piwik no script img

Kolumne Die eine FrageEinfach nur Irrsinn!

Peter Unfried
Kolumne
von Peter Unfried

Unfassbar, menschenverachtend. Oder: Wie werde ich eine perfekte Grünen-Twitterin? Eine Analyse der Tweets von Parteichefin Simone Peter.

Simone Peter – auf Twitter eher punktuell als komplex. Bild: dpa

V iele Grüne fragen sich: Wie kann ich auf Twitter in 140 Zeichen perfekt kommunizieren? Die Sorge ist ja: Da die digitale Echtzeitanwendung häufig als belangloses Geblubber interpretiert wird, könnte das den komplexen Grünen-Inhalten auch passieren. Wie die Parteispitze sich das so vorstellt, zeigt die Bundesvorsitzende Simone Peter (@peter_simone).

Prioritäres Artikulationsmittel ist demnach das Ausrufezeichen (signum exclamationis). Dieses wird nach Wunsch- und Aufforderungssätzen verwendet und ist damit originär grün und ein Muss! Wie das Wort „muss“ auch. Es „muss“ immer was („Bundesregierung muss“). Oder es „darf“ etwas „nicht“ („Hilfe darf nicht länger verweigert werden!“) Ein Twitter-Peter-Satz aus dem Lehrbuch: „Die Gewalt in Nahost muss so schnell wie möglich gestoppt werden!“ Man beachte die raffinierte Passivkonstruktion, die offen lässt, an welches handelnde Subjekt der moralische Appellativ sich richtet. (Weil: Es gibt ja niemand, der das stoppen könnte, außer die Grüne Weltregierung. Theoretisch.)

Ganz wichtig, um die eigene Verortung zur Welt auszudrücken, sind die Begriffe „betroffen“ und „unfassbar“. Vieles macht Twitter-Peter betroffen, das ist „immer wieder unfassbar“, aber auch die Einstellungsvoraussetzung einer Grünen-Vorsitzenden. Aufschreien ist oberste Parteikultur. „Ja, es ist eine Schande!“ – „Eine Schande, Herr Scheuer“ – „grauenhaft“ – „unwürdig“ – „menschenunwürdig“. Menschenwürdedefizite-Tweets am besten täglich. „Menschenwürde geht anders“, ruft Twitter-Peter oder auch: „Ich sage: Vorrang für Menschenrechte.“ Dazu ein mutiges „Inhumane Flüchtlingspolitik beenden!“ einstreuen. Oder ein kategorisches „Nein zum Antisemitismus!“

Die Regierenden – das meint jetzt mal nicht Ministerpräsident Kretschmann – sind „töricht“, liefern allenfalls „Rohrkrepierer“ und vor allem Grund zum beliebten Schämen-Vorwurf. „Wegducken ist beschämend, Herr de Maizière!“. Wenn selbst ein Ausrufezeichen nicht mehr genug moralischer Stinkefinger ist, dann müssen zusätzlich Versalien ran. „Regierung muss HANDELN!“

taz.am Wochenende

Sie sind zwei der besten deutschen Schriftsteller: Jochen Schmidt stammt aus Ostdeutschland, David Wagner aus der alten Bundesrepublik. In der neuen taz.am wochenende vom 11./12. Oktober 2014 erzählen sie über Kindheit und Jugend im geteilten Deutschland, 25 Jahre nach dem Mauerfall. Außerdem: Boris Palmer ist grüner Oberbürgermeister von Tübingen. Ehrgeizig, nicht nur beliebt - jetzt möchte er wiedergewählt werden. Was hat er erreicht? Und: Ab Samstag talkt Ina Müller wieder im Ersten. Ihr Studio ist eine Kneipe im Hamburger Hafen. "Sabbeln und Saufen läuft", sagt sie. Ein Gespräch. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Achtung: Es ist ganz wichtig, dass der grüne Twitterer den Kern der Parteimoral versteht; dass man selbst nicht HANDELT, sondern die anderen zum HANDELN auffordert, und im allerschönsten Fall, sich für deren HANDELN schämen kann. Aufgabe der Grünen ist nicht HANDELN, sondern alles schon immer gewusst zu haben. „Grüne Bedenken bestätigt“.

Sehr gut kommen Action-Staccati. „Transparenz!“ – „Einspruch!“ – „Eklat! – „Irrwitz!“ – „Stoppen!“. Statt Argumenten lieber ein saloppes „Einfach nur Irrsinn!#GroKo“. Und wenn alles zu schlimm wird, kann man in grüner Apokalypse-Tradition seufzen: „Keine Zukunft, nirgends“.

Was man aber auf keinen Fall tun sollte; zu fragen: „Wann wachen wir endlich auf?“ Auch wenn Twitter-Peter selbstredend die anderen meint: Ein normaler Mensch wird annehmen müssen, dass sich diese Frage zuvorderst den Bundesgrünen stellt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich kann da nicht mitreden. Habe sehr lange im Kloster gelebt. Da ist Twittern weitestgehend ein Fremdwort.

    Ich gelte wohl als antquier, denn ich twittere nicht.

    Mir ist auch wurscht. was Sie twittert. Ich lasse mir mein Leben durch twitter und Fcebook undco. nichtbeschleunigen!

    So einfach ist das.

    Man könnte die 140 Zeilen auch Geltungswahn nennen........

  • Ich weiß, die Grünen können ganz schön nerven, denn meistens haben sie die besseren Argumente.

     

    Dass man "komplexe Inhalte" gar nicht auf 140 Zeichen kommunizieren kann blendet der Autor aus und trotdem wird dies zum Vorwurf gemacht.

     

    Twitter bietet zwar die Möglichkeit den journalistischen Filter zu umgehen, allerdings erlaubt es nur kurze "Ausrufe" an deren Ende üblicherweise ein Ausrufezeichen steht. Das hat weniger mit der Farbe "Grün" zu tun als mit korrekter Zeichensetzung - was einen Journalisten eigentlich freuen sollte...

     

    Nicht handeln zu müssen war immer schon immer das Privileg der Journalisten, Foristen... und der Opposition.

    • D
      D.J.
      @Grisch:

      Oder, wie es schon Fürnberg ausdrückte:

       

      Sie hat uns alles gegeben. / Sonne und Wind und sie geizte nie. / Wo sie war, war das Leben. / Was wir sind, sind wir durch sie. / Sie hat uns niemals verlassen. / Fror auch die Welt, uns war warm. /

      ...

      Die Partei, die Partei, die hat immer Recht! / Und, Genossen, es bleibe dabei; / Denn wer kämpft für das Recht, / Der hat immer recht. Gegen Lüge und Ausbeuterei. / Wer das Leben beleidigt, / Ist dumm oder schlecht. / Wer die Menschheit verteidigt, / Hat immer recht.

      ...

      Sie hat uns niemals geschmeichelt./

      Sank uns im Kampfe auch mal der Mut, / Hat sie uns leis nur gestreichelt, / zagt nicht und gleich war uns gut. / Zählt denn noch Schmerz und Beschwerde, / wenn uns das Gute gelingt."

  • Weibchenmentalität: Viel reden , nix sagen hähä

    • @Proledemiker:

      Das kenne ich genauso gut von Männern. Hat mit "Weibchen" weniger zu tun als "Menschen". Also heben Sie sich ihren Sexismus bitte für den Stammtisch auf. Dankeschön.

  • Claudia Roth hat das alles auch schon gekonnt... nur nicht so twitterig kurz.

  • Nun, über Floskeln wie "zynisch und menschenverachtend" hat man im Eckhard-Henscheid-Umfeld schon in den frühen Achtzigern abgekotzt.

    Ein Dummdeutsch 2.0 täte not... ( "tut not"? OMG, ich ertappe mich jetzt bei einer tantenhaften typischen ZEIT-Floskel).

    Zerknirscht nach links ab.

    • @Chalchiuhtecolotl:

      Gell, Reden ist in diesen Zeiten schwer geworden, wo man nicht mehr hinhört, was einer sagen will, sondern nur noch aufspießt, wie er es sagt. (Habe ich "er" gesagt? Ich meine natürlich "er und sie")

      • D
        D.J.
        @Bernhard Meyer:

        Eigentlich anderes Thema, aber verwandt: Die Machtausübung besteht hier v.a. darin, den Kreis der unerwünschten Worte zu erweitern und andererseits neue, "progressive" Worte zu kreieren. So besteht eine ständige Unsicherheit, ob das eigene Reden denn noch angemessen oder gar sündhaft, sprich reaktionär ist. Steht die Sprachpolizei nur Wache, verliert sie an Macht. Sie braucht stets ihre eigenen neuen Gesetze.

      • @Bernhard Meyer:

        Nun, dass die hier beschriebene Kommunikationsform Ausdruck der programmatischen und intellektuellen Hilflosigkeit ist - geschenkt.