Kolumne Die Kriegsreporterin: Der Königspudel der Talkshowtalker
Roger Willemsen stirbt 20 Jahre zu früh, Thomas Gottschalk bekommt eine Sendung bei RTL und Gruner + Jahr ist beeindruckend unfähig.
H allo taz-Medienredaktion! Ich sage das ja nicht gern, aber ich stelle fest: Man mag mich nicht. Also viele mögen mich nicht. Und ich glaube, bei Gruner + Jahr, wo in den Minuten, da ich dieses Kolümchen schreibe, die Betriebsversammlung stattfindet, weil es das gibt, was man Klärungsbedarf nennt, ist man auf der Ebene der Beschwichtiger sehr froh, dass ich nicht angerückt bin, um Dinge zu notieren.
Ging aber nicht und nun hoffe ich, dass die Kollegen vom NDR-Medienmagazin „Zapp“ die Stange der Aufrechten hochhalten und berichten, was außer Dir und den Öffentlich-Rechtlichen keine Zeitung verbreitet. Schlicht, weil beim Thema „Scheinselbstständigkeit“ und der Notwendigkeit, freie Journalisten und Dienstleister fair zu beschäftigen, mehr oder weniger alle Verlage bislang im Boot „Lug & Trug“ saßen.
Auf der anderen Seite frage ich mich, warum ausgerechnet die Zappis und ich wieder für das Gute kämpfen sollen, wenn bei Gruner Leute arbeiten, die es über Jahre nicht stört, dass sie jenseits der Legalität beschäftigt sind und nun, wo Arbeitslosigkeit droht, nicht einmal willig sind, etwas Rotes auf der Betriebsversammlung zu tragen, um als BetroffeneR sichtbar zu sein. Haben diese Angsthasenpfeffernasenegoschleimscheißer es verdient, dass man für sie in den Kampf zieht? Wohl eher nicht. Es bleibt aber die Sache an sich, die benannt werden muss, die beeindruckende Unfähigkeit des Vorstandes von Gruner + Jahr, diesen Konzern zu leiten, dass ich hoffe, bald wieder auf der Höhe zu sein.
Aber nicht nur ich, auch Männer sind nicht mehr das, was sie mal waren. Der Königspudel der Talkshowtalker etwa, Roger Willemsen, stirbt einfach mal 20 Jahre zu früh – wobei er zum Glück rechtzeitig aufgebrochen ist, 1998, um die Welt mit der zweiteiligen Fernsehreportage „Bordelle der Welt“ zu beglücken.
Und das, was Journalisten in jungen Jahren die Morgenlatte war, ist heute der „Morgenletter“, der Versuch, in aller Herrgottsfrühe das Publikum zu begeistern. Ich will keine Namen nennen, aber es lässt sich sagen: Immer mehr Chefredakteure um die 50 schreiben jetzt zu früher Stunde schon mal was auf. Das heißt dann „Die Lage“, „Der Stand“ war ja gestern. Fakten statt … hümps, räusper, grispel, das wird jetzt selbst mir zu … schlicht.
Da möchte ich doch lieber in Erinnerung an Roger Willemsen, dessen cremige Matscheart ich immer schrecklich fand – das muss ja bei der ganzen Lobhudelei auch mal gesagt werden –, an sein großartiges Interview mit Helmut Markwort aus dem Jahr 1995 erinnern, in dem er den damaligen Focus-Chefredakteur mittels eines Filmausschnitts an seinen Auftritt als fummelnder Taxifahrer in einem Softporno erinnerte. Ansonsten: Die Nachrufe sind – zumindest in den Leitmedien – ausnahmslos von Männern geschrieben. An dieser Stelle sind die dann doch noch das, was sie mal waren: von Geltungssucht und Deutungshoheit getrieben.
In diesem Zusammenhang ist vielleicht auch die Meldung zu deuten, dass Thomas Gottschalk bei RTL eine Sendung bekommen soll, ein „Gottschalk-untypisches Format“, wie es bei RTL heißt. „Konkret soll der Showmaster eine Sendung moderieren“, schreibt Kai-Hinrich Renner in seiner Kolumne im Handelsblatt, „die so etwas wie ein Quartalsrückblick ist und journalistische Magazinbeiträge ebenso enthält wie Gespräche mit Studiogästen.“ Ähm … gab es das nicht schon mal, #ARD? Eine Sendung, deren Konzept sich genau so anhörte, bis auf das Wort „Quartal“? Und war da nicht irgendwie was mit Scheitern? Also mit grandiosem Scheitern? Glücklich, wer mit dem Alter vergisst! Und damit zurück nach Berlin!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos