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Kolumne Cannes CannesDie Liebe zwischen Mann und Frau

Cristina Nord
Kolumne
von Cristina Nord

Über die Eleganz von Philippe Garrels Film „L’ombre des femmes“ und das mäßige Fernsehspiel „La tête haute“ mit Catherine Deneuve.

Szene aus „L’ombre des femmes“: Pierre (Stanislas Merhar) und seine Geliebte Elisabeth (Lena Paugam). Bild: SBS Distribution

S eit ich in Cannes bin, gehe ich Tag für Tag an einem Blumengebinde vorbei, das an einer Häuserwand neben einem Straßenschild hängt. Die weißen Blüten färben sich schon an den Rändern gelblich. Als ich am Donnerstagmorgen ins Kino eile, steht der Lieferwagen eines Floristen ein paar Meter von dem Schild entfernt. Der Florist nimmt das Gebinde ab: „Pierre Graglia, Héros de la Résistance“ steht auf dem Schild. Graglia, erfahre ich aus dem Netz, war ein junger Mann aus Cannes, der sich dem Maquis, dem Widerstand gegen die deutschen Besatzer, anschloss und im Département Drôme kämpfte. Am 22. Februar 1944 wurde er von deutschen Soldaten erschossen.

Der Zufall will es, dass in dem Film, zu dem ich eile, „L’ombre des femmes“ (Der Schatten der Frauen) von Philippe Garrel, auch ein Widerstandskämpfer auftaucht, und zwar als Zeitzeuge eines Dokumentarfilms, den der Protagonist des Films, Pierre (Stanislas Merhar), zu drehen im Begriff ist. Der alte Mann erzählt, wie er sich der Résistance anschloss, während seine Frau dem Filmemacher und dessen Frau Manon (Clotilde Courau) Plätzchen reicht, „mit Anis“. Die Kamera schwenkt langsam von der einen Seite des langen Tischs zur anderen, von Pierre und Manon an der alten Frau vorbei zum alten Widerstandskämpfer und zurück.

Garrels Filme sind in deutschen Kinos leider so gut wie nie zu sehen; sie teilen dieses unfaire Los mit den Arbeiten anderer relevanter französischer Autorenfilmer, etwa mit denen Arnaud Desplechins oder denen Serge Bozons. Der 67 Jahre alte Regisseur bearbeitet immer wieder dasselbe Sujet, die Unmöglichkeit der Liebe zwischen Mann und Frau, und darum kreist auch „L’ombre des femmes“ in eleganten, schwarz-weißen, auf 35 mm gedrehten Bildern, die nichts an den Lebensumständen der Filmfiguren beschönigen.

So heruntergekommen ist die Wohnung von Pierre und Manon, dass man sofort begreift, wie wenig sich Paris als Wohnort für Dokumentarfilmer ohne reiche Eltern eignet. Überhaupt, wie lassen sich Liebe und Leidenschaft bewahren, wenn man miteinander in einer 1-Zimmer-Butze lebt? Wenn die eine in seltsamer Selbstaufgabe die Zwiebeln für den anderen hackt, dessen Hemden bügelt und dessen Filme schneidet? Die Sache wird nicht einfacher, als sich Pierre in Elisabeth verliebt und Manon in Fédir. Garrel versteht sich meisterlich darauf, den Schmerz, der im Betrügen und Betrogenwerden wurzelt, in Szene zu setzen, etwa wenn Pierre in einer halbnahen Einstellung in der Küche steht, nachdem er Manon rausgeworfen hat. Er löffelt Reis von einem Teller wie jemand, der, solange er allein ist, nicht die Ruhe aufbringt, sich zum Essen an einen Tisch zu setzen, und seine Wange schimmert dabei feucht.

Eine Stimme aus dem Off

Ungewohnt an „L’ombre des femmes“ ist ein für Augenblicke aufscheinender, heiterer Tonfall. Was bei Garrel sonst dem Bereich des Dramas zufällt, verwandelt sich dann in eine Art Melokomödie, etwa, wenn eine Stimme aus dem Off Pierres Handlungen und Selbstwahrnehmung kommentiert. „Er war kein Mann, den man betrügen konnte“, heißt es dann, und in der Stimme steckt Erstaunen über so viel Größenwahn. In solchen Momenten ist es, als wären zwei Zeitebenen zugleich im Spiel: die der Gegenwart, des Schmerzes, und die einer noch nicht eingetretenen Zukunft, in der man mit Gelassenheit auf den Schmerz vergangener Tage blicken wird.

Und der Widerstandskämpfer? Entpuppt sich am Ende als Betrüger. Er hat seine Genossen verraten und sie den deutschen Kugeln ausgeliefert, sagt Manon ungerührt, als sie nach einem Jahr der Trennung Pierre wiederbegegnet. „Mein Film ist wertlos“, sorgt sich Pierre, und Manon kontert: „Wieso? Mach doch einen Film über einen falschen Widerstandskämpfer.“

„L’ombre des femmes“ hat am Donnerstag die Nebenreihe Quinzaine des réalisateurs eröffnet. Dem Film, mit dem tags zuvor die Sélection officielle eingeweiht wurde, „La tête haute“ von Emmanuelle Bercot, geht Garrels Eleganz leider ab. Ohne Scheu vor dem Niveau eines mäßigen Fernsehspiels und ohne eine Spur von Kritikfähigkeit gegenüber den Institutionen des französischen Staates erzählt Bercot von einer Jugendrichterin (Catherine Deneuve) und einem Jungen, der schon als Teenager ein gewaltiges Strafregister hat.

Sara Forestier, die Darstellerin der Mutter, bekommt eine faulig ausschauende Zahnprothese verpasst – ganz so, als könnte man damit ein Milieu evozieren und sich einem Realismus verschreiben, der nicht reflektiert, wie sehr er Produkt einer künstlerischen Anstrengung ist.

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Cristina Nord
Kulturredakteurin
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