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Kolumne Die eine FrageDer Herr der Zeit ist sterblich

Peter Unfried
Kolumne
von Peter Unfried

Sollte man die Zeit vergessen, Giovanni di Lorenzo? Ein Gespräch in der Sommerlounge mit dem Chefredakteur der Zeit.

Zeit-Leser sagen: „Ich kann abtauchen, ich bin weg.“ Sagt Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Bild: dpa

M ach doch was zu unserem Pfingstthema, sagte meine Redakteurin Annabelle. Es gehe um Entschleunigung. Nieder mit dem Zeit-Diktat.

Und schon sitze ich in der Sommerlounge des Regent Hotels in Berlin. Halbsonne. Espresso. Nachmittagsklaviermusik. „Sollte man die Zeit vergessen, Giovanni di Lorenzo?“

Der Chefredakteur der Zeit überlegt. „Die Frage klingt so negativ, als müsste ich mich für die Zerstörung der Zeit (oder der Zeit?, Anm. des Autors) ins Zeug legen, was ich nicht möchte“, sagt er dann freundlich. „Zerstört das das Konzept Ihrer Kolumne?“

Bild: Marco Limberg
Peter Unfried

Der Autor ist Chefreporter der taz. Er twittert als @peterunfried. Seine Kolumne „Die eine Frage“ erscheint alle 14 Tage in der sonntaz. Die neue taz.am wochenende ist am Kiosk, e-Kiosk und im Wochenendabo erhältlich. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz

„Überhaupt nicht.“ Total.

Diese Kolumne finden Sie auch in der taz. am wochenende vom 18./19./20 Mai 2013. Darin außerdem das sonntaz-Spezial: Vergessen Sie die Zeit! Mit einer Reportage über das Warten im Altersheim, einem Gespräch mit dem Zeitforscher Karlheinz Geißler - und mit Rapper Samy Deluxe und Familienministerin Kristina Schröder zur Frage: Wann haben Sie das Warten einmal genossen? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo.

Aber di Lorenzo ist offenbar ein kompromissbereiter Mann. „Wenn man darunter Pflicht und Zwänge versteht, dann ist es wichtig, dass man die Zeit vergessen kann.“ Schweigen beiderseits. Schließlich sagt er: „Erwarten Sie ein längeres Statement?“

Nein, sage ich. Aber die Idee, die Zeit zu vergessen, weil alles so schlimm ist, behagt mir nicht. Ich überlege neuerdings, ob es nicht umgekehrt ist, wir uns endlich um die Zeit kümmern sollten. Er nickt. „Wenn man es schafft, wirklich bewusst mit der Zeit umzugehen, dann ist man endlich erwachsen und relativ frei.“ Leider sei es eine der Tragödien der menschlichen Natur, dass man das Stadium meist erreiche, wenn man gar nicht mehr unter Druck stehe.

„Wissen Sie, was der erste große Realitätsschock eines Lebens ist?“, fragt er leise. Er spricht überhaupt sehr leise. „Gerade denkt man noch, man sei unsterblich, und innerhalb von Tagen merkt man plötzlich, dass die wahre Frage ist, was man mit der Zeit macht, die man noch zur Verfügung hat.“ Den Schock hatten Sie schon? „Ich habe das mit 30 sehr bewusst erlebt.“ Jetzt ist er 54. Heinrich Böll brachte ihn drauf, dass es im Leben um Zeithaben geht.

Nun zur Kernfrage, dem Geheimnis seines Erfolgs: Welches Verhältnis zur Zeit und zum Zeitgefühl der Leute muss man haben, um erfolgreich zu sein wie die Wochenzeitung Die Zeit? Oder etwas neidisch-unsachlich gefragt: Ist die Zeit die politische Landlust?

Den Vergleich brächten interessanterweise viele Journalisten, sagt er. Und zählt die „großen Differenzen“ auf, die ja evident sind. „Aber es gibt eine Gemeinsamkeit, und das ist das Fehlen von Zynismus.“

Die Leser gäben der Zeit einen „institutionellen Rang“. Nachgefragt werde: Verlässlichkeit, Tiefe, politisch zu sein, aber nicht parteipolitisch. Und: Die Hoffnung darauf, etwas mitnehmen zu können. Das Leseerlebnis beschrieben Leser so: „Ich kann abtauchen, ich bin weg.“ Also schon auch Entschleunigung. „Die Leute geben so viel Geld aus wie nie zuvor, wenn sie uns kaufen. Sie opfern uns das Kostbarste, das sie haben - ihre Zeit. Da reicht es nicht, wenn Sie als Leitmotiv haben: Alles ist schlecht.“

Geht das jetzt gegen die taz?

