner Einweihung am Sonntag in Einrüstung.

22 Grad am Tage heute, etwas bewölkt, die Supermärkte sind voll, Freitag beginnt der heilige Sabbat, der Tag, der bei in christlich dominierten Ländern der Sonntag ist. Nur wenige Lokale haben dann geöffnet – aber immerhin: Vor 20 Jahren in Jerusalem wagten nicht einmal die raren Spätis, ihre Fenster zu öffnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, Meinungs- und Inlandsredaktion, Wochenendmagazin taz mag, schließlich Kurator des taz lab und der taz Talks.. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!