piwik no script img

Kolumne Die eine FrageDu bist der Killer

Peter Unfried
Kolumne
von Peter Unfried

Fernseher an, drei Stunden Lebenszeit weggucken – OK. Nur sollte man dazu stehen und nicht ARD und ZDF für sein tristes Leben verantwortlich machen.

Und überall läuft der gleiche Mist... Bild: dpa

A ls ich nach längerer Abwesenheit in Berlin den Fernseher einschaltete, sah ich Sonja Zietlow, Wigald Boning, Elton, Ulla Kock am Brink, Wayne Carpendale, Barbara Schöneberger, Alice Schwarzer. Und eine Pornoschauspielerin. Alle in öffentlich-rechtlichen Gesprächsrunden. Da hätte ich doch sofort dramatisch ausrufen müssen: Ist das noch unser Fernsehen? Ich aber dachte: so what.

Wie konnte es so weit kommen?

Es begann so: Wir kamen in dieses kalifornische Haus und sahen das Fernsehgerät. Es riesig zu nennen wäre schwer untertrieben. Wir also sofort: Na, die haben es nötig. Je größer der Kasten, desto kleiner der intellektuelle Radius, das weiß jeder.

Aber sie hatten es gar nicht nötig. Sie hatten Netflix. Großes Kino.

Mit Netflix kann man sich Filme und Serien nach Haus streamen. Für 7,99 Dollar im Monat. Netflix produziert sogar eigene Serien. „House of Cards“ mit Kevin Spacey hat gerade neun Emmy-Nominierungen bekommen. „Orange is The New Black“ gilt als noch besser. Jedenfalls genossen wir diese Gegenwartskultur plötzlich nicht mehr nach dem Motto: Was kommt? Die Frage war: Was wollen wir sehen?

taz am Wochenende

Das Titelgespräch mit dem Philosophen Julian Nida-Rümelin über Thomas de Maizière, Rücktritte und Schattenbeamte lesen Sie in der taz.am wochenende vom 27./28. Juli 2013. Darin außerdem: Das Leben von Carlos Rodolfo d’Elia änderte sich, als er seine vermeintliche Mutter in Handschellen fand. Und: Wie Heckler & Koch in den USA Geschäfte macht. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Es gibt selbstverständlich Menschen, die längst eigene Wege des Konsumierens von bewegten Bildern gehen. Jüngere sowieso. Aber die gelebte Mehrheitskultur in Deutschland hat sich seit den 50ern nicht verändert: Irgendwann setzt man sich vor den Fernseher und schaut mal. Das am wenigsten Störende lässt man dann laufen. Ich am Ende doch ’nen alten „Tatort“.

Man sieht nicht fern, um etwas zu sehen, sondern um zu fernsehen. Also, um nichts sehen zu müssen. Vermutlich gilt das auch für den Konsum der Nachrichtenformate. Fernsehen ist eine „time killing machine“, wie Anke Engelke diese Woche in der FAZ sagt. Aber der Killer ist nicht das Gerät, sondern immer der, der guckt.

Daraus folgt? Man kann jederzeit sagen: Alles ist so mühsam, ich nehme abends, was im Fernsehen kommt, und schaue drei Stunden Lebenszeit weg. Nur sollte man dazu stehen und nicht ARD und ZDF für sein tristes Leben verantwortlich machen. Klar, den neuen Dokumentarfilm über Angela Davis hatten weder Netflix noch unser Videoladen. Und ich wünsche mir auch Gesprächsrunden mit Menschen, die neue Gedanken haben und neue Geschichten erzählen können. Als moderner Bürger oder gar moderner Linker hat der Mensch selbstverständlich ein Interesse, dass öffentliche Gelder dem Gemeinwesen möglichst Gutes bringen. Aber da wir Gott sei Dank in einer Demokratie leben, kann ja wohl keine humanistische Wissenselite entscheiden, was gut ist. (Sonst hätten wir auch eine echte Energiewende.)

Ich kann mich jedenfalls in diesem Bereich getrost individuell aktivieren, ohne die Solidargemeinschaft zu verraten, und mir meinen eigenen Mix bewegter Bilder zusammenstellen, inklusive Frau Engelke, Sonntags-„Tatort“ und – na ja – dem „Aktuellen Sportstudio“. Wenn ich den Arsch hochkriege, heißt das.

Die erste und einzige Frage, die man sich beim Reinstarren stellen muss, lautet jedenfalls nicht: Ist das noch unser Fernsehen? Sondern: Bin das noch ich?

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Also das ist sog. Toskanalinkenkommentar: Man akzeptiert die Segnungen des Kapitalismus für sich und der gemeine Pöbel ist sowieso selbst Schuld.

     

     

     

    Dabei ist es anders: Der "Quaitätsfunk" wird aufgenötigt; wenn die Leute die Wahl hätten, dasselbe Geld in Netflix zu invertieren, würde kein Mensch mehr ARD & ZDF sehen. Aber das Perfide ist halt: Man stellt die Zwangsversorgung bereit und die Konsumenten sind dann noch Schuld, dass sie es abnehmen.

     

     

     

    Und dann gibt es halt Toskanalinke, die nix dagegen unternehmen, weil es sie ja nicht betrifft...

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Konsum- und Profitautismus, im nun "freiheitlichen" Wettbewerb um ...

     

     

     

    Wenn ich die Flimmerkiste anmache und eine kurze Weile einer "intellektuellen" Runde beim "Diskutieren" zuhöre, dann fällt mir immer wieder nur ein Lied ein: "Von den blauen Bergen kommen wir, unsere ... sind genauso blöd wie wir"

     

     

     

    In der Hierarchie dieser Welt- und "Werteordnung", glauben manche Gruppen sie wären etwas besseres, besonders wenn sie es geschafft haben sich in den Medien zu produzieren, aber leider sind sie hauptsächlich Symptome des geistigen Stillstandes seit der "Vertreibung aus dem Paradies", gutbürgerlich-gebildet zu systemrationaler Suppenkaspermentalität auf zeitgeistlich-reformistischer Sündenbocksuche, denn Schuld müssen ja immer die "anderen" sein!?

  • M
    Michael

    Jedes mal, wen in irgendeinem Zusammenhang von ÖR die Rede ist (wirklich völlig beliebig) kommt irgendein Trottel mit "Zwangsabgaben" o. ä.

     

    Kann das sein, daß die Privaten da einen Bot ins Leben gerufen haben?

  • G
    Gast

    @Korruption

     

    Und immer, wirklich immer gibt es all die Trottel, die sich den Müll auf den Bildschirmen ÖR und privat reinziehen. Haben die alle kein eigenes Leben? Keine eigenen Freuden oder Leiden, die genossen oder eben ertragen und gelöst werden müssen?

     

     

     

    Vor der Glotze verblöden ist die ultimative Bankrotterklärung. So jemand soll mir nicht mit Menschenrechten, Würde, Freiheit usw. kommen. Dagegen ist jedes Abhängen in einer Eckkneipe ein kulturelles Ereignis..

  • K
    Korruption

    Viel interessanter wäre die Frage, warum Menschen, die mit dem Mist von ARD und ZDF nicht ihr Leben verschwenden wollen, dafür zahlen müssen. Unser Land ist inzwischen so korrupt, dass jeder Dreck irgendwie zwangsfinanziert wird, damit ein paar Geldsäcke noch fetter werden als sie schon sind.