„Nein, überhaupt nicht. Ich sage nur, es gibt Leseerlebnisse durchgängiger Art, bei denen der Nichtprofi die Bettdecke über den Kopf ziehen möchte.“ Er spricht von dem Bedürfnis nach einer Schneise angesichts des Gefühls, von Nachrichten und ihrem Sound erschlagen zu werden. Ex-Bild-Chef Udo Röbel nennt das den „täglichen Scheißhaufen“. „Das ist nicht Zeit-like, aber plastisch“, sagt di Lorenzo. Er nimmt die Sonnenbrille aus dem Kragen, zieht den Pullover aus.

„Wenn die tägliche Informationsdröhnung der Fluss ist“, sagt er, „dann müssen wir das Ufer sein.“ Leider ist er wahnsinnig eng getaktet und hat jetzt keine Zeit mehr.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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8 Kommentare

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  • LM
    Lothar Michael Muth

    Phantasie an Laura

     

    "(...)

     

    Mit der Liebe Flügel eilt die Zukunft

    In die Arme der Vergangenheit,

     

    Lange sucht der fliehende Saturnus

    Seine Braut – die Ewigkeit.

     

    Einst – so hör' ich das Orakel sprechen –,

    Einsten hascht Saturn die Braut;

     

    Weltenbrand wird Hochzeitfackel werden,

    Wenn mit Ewigkeit die Zeit sich traut.

     

    (...)"

     

    (Friedrich Schiller, Gedichte 1776-1788)

     

    Anmerkung: In der römischen Mythologie wurde der Gott des Ackerbaus Saturn auch mit dem griechischen Gott Kronos gleichgesetzt, dem Gott der Zeit.

  • R
    realitätsschock

    „Wissen Sie, was der erste große Realitätsschock eines Lebens ist?“, fragt er leise. Er spricht überhaupt sehr leise. „Gerade denkt man noch, man sei unsterblich, und innerhalb von Tagen merkt man plötzlich, dass die wahre Frage ist, was man mit der Zeit macht, die man noch zur Verfügung hat.“

     

    Die ersten 30 Jahre kein Realitätsschock? Kein Wunder, dass die Zeit nur selbstgefällig schwurbelt.

  • A
    antares56

    Die Zeit als Neoliberales Blatt wird sich selbst zerstören bzw. überholen!

    Giovanni di Lorenzo ist das beste Beispiel für neoliberale Werte wie Geld verdienen auf Kosten anderer. Und das soziale wird bei der Zeit eh' ganz klein geschrieben. Also keine Zukunft!

  • R
    riducule

    @von Schimpfluder:

     

    Wie heißt es so schön im Lied:

    "…die EnkelInnen fechtens besser aus…"

    Espresso ab 12 - geht klar.

    Danke.

  • S
    Schimpfluder

    Mag polemisch klingen, aber die Zeit ist für mich immer mehr die nette, freundliche auf einen Cappuccino, oder vielleicht auch zwei Zeitung. Wobei zur Zeit ist Latte macchiato so in, alle trinken Latte, Latte, Latte. "Gib mir ne Latte", "hau ne Latte her". Und ja, die Latte, viel Milch, das passt irgendwie zur "Zeit". Mhm, also ich bin mehr der Espresso-Trinker, da schauen einen die Leute oft komisch an, "wie is den der drauf?". Naja, vielleicht verbindet man das dann auch eher mit der Bildzeitung, scheiße, auf einen Espresso, oje...Aber dann müssten ja viel mehr Espresso trinken. Auf jeden Fall, Muttermilch für Kälber, das ist nicht so meins - gerade noch im Käse zwischenrein - die Taz ist übrigens mehr wie ein pikanter Käse, der zwischenrein auch mal reizt, bissl Gorgonzola, bissl Allgäuer Bergkäse, so in dem Style. Aber jetzt mal ganz offen: "Die Zeit" fährt mir zu sehr den Schmusekurs, im Kaffeetantenstyle, like "ui, schau mal, der Schaum, ach, wie zum durchschneiden...", "ach supi, da liegt noch eine Zeit rum, da können wir uns die Zeit vertreiben und den Schaumi löffeln, ja, und mit Rohrzucker und Keksili". Und deswegen habe ich seinerzeit mein Abonnement gekündigt, nicht wegen der Latte Macciato-Sache mit Guttenberg, nein, schon vorher, alles war nur noch so wie seinerzeit eine Johannes B. Kerner Show "wir haben uns alle ganz doll lieb, dutzi, dutzi, auf einen Cappuccino..." und "bloß keine dummen Fragen stellen...". Deswegen hatte ich dann auf einmal kein Zeit mehr für "Die Zeit". Aber ist geschmackssache: der eine mag Espresso, der andere Cappuccino, der andere Latte...Jedem das seine...Aber schade um "Die Zeit", soooo boooring.

