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Kolumne BalkongesprächeUnübersichtliches Wurzen

Helke Ellersiek
Kolumne
von Helke Ellersiek

Auch Deutsche unter den Tätern? Die Polizei Leipzig trennt zur besseren Übersichtlichkeit zwischen „Deutschen“ und „Ausländern“.

Unübersichtliche Lagen führen bei der Polizei Leipzig manchmal zu einfachen Maßnahmen Foto: dpa

M eine Nachbarin sagt, in der Eisenbahnstraße müssten noch mehr Polizisten Streife fahren. Das würde was gegen ihr Image als „gefährlichste Straße Deutschlands“ tun. So heißt die Straße im Leipziger Osten seit einer berüchtigten Reportage, die gefühlt die halbe Republik gesehen hat. „Aber die Polizei nennt ja fast nie die Herkunft der Täter“, sagt meine Nachbarin noch enttäuscht.

Da kennt sie die Leipziger Polizei aber schlecht. In der Landkreisstadt Wurzen ging es in der Nacht auf Samstag vergangener Woche reichlich unübersichtlich zu: Nach einem Streit in der Innenstadt eskalierte ein Streit zwischen selbsternannten Wurzener Ureinwohnern und