Kolumne Durch die Nacht: Jazz muss anders funktionieren
Nicht nur musikalisch, auch diskursiv: auf der fünften Berliner Jazzwoche werden ab Freitag Machokult und unfaire Gagen thematisiert.

P eter Brötzmann ist gestorben, der auch für mich ein großer Held war. Seine Platte „Machine Gun“ von 1968 musste ich mir dann gleich noch einmal anhören und erneut völlig überwältigt feststellen, dass sie immer noch zu den radikalsten Werken gehört, die ich so kenne, und das nicht nur im Bereich Free Jazz, sondern überhaupt. Brötzmann kam noch aus einer Zeit, in der der Jazz scheinbar naturgegeben Männersache war.
Ich habe mir dann auch noch einmal die Line-ups auf dem von ihm mitgegründeten Berliner Jazzfestival Total Music Meeting angesehen, das es bis 2008 40 Jahre lang gab, und wurde natürlich kein bisschen überrascht. Mit ein paar Ausnahmen tröteten da die hartgesottenen Free-Jazz-Kerle – wie Brötzmann selbst einer war – alles nieder.
Aber die Jazzwelt, der der große, wenngleich auch körperlich eher kleine Saxofonist entstammt, bröckelt. Und nach Möglichkeit sollte es sie bald nicht mehr geben. Denn noch hat der Jazz im Bereich Gleichberechtigung besonders viel Nachholbedarf. Studien auch aus jüngerer Zeit belegen: Die große Mehrheit der Jazzer sind immer noch Männer. Wofür es allerlei Gründe gibt. Sicherlich auch den, dass Frauen gar nicht zugetraut wird, ähnlich energetisch und kraftvoll in ihr Horn blasen zu können, wie Brötzmann das bis ins hohe Alter vermochte.
Berliner Jazz Woche
Die fünfte Berliner Jazzwoche, die diesen Freitag beginnt und die aktuelle Entwicklungen des Jazz in der deutschen Hauptstadt nicht nur mit Konzerten, sondern auch diskursiv beleuchtet, will sich bei Panels und Diskussionsrunden nun die Strukturen einmal genauer ansehen, die den immer noch vorhandenen Machokult im Jazz mitbedingen.
Um Safe Spaces und warum der Jazz diese braucht, soll es da beispielsweise gehen. Außerdem darum, wie man diverser ein Jazzprogramm im Club oder auf einem Festival kuratieren kann. Im Bereich Jazz lautet die Standardausrede meist immer noch: Wir würden ja gerne mehr Frauen einladen, aber es gibt einfach zu wenige. Das war im Club- und Popmusikbereich vor ein paar Jahren noch ähnlich. Aber inzwischen hat sich da doch einiges getan. Der Jazz sollte hier schleunigst nachziehen.
Mit zu dieser Debatte gehört auch das im Rahmen der Jazzwoche anberaumte Werkstattgespräch, das sich mit fairer Bezahlung in der Musik auseinandersetzen möchte. Das passt gut, denn gerade in Berlin ist es immer noch so, dass auch gestandene Profis irgendwo auftreten und, anstatt dass dann eine anständige Gage bezahlt wird, bloß der Hut rumgeht.
Prekäre Lebensbedingungen hindern Frauen am Jazzen
Auch dazu besagen Studien so einiges: Frauen wollen oder können sich diesen prekären Lebensstandard weniger leisten als Männer. Zumal als Mütter, wenn von ihnen verlangt wird, in irgendeinem Club irgendwann in der Nacht für ein paar Euro aufzutreten, während daheim ein Kind versorgt werden will, wobei der Partner – man kennt das ja nur zu gut und auch hierzu gibt es natürlich belastbare Zahlen – oft genug nur bedingt hilfreich ist.
Es gibt einen Dokumentarfilm über Peter Brötzmann, der hat den bezeichnenden Titel: „Soldier of the Road“. Eine funktionierende Beziehung zu führen und sich um die Kinder zu kümmern, das sei bei seinem Globetrotter-Leben kaum möglich, hat Brötzmann einmal zu Protokoll gegeben. Der Mann war ein Unikat und hat viel für den Jazz getan. Aber diese Musik muss heute anders funktionieren und anders strukturiert sein als zu seinen Zeiten, um wirklich zeitgemäß sein zu können.
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