  • T
    tazitus

    "..Aber es gibt eine Gemeinsamkeit, und das ist das Fehlen von Zynismus...“

     

    Seit wann ist "Die Zeit"

    von Martenstein befreit?

  • R
    ridicules

    "…Die Leser gäben der Zeit einen „institutionellen Rang“. Nachgefragt werde: Verlässlichkeit, Tiefe, politisch zu sein, aber nicht parteipolitisch. Und: Die Hoffnung darauf, etwas mitnehmen zu können…"

     

    Tja, Herr di Lorenzo ist vergleichsweise - wie der Herr Chefreporter erst recht -

    ein Jungdackel.

    Dann redet man halt so daher.

     

    Wessen Vergleichsfolie aber in der Zeit der Geburten dieser

    Herren ( 1959/63) gebildet wurde, kann über so viel "dicke Hose"

    nur den Kopf schütteln.

    'Jupp' Müller-Marein legte damals als Chefredakteur mit der

    von ihm gemanagten ZEIT die Latte hoch: Donnerstag war Zeit-Tag

    wie der Montag halt Spiegel-Tag war.

     

    War der Wirtschaftsteil dank Michael Jungblut zwar informativ,

    aber als " scheißliberal" not my cup of tea;

    so waren der politische Teil ebenso wie das Feuilleton untouchable.

    Der Niedergang begann mit Marion Dönhoff, als die Zeit zu einem

    fremdwortverliebten hochgestochenen Blatt degenerierte.

    Der Donnerstag war endgültig dann nicht mehr Zeit-Tag

    - und für viele meiner Generation - mit Theo Sommer;

    dessen ranschmeißerischer Stil seine unerträglichen

    - Hohnlachen im Blätterwald auslösenden - Höhepunkt mit seinem

    Ranwanzbeitrag an Schmidt-Schnauze auf der Titelseite fand:

    mit - " Lieber Helmut, du wirst dich nicht erinnern…"

     

    Von dieser Rumeiersymptomatik hat sich das Blatt

    bis heute nicht erholt;

    hol ich die taz - und Donnerstag die Zeit meines Nachbarn

    von der Treppe blätter ich schon mal durch, in seinem Urlaub

    auch mal intensiver: pseudovernehmes Gestelze, sozial

    mehr als ungeerdet und Innovation - sorry, aber Fehlanzeige.

    Betuliche Gazette rechts der Mitte, das trifft es;

    was ein Weg der Zeit!

    "Tiefe"? - tja, alles ist relativ.

  • DR
    Dr. rer. nat. Harald Wenk

    "im meer sind ungeahnte abenteuer und schätze, die sicherheitist am ufer" (sufi weisheit) das meer ist nietzsches 5. siegel.

     

    tja, und der wollte die "zeit" nutzen zum "einstielen" seiner ewigen wiederkehr.

    ansonsten verzweifelter er an ihr, weil sie kein radiergummi hat.

    sichre. eine ungewöhnliche form und dasherr verführerische form de indischen 2karma"-theorie - aber es ist de der "kulturphilosoph" für ungläubige ("nihilisten2).

     

    nur, damit niemmand sagen kann, er hätte nichts gewusst.

    nietzsche ist aich treuer spinoza-anhänger.

     

    (noch 100 jahre zeitungen, und alle worte "stinken" meinte Nietzsche zur zeitungsbranche.

    die ungewöhnliche einigkeit gerade in diesem punkt von BILD-zeitung und ZEIT-zeitung ist dem bewussten propheten Nietzusce (1. Siegel) gerade recht.

     

    die allermeisten geben die partie um das nachtodschicksal NICHT auf. dsas ausgerechnet zu diesem thema in der zeit nichts aus der zeoitopgferndenlektüre zu holen ist, ist schon schlecht. ja, wer nich 2/3 seines tages für sich hat, ist eoin sklave, wusste nietzsche auch. auf die selbstätigkeut, dasselberdenken kommt es an. das wird NOBELÖpreisträger Böll im blick gehabt haben.