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Kolumne Das TuchBlind vor lauter Ärger

Kübra Gümüsay
Kolumne
von Kübra Gümüsay

Ich spüre kein dringendes Verlangen mehr, alles und jeden zu überzeugen, mich zu verteidigen. Ich bin keine Wutbürgerin mehr. Ich bin jetzt gelassen.

N icht mehr wütend zu sein, das habe ich irgendwann beschlossen. Nicht mehr wütend über die bis in den Himmel stinkenden Ungerechtigkeiten von Menschen und auf ihre Macht. Denn die Wut ändert nichts an der Ungerechtigkeit, aber mich. Sie macht den Wütenden kaputt, verbittert. So will ich nicht werden.

Und dann ist es passiert: Die Wut war weg. Die Wut ist langsam und vorsichtig gegangen und hat eine seltsame Gelassenheit in mir hinterlassen. Eine, die mich manchmal selbst überrascht. Ich spüre kein dringendes Verlangen mehr, alles und jeden zu überzeugen, mich zu verteidigen. In Menschen, die mich aufgrund von Äußerlichkeiten nicht mögen oder gar hassen, sehe ich eine spannende Herausforderung. Ich will sie verstehen.

Im Zug zwischen Davis und Berkeley an der Westküste der USA schreit mich eine Frau an. Sie schimpft über die Muslime, die den Westen ruinierten. Dann schaut sie mir in die Augen. „Nichts gegen dich“, sagt sie. „Aber die Muslime sollten endlich zurück in ihre Länder. Und ihr Öl können sie mitnehmen!“

Bild: taz
KÜBRA GÜMÜSAY

ist Bloggerin, Journalistin und taz-Kolumnistin.

Ich schaue aus dem Zugfenster auf die Landschaft, an der wir vorbeirasen. Es ist ein anderes Amerika, das ich bei dieser Reise erlebe. Nicht mehr nur Großstädte mit Glitzer, hellen Nächten und beschäftigten Menschen, sondern auch Natur, Grün, ruhige, kaputte Menschen, Armut und Einsamkeit.

Ich beobachte, wie sie aus dem Fenster schaut, schmerzvoll lächelnd und zitternd. „Weißt du“, flüstert sie, „ich bin gekommen, um zu sterben.“ Sie habe Krebs, keine Versicherung, einen Sohn im Gefängnis, eine Mutter, die sie hasst, und bald werde es einen Tsunami geben. Sie werde ihn stoppen. Weil ihr Sohn im Gefängnis nicht weglaufen und sich schützen könne.

Terror, Unterdrückung und Kopftuch

Ein paar Wochen später bin ich im konservativen US-Staat Texas. Meine Freundin Macarena ist dort Professorin an einer kleinen Universität. Letzte Woche hätten sie im Unterricht über Muslime diskutiert, hitzig und schwierig sei die Debatte gewesen. „Die haben noch nie Muslime getroffen“, erklärt Macarena. Heute sitze ich mit ihr vor den Studenten. Einige vermeiden Augenkontakt. Ich erzähle drauflos, die Stimmung löst sich. „Fragt ruhig“, sage ich anschließend. „Egal, was ihr wollt.“

Es kommen die klassischen Fragen zu Terror, Unterdrückung und Kopftuch. Dann meldet sich eine Studentin. Sie möchte gerne etwas gestehen, sagt sie. Das erste Mal habe sie von Muslimen aus dem Fernsehen erfahren, der 11. September war es gewesen. Später habe sie ein Buch über eine unterdrückte Frau in Saudi-Arabien gelesen. „Jedes Wort habe ich aufgesaugt“, sagt sie.

„Und dann hatten wir eine muslimische Nachbarin. Ich habe sie nicht sehr oft gesehen.“ Sie wird rot, ihre Augen gläsern. „Eines Tages stand ein Krankenwagen vor ihrem Haus. Ihr Mann hatte sie die Treppen heruntergestoßen.“ Sie lächelt mich an. „Es ist das erste Mal, dass ich eine Muslimin wie Sie kennen lerne.“

Macarena schickt mir später einen Text, den die Studentin über unsere Begegnung geschrieben hat. Er endet mit den Worten: „Ich möchte meine Welt neu ordnen, verstehen und mögliche Missverständnisse beheben. Ich weiß, es wird lange dauern. Aber ich kann mir keinen besseren Weg mehr vorstellen, als mein Leben mit der Suche nach der Wahrheit zu verbringen, statt mit Lügen zu leben.“

Das möchte ich auch. Denn die Wut macht blind.

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Kübra Gümüsay
Jahrgang 1988. Autorin des Bestsellers "Sprache und Sein" (Hanser Berlin, 2020). Bis 2013 Kolumnistin der Taz. Schreibt über Sprache, Diskurskultur, Feminismus und Antirassismus.
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17 Kommentare

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  • SK
    Samina Khan

    Ich frage mich, weshalb sich die meisten hier so ärgern. Sie ärgern sich darüber, dass es nun keine böse Muslimin mehr gibt, die ihre Wut auf das Abendland in Worte fasst und so den Untergang herbeiruft...Wie man es macht, macht man es falsch. Eine Kolumne ist immer die Sichtweise es Erzählers und diesem Lüge zu unterstellen nur weil sie reist und erzählt, ist so schäbig wie der Vorwurf: "Migrantinnen wollen alle Geld verdienen!"

     

    Man glaubt ihre nicht, dass sie reist und unterstellt ihr Lügen, weil sie eine Türkin mit Kopftuch ist. Die braune Soße in manchen Kommentaren ist kaum noch zu ertragen !

  • AA
    abu Aggro

    Die Wut muss ungefähr beim 40.000 sten Toten in Syrien verflogen sein.

     

    Vielleicht machen sich angesichts dessen auch viele Nichtmuslime plötzlich weniger Sorgen wegen des Islams und der Muslime; und vielleicht sind sie deswegen auf einmal viel umgänglicher geworden; oder sie wirken zumindest so.

     

    Es soll ja Wirkung und Wechselwirkung geben.

  • EM
    El Moro

    Kübra, ich liebe dich! Du bist die Fahnenhalterin der heutigen Ausländer-Generation: jung, hübsch, intelligent und muslimisch. Weiter so!

  • M
    Mutbürgerin

    Ich wünschte mir ein buntes Deutsch-land her, weniger schwarz-weiß und gar nicht braun.

     

    Verrückt, wie herzallerliebst Frau Gümüsays Kolumnen dazu gebraucht werden Islamfeindlichkeit einen öffentlichen Raum zu geben. Weiter so Deutschland, vielleicht schaffst du es auch endlich mal die Farbe zu ändern.

     

    Grrr...böser Islam, fast so schlimm wie die Juden damals. Aber das Problem wurde ja schon beseitigt.

  • T
    thomas

    Kann mir jemand den ideologischen Unterschied erklären zwischen der (Kristina) Schröder und der Gümüsay?

  • J
    Jacinta

    @Tommy: in Deutschland wäre es unglaublich, aber die Amis quatschen oft an in dem Bahn und sie erzählen auch sehr offen über Tod und Krankheit und so, finde ich.

  • T
    tommy

    @polyphem:

     

    Na ja, zu Jesus sage ich jetzt mal nichts (da ist sowieso aufgrund der Quellenlage so vieles umstritten), aber Sokrates hat es ganz sicher verdient, hingerichtet zu werden, denn er war ein übler Volksfeind, der Demokratiefeinde gelehrt hat und das Volksgericht verspottet hat. Nach heutigen Maßstäben ein Verfassungsfeind, den die Demokratie aus Notwehr entfernen musste.

  • P
    polyphem

    @Blind & Fortschritt?:

    Sie haben es erfasst. "Bescheidenheit und Sanftmut sind die höchsten Formen der Arroganz." Das muss wohl so sein, damit wir solche Menschen wenigstens wegen ihrer Arroganz verachten können. Moralisten vom Typ Sokrates, Jesus von Nazareth usw., die hatten es verdient, dass sie umgebracht wurden.

  • I
    ion

    "Ich spüre kein dringendes Verlangen mehr, alles und jeden zu überzeugen, mich zu verteidigen. In Menschen, die mich aufgrund von Äußerlichkeiten nicht mögen oder gar hassen, sehe ich eine spannende Herausforderung. Ich will sie verstehen.";

     

    Frau Gümüsay, nein, "verstehen" dürfte Ihnen bei dem, was Sie über sich selbst schreiben, eher unmöglich sein; Bliebe: GLAUBEN Sie einfach, womöglich sind jene Allahs’ advices für/an Sie.

     

    Aber da ich bezüglich Ihrer Textchen schon länger der Meinung tommys’ bin und davon ausgehe, dass Sie eine rege ‘Phantasie’ haben, dürften eher ganz andere Maßnahmen indiziert sein.

     

    Müssen ‘wir’ uns ernstlich Sorgen machen⸮

     

    ♲ (03.12.2012 16:37)

  • A
    aujau

    Blind sind wir alle in erster Linie für die Tatsache, dass unser Frust, den wir an den Anderen ablassen, in erster Linie aus unser eigenen Gewaltkultur kommt. Die Ignoranz dieser Tatsache haben wir mit den Anderen gemeinsam. Wir unterscheiden uns viel mehr in den positiven Eigenschaften, die sich ergänzen sollten. Dann wird auch die blinde Wut ein wirkliches Ende haben.

  • T
    tommy

    Also irgendwie bekommen ich zunehmend den Eindruck, dass die Geschichten von Frau Gümusay zu beträchtlichen Teilen erfunden sind. Vor ein paar Wochen ein Waffenhändler, mit dem sie im Flugzeug ins Gespräch kommt, jetzt eine krebskranke Muslimhasserin, die ihr im Zug über ihr verkorkstes Leben erzählt. Glaubwürdig finde ich das alles nicht.

  • F
    Fortschritt?

    Nun, wer nichts Anderes drauf hat, als auf Kritik und Ablehnung mit Wut zu reagieren, ist zwar auch verdammt arm dran; sowohl psychisch als auch intellektuell.

    Aber bei so einem Menschen, kann man wenigstesn noch vermuten, dass es in seinem Inneren noch so eine Ahnung gibt, dass er nicht immer recht hat.

     

    Wer nur noch mit einem milden Lächeln reagiert, dem ist auch diese Ahnung abhanden gekommen.

     

    Von psychischer oder intellektueller Reife zeugt keines der beiden Verhaltensmuster. Beim ersten gibt es aber noch eine schwache Hoffnung, auf prinzipielle Lernfähigkeit;

    beim zweiten nicht mehr.

     

    Gibt es von Ihnen irgend einen Text über ein Erlebnis, wie Sie durch die Kritik eines NichtMuslims irgendwas Tolles gelernt haben?

     

    Kleine Scherzfrage.

  • B
    Blind

    Wie gut, dass es noch unzählige andere Möglichkeiten gibt, nie in Erwägung ziehen zu müssen, ob Menschen, die Kritik an einem selber oder an etwas, das einem wichtig ist, nicht vielleicht manchmal schlicht und einfach recht haben.

     

    Psychologisierung zum Beispiel.

    So zerfessen von einenen Sorgen, die Armen, von Minderwertigkeitskomplexen, von einem miesen Leben... aber ich bin erstens so schlau und gebildet, dass ich das durchschaue und zweitens so großmütig, dass ich ihnen vergeben.

    (Nicht wahr, lieber Leser, das erkennst Du schon zwischen den Zeilen:

    Ich bin toll, toll, toll.)

     

    Oder schlicht fehlinformiert, die Armen.

    Kein Wunder, bei den bösen Medien.

    Zum Glück bin ich da und kann informieren. Hat die Welt vielleicht ein Schwein, dass es mich gibt.

     

    Dass man einfach mal im Unrecht ist und selber den Fehler gemacht hat, kann niemals sein.

  • E
    eld

    Vielleicht haben sie ja Augenkontakt vermieden, um auf die Glocken zu gucken. Würde ich jedenfalls tun. (Schön in diesem Zusammenhang das Wort zur Spamvermeidung "hupe").

  • A
    anke

    @Nordwind und Biene:

    Ich glaube euch, dass es kein gutes Gefühl ist, von anderen Leuten bedauert zu werden für die Wut, die man mitunter (ganz zu Recht) empfindet als Mensch. Bloßes Mitleid ist an einer Stelle, wo Handeln dringend geboten wäre, manchmal schlimmer als ein Schlag auf die Nase. Für den Schlag ins Gesicht nämlich dürfte man sich mit einem Schlag ins Gesicht "bedanken". Für das Bedauern nicht. Man muss die Augen also ganz fest verschließen, wenn einem ein Text wie der von Kübra Gümüsay begegnet. Ein Text, meine ich, der weiter nichts tut, als etwas Erlebtes nachzuerzählen. In einer Art und Weise, die blinde Wut ins Unrecht setzt. Ja, sie haben es schwer, die Guten. Viel schwerer als die, die blindwütig um sich schlagen. Die erreichen zwar auch nicht mehr als die Sanftmütigen (eher erreichen sie weniger, will mir scheinen), sie sind nachher aber wenigstens ihre innere Anspannung los. Und das ist ja auch schon was. Vielleicht ist es in eurem Fall alles, was überhaupt möglich ist. Ich fände es schade, wenns denn so wäre.

  • N
    Nordwind

    Ohne Wut bleibt immer noch die Arroganz, die blind macht.

    Was für ein schrecklich altkluges Gelaber einer Studentin der Politikwissenschaft, die im Duktus einer Altersweisen die Welt erklärt; mit Anfang Mitte 20!

    Da wundert es kaum, dass die Zuhörer den Augenkontakt zur "Freundin" der Dozentin meiden - vor peinlicher Berührung.

  • B
    Biene

    Schön, wenn das Weltbild so einfach ist.

    Vielleicht sollte die Autorin mal Schulen im Ruhrgebiet oder Berlin besuchen. Da wird sie Menschen treffen (Lehrer, Kinder, Eltern), die weder keine Krankenversicherung haben noch anders benachteiligt sind. Sie erleben in ihrem Viertel und ihrer Schule muslimische Realität. Ich war selbst einer von ihnen. Bin von meinen Eltern so erzogen worden, dass jeder Mensch gleich ist. Nach Jahre langem Terror und der Erleben der Realität bin ich heute eher skeptisch, was den Islam angeht.

    Es war nicht schön, mit vielen Muslimen auszuwachsen. Ich kenne niemanden, der seine Kinder freiwillig auf eine Schule mit vielen Muslimen schickt. Grüne vorneweg. Das hat Gründe!

     

    Ich kann der Autorin nur empfehlen mal aus ihrer Seifenblase rauszukommen und zu sehen, dass viele durchaus ihre Gründe haben, ablehnend zu sein. Dass sie ihr eigenes Weltbild vom armen, falsch verstandenen Moslem zeichnet, ist für mich unverständlich.