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Kolumne Die eine FrageAgenten des Paranoia-Wachstums

Peter Unfried
Kolumne
von Peter Unfried

Eine Frage nach dem Mordanschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris: Helfen „westliche Werte“?

Wer sind „wir“, wer sind „die anderen“? Bild: dpa

D er Mordanschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo galt nicht nur den Getöteten. Gemeint waren – und sind – viele mehr. Das macht Angst. Und die Angst ist berechtigt: Wer die Freiheit der Meinung verteidigt, der ist das Ziel.

Millionen haben auf Plätzen und im Internet ein Banner mit der Aufschrift „Je suis Charlie“ hochgehalten oder gepostet. Das kann man so verstehen, dass Menschen den Mördern von Paris defensiv aber nachdrücklich sagen, dass auch sie Charlie sind. Also genau wie die Ermordeten für die Freiheit der Meinung, der Satire, des subversiven Humors, der Religionskritik stehen. Dass die Terroristen also eine ganze Menge zu tun haben, wenn sie alle vernichten wollen, denen diese Freiheit wichtig ist.

Die Gefahr ist, dass die berechtigte Angst von Leuten mißbraucht wird, die damit eigene politische Ziele durchsetzen wollen. So kann sie eine fatale Paranoia verstärken.

Paranoia ist eine verzerrte Wahrnehmung, die davon ausgeht, dass eine andere Gruppe sich gegen einen verschworen hat und einen vernichten will. „Expansion der Paranoia-Zone“ nennt der Philosoph Peter Sloterdijk in seinem jüngsten Buch „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“ eine der Entwicklungen, auf die die Welt zusteuert. Sie ist das letzte, was die Weltgesellschaft brauchen kann, wenn sie die komplizierten Aushandlungsprozesse der Gegenwart einigermaßen in den Griff bekommen will.

Die schrecklichen Kinder der Neuzeit

Deshalb ist es wichtig, die Strategien aufzuzeigen, die die Agenten des Paranoia-Wachstums aller Seiten betreiben. Die, die den Anschlag zu verantworten haben, weil sie Allah bedroht sehen - und die, die ihn nun für ihre Zwecke instrumentalisieren, weil sie Allah angeblich fürchten. Und die, die noch ganz andere Interessen haben. Es ist nicht banal, sondern wichtig, dass man auf der Differenzierung zwischen Moslems und Islamisten besteht. Es sind übrigens ja nicht nur Islamisten, sondern Ideologen aller Art, die Satire und Humor und die Freiheit der anderen Meinung hassen, weil sie darin eine Gefährdung der reinen Lehre sehen.

Aber es geht um mehr: Sloterdijk führt in seinem Buch auf eine nüchterne Art aus, was sich im Moment vollzieht. Immer mehr Menschen drängen in den „Weltinnenraum des Kapitals“, die „Rechts-, Anerkennungs- und Anspruchszone“, wie er Wohlstandsgesellschaften nennt. Gleichzeitig drängen diese Gesellschaften manche bisherigen Teilhaber nach draußen – das soziale Netz wird weitmaschiger. Es werden mehr, die das Gefühl haben, ausgegrenzt und aus der Anspruchzone geschleudert zu werden. Was deutsche Pegida-Leute erst fürchten, haben manche französische Islamisten vielleicht schon abgehakt, weshalb ihnen „Lügenpresse“-Rufe nicht mehr reichen.

Wer ist ihr Feind? Jemand, an den oder etwas, an das man nicht herankommt. Weshalb man Stellvertreterkriege anzettelt: Für Allah. Gegen Allah. Gegen Einwanderer. Gegen die Presse.

Aber unter der Oberfläche geht es weder um Religion noch um die Aufhebung der Pressefreiheit. Wenn man heute noch ein „Wir“ konstruieren kann, dann sind wir die, die drin sind. „Die“ sind die, die draußen sind oder in Angst davor. Es geht also um die globale Aufhebung dieses Innen und Außen. Das einzige Vermittlungsinstrument ist nicht nur laut Sloterdijk: Wohlstandsbeteiligung.

Das Problem ist, dass die „westlichen Werte“ das nicht hergeben.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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4 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Hmm? Wie ists´so mit Islamkritik? (Karikaturen etc.) .. oder mit Karikaturen an islamisch/politischer Praxis? Oder mit Israelkritik (Kritik an Israels Staatsdemokratischer Praxis) ?

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Wie kann es wirklich-wahrhaftige / zweifelsfrei-eindeutige Presse- und Meinungsfreiheit geben, wenn auch der nun "freiheitliche" Wettbewerb um ... nur eine Welt- und "Werteordnung" in UNWAHRHEIT betreibt???

     

    Ein Zusammenleben OHNE die menschenUNwürdigen Symptomatiken / entmenschlichenden Unterprogramme des "freiheitlichen" Wettbewerbs um "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei" ist absolut machbar!!!

  • Wer wann und wie begonnen hat, die Sloterdijksche "Rechts-, Anerkennungs- und Anspruchszone" zu erschaffen und damit nicht nur Menschen ein-, sondern auch welche auszuschließen, wird sich heute nicht mehr klären lassen. Fakt scheint zu sein, dass dieser Ausschluss bis heute nur in Ausnahmefällen widerstandslos akzeptiert wird, weshalb er immer wieder zu Gewaltexzessen führt, die ihrerseits für eine Art von Panik sorgt, die blinden Aktionismus walten lässt.

     

    Im Augenblick kann es nur darum gehen, die "Expansion der Paranoia-Zone" zu verlangsamen. Die Zone selbst zu schrumpfen, wäre erst der zweite Schritt.

     

    Dass sie am Ende vollständig verschwinden wird, die "Paranoia-Zone, glaube ich natürlich nicht. Ein bisschen Panik ist ja immer. Ich hoffe lediglich, dass ein Bewusstsein dafür in die Welt kommt, dass man da was kontrollieren muss – und ein gewisser Konsens noch dazu, wie, ganz genau, das gehen kann.

     

    Dass unsere "westlichen Werte" mit Blick auf diesen Konsens gar nichts hergeben, glaube ich im Übrigen noch nicht. Man müsste nur, so, wie man Islamisten vom Islam zu trennen sucht, vom Abendland den Okzidentalisten subtrahieren. Der Extremismus ist ja schließlich nicht an einen Wert gebunden. Er hängt an Leute, die den Wert missbrauchen. Und dass es solche Leute da nicht geben kann, wo weiße „Bürger“ Bildung und Erziehung haben, ist bloß ein dummes Vorurteil das abgeschafft gehört.

  • Man könnte die Grenze aufheben, indem man eine andere Tugend aus längst vergangen Zeiten wieder hervorholt. Eine ordentliche Starfverfolgung durchführen und genau zeigen wer, wann, was gemacht hat. Damit zeiht man die Grenzen entlang den Gesetzen des Landes.

     

    Aber das scheint heute ja niemand mehr zu interessieren? Beweise? Pah! Indizien? Nö! Die Presse, die irgendwas behauptet? Reicht, anach hört ja keiner mehr zu.

     

    Anders ausgedrückt: Hätte der "Islam" die gleichen Anwälte wie ehemalige Bundeskanzler, wären die Überschriften und die Kommentare in den Zeitungen etwas anders.