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Kolumne Die eine FrageMit Verlaub, Sie sind kein Arschloch

Peter Unfried
Kolumne
von Peter Unfried

Was den Wahlerfolg der Kretschmann-Grünen ausmacht: Sie sind Post-Realo-Fundis. Und sie sprechen anders als Classic-Grüne.

Man muss mit allen reden können. Kretschmann kann das Foto: ap

A ls wir klein waren, war das Allermeiste sonnenklar. Wenn ein Grüner zum Bundestagspräsidenten „mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“ krächzte, dann war das die angemessene Sprache der Dissidenz und der Ausdruck einer konfrontativen Haltung gegenüber dem Establishment. Damit brach etwas auf.

Over.

Selbst falls man demnächst ein starkes Gefühl verspüren sollte, den Satz bei President Trump wieder anzuwenden: Was soll das bringen, außer sich kurz Luft verschafft zu haben?

Nun werden die einen weiter darauf beharren, dass man kaputt machen müsse, was uns kaputt macht. Ich gehöre zu denen, die inzwischen überzeugt sind, dass man nicht das kaputt machen darf, was wir in den letzten 50 Jahren an bewahrenswerten Errungenschaften geschafft oder bekommen haben. Dass deshalb nicht das kaputtgehen darf, was uns in der Mitte zusammenhält. Das ist eine radikal veränderte Aufgabenstellung.

taz.am wochenende

Nach dem Auffliegen des NSU hieß es: nie wieder. Im sächsischen Freital scheint es dennoch zu passieren – eine rechte Terrorgruppe entsteht. Wie es so weit kommen konnte, lesen Sie in der Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 9./10. April. Außerdem: Warum der schwule iranische Schriftsteller Payam Feili in Israel Asyl beantragt. Und: Bierforscher Gunther Hirschfelder erklärt, warum wir noch immer am 500 Jahre alten Reinheitsgebot hängen. Am Kiosk, eKisok oder im praktischen Wochenendabo.

Zu viel von dem, was nach Ministerpräsident Kretschmanns historischem Wahlsieg gesagt wurde, geht von einem überholten Denken aus – Realo oder Fundi. Kretschmann und seine Baden-Württemberger sind eben nicht auf einem der beiden alten Grünen Wege unterwegs. Das sind keine „Realos“, die die „Fundis“ in Schach halten.

Die Kretschmann-Grünen sind Post-Realo-Fundis. Sie sind Orientierungspartei der Gesellschaft. 30,3 Prozent kriegt man nur, wenn die aristotelische Katharsis hinter einem liegt. Wie auch bei anderen erfolgreich regierenden Landesverbänden (etwa Hessen und Schleswig-Holstein) wird Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und „wir“ zusammengedacht.

Im Bund indes muss man den Sprung hinter die Lager noch machen. Dieser Sprung besteht im Kern darin, Kretschmanns Definition von Grün positiv nachzuvollziehen. Er ist nicht der Avantgardist, der die Mitte vom Rand aus piekst. Er ist der „Pater Patriae“, der Vater des Vaterlandes, der mit seinem progressiven Errungenschaftskonservatismus und dem Alleinstellungsmerkmal der sozialökologischen Transformation eine neue Mehrheit in der Mitte gebildet hat. Eine völlig unterschätzte Voraussetzung dieses Erfolg ist die Art des Sprechens.

Heute sammelt sich das Anti-Establishment in unserer EU bei Rechts- oder bei Linkspopulisten und in Deutschland bei der AfD. Da sind Leute dabei, deren Wut mit einer kulturellen Verwahrlosung einhergeht und die sich entsprechend artikulieren. In so einer Lage ist das öffentliche Krachwumms-Sprechen der frühen grünen Jahre keine aufrechte Haltung, sondern genauso kontraproduktiv wie der spaltende Moralstinkefinger.

Nicht die Manieren verlieren

Was es brauche und was Kretschmann habe, sagt der Soziologe Heinz Bude, sei „reparatives“ Sprechen. Er spaltet nicht, er fügt Teile der auseinanderstrebenden Gesellschaft neu zusammen. Er verkörpere die „Idee kollektiver Handlungsfähigkeit“ im Spätkapitalismus. Das ist sicher nicht im Sinne Sahra Wagenknechts, aber genau darum geht es. Die dialogische Hinwendung gilt selbstverständlich nicht für notorische Rassisten, aber sie reicht bis zu gekränkten Kleinbürgern, die sich jetzt gegen Demokratie, EU und Gesellschaft wenden und dabei asozial und antikapitalistisch sind.

Man muss mit allen reden und mit vielen möglichst gute Kompromisse machen können. Das gilt speziell für etwaige Grüne in einer künftigen Bundesregierung. Ein grüner Außenminister muss mit Saudi-Arabien, Assad oder dem Teufel so sprechen, dass etwas Positives herauskommen kann. Er sollte nicht wie Anton Hofreiter bereits die Manieren verlieren, wenn er es mit dem grünen Oberbürgermeister von Tübingen zu tun hat.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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10 Kommentare

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  • Mit Verlaub - Herr Unfried -

    Ich glaub's ja nicht - Aber - sorry -

    Die eine eine Frage hätt ich -

    Dann doch noch!

    "…Im Bund indes muss man den Sprung hinter die Lager noch machen.…" Hä¿!…Hanoi! ~> Hett frauman die "aristotelische Katharsis" auch dort hinter sich - Gell! Ja dann!! Gell!

    Landet sichs weich im Bett der Mitte.

    Dann ist der Sprung in de Schüssel du Asozial erreicht.

    Denn das wußten schon die Katherer ~>

    " Dem Reinen ist alles Rein!" -

    Na - …er & Maco! &

    Schonn - gell - gibt endlich auch der Anton Hofreiter den schnittigen

    Steffen Seibert & kann manierlich

    Mit dem OB Palmer reden. Aber Hallo!

    kurz - "Zeige mir deinen Kamm &

    Ich sage dir - was du für Freunde hast." = "Komm mit"-Kalender du Katol!

    Ah so! Die - 50 Jahre sind gemeint! ~>

    Ja dann - kannste aach mit - "dem Teufel so sprechen, dass etwas Positives herauskommen kann." & Klardas! -

    Das is dann - Keine Frage mehr!

    Danke.

  • heiliges schwein!

    im fall von "pater patriae" ziehe ich ganz entschieden die vaterlose gesellschaft vor.

    • @christine rölke-sommer:

      & ahls wigger -

      Kaa 'sch/land in Sicht;)

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "Nun werden die einen weiter darauf beharren, dass man kaputt machen müsse, was uns kaputt macht. Ich gehöre zu denen, die inzwischen überzeugt sind, dass man nicht das kaputt machen darf, was wir in den letzten 50 Jahren an bewahrenswerten Errungenschaften geschafft oder bekommen haben. Dass deshalb nicht das kaputtgehen darf, was uns in der Mitte zusammenhält. Das ist eine radikal veränderte Aufgabenstellung."

     

    Muss ich direkt an die Rede von Sigmar Gabriel auf dem letzten Parteitag denken. Da hatte er auch mit der Angst argumentiert. Nur er wirbt dann nicht mal für Status quo, sondern für weitere "Reformen": "Trotzdem mache ich mir Sorgen, dass wir zu viel daran glauben, dass das automatisch so

    weitergeht. Meine Sorge ist, dass das Erste, was schiefgeht, der Tag ist, an dem man glaubt, es läuft immer gut. ... All das, finde ich, müssen wir uns ersparen und deshalb darüber reden, wie wir Wettbewerbsfähigkeit in diesem Land erhalten."

     

    Bin bei Gott kein Revoluzzer, aber das sind Argumente mit denen schon immer gesellschaftliche Besitzstände und Ungerechtigkeiten verteidigt wurden: vom vermögensbezogenen Wahlrecht, über Frauenrechte, hin zu den steuerlichen Umverteilungsfragen.

     

    Mitte ist manchmal ein Ort, wo die Demokratie durch den Andrang erstickt wird.

  • Als wir klein WAREN?

     

    Ich glaube nicht, dass ich es als "Erfolg" bezeichnet sehen möchte, wenn taz-Chefreporter Hymnen auf "Pater Patriae" verfassen. Die Zeiten, in denen Leute wie ich in Ehrfurcht erstarren mussten, wenn Leute wie Peter Unfried zwei Worte Latein konnten, waren ja eigentlich passé - und das war gut so.

     

    Es ist keine "neue Mehrheit", die MP Kretschmann da mit der Behauptung einer "sozialökologischen Transformation" und ein paar zur Schau getragenen Manieren gebildet hat. Es ist eine ziemlich alte. Eine, die sich nach dem guten Patriarchen sehnt, der mit dem Teufel selbst paktiert, wenn dabei was herausspringt für seine unmündigen (Landes-)Kinder. Aufklärung? Kann offenbar weg.

     

    Als "Vater des Vaterlandes" ist Kretschmann an keiner Stelle progressiv. Und sein angeblicher "Errungenschaftskonservatismus" gehört nicht besungen, sondern kritisch unter die Lupe genommen. Dass jemand Leute, die tatsächlich welche sind, nicht Arschloch nennt, heißt ja noch nicht, dass er nicht selbst eins sein kann.

     

    Auch ich bin überzeugt, dass man nicht alles kaputt machen sollte, nur weil man es kann. Dass Bewahrenswertes allerdings ganz ohne Ehrlichkeit erhalten werden kann, glaube ich nicht. Mit Peter Unfried würde ich z.B. ganz gern darüber diskutieren, ob die Milliardengewinne einzelner Autobauer tatsächlich bewahrenswerter sind als ein funktionierendes Asylrecht.

     

    Apropos Arschloch: Der Flick-Skandal war nicht umsonst einer. Leider scheint die Meinungsfreiheit nach Ansicht Peter Unfrieds nicht zu den erhaltenswerten Dingen zu gehören. Eher schon die Angewohnheit, sich seine Entscheidungen so teuer wie möglich abkaufen zu lassen. Nun ja. Angeblich muss ja selbst mit dem Teufel "reparativ" geredet werden, weil uns das "in der Mitte zusammenhält.

     

    Mitte, mir graut vor Dir!

  • "Kolumne Die eine Frage

    Mit Verlaub, Sie sind kein Arschloch!"

     

    Mit Verlaub - Herr Unfried -

    Das ist - Keine Frage!;)

  • Wovon Sie reden sind Grüne, die Wasserträger der Bosse sind.

     

    Das sind gute und erfolgreiche Grüne und eben solche Grüne, die kein Mensch mehr benötigt, denn die haben wir in CDU/SPD/FDP zur Genüge.

     

    Ob die Grünen in BaWü regieren oder die CDU/SPD,- wo läge denn der Unterschied?

     

    Die Grünen haben sich, seit H4 im Prinzip, ebenso wie die SPD - völlig unglaubwürdig gemacht. Sie haben einen gewaltigen Niedriglohnsektor geschaffen, der den "Erfolg" der Wirtschaft - und das Elend der Erfolg-schaffenden - garantiert.

     

    Bravo! Wozu sollte man das wählen, wenn man nicht gerade Inhaber von Briefkastenfirmen ist?

  • Was für ein bürgerliche sch.... Gequatsche!

     

    Errungenschaften?

     

    Schauen sie ins Mittelmeer, nach Idomeni usw.

    Überall Krieg, überall Tod!

    Umweltverschmutzung ohne Ende!

    Atomkraftwerke laufen weiter (das ist ein großer Verdienst der Grünen, Atomkraft is ja überwunden, dass ich nicht lache)!

    Denken sie an Hartz 4, Ausbeutung wo man hinschaut!

    Die Reichen werden reicher, die Armen immer mehr!

     

    So könnte man ewig weiter machen,

     

    Allerdings ist dieser Bourgeoisie nicht mit Fakten zu kommen, die machen sich die Welt, dass sie ihnen gefällt, was kümmert mich der Ausgebeutete, solange ich zu den Ausbeutern gehöre!

     

    Staat, Nation, Kapital ->Scheiße!

     

    Die Krise heißt Kapitalismus!

  • Der Extremismus der Mitte – mit Kretschmann sind die Grünen darin angekommen. Die Verfassungsschutzmorde deckend, das Zeugensterben ignorierend, in S21 betrügend – wahrlich, Herr Kretschmann ist ein echter Konservativer.

     

    Er bewahrt, was der Vormärz anzutasten wagte. Er, der Landesvater, erhält, was 68 kaputt gemacht werden sollte. Er, der Pater Patriae, bewirkt die Heilige Allianz zwischen den Schwarzen und den grün-schillernd Schwarzen.

     

    Auf dass Angela ewig regieren möge – wenigstens im Geiste! Den er, ein wahrer Dunkelblick am Horizont des ewigen Stillstands der Refeudalisierung, er selbst könnte die Grün-Schwarze Koalition leiten.

     

    Er bringe nicht Libyen, nicht der Ukraine, nicht Mali – aber er bringe uns den Ewigen Frieden!

  • Man sollte in der Politik zwar grundsätzlich mit fast allen Protagonisten reden können, bei Saudi-Arabien hilft jedoch nur ein cordon sanitaire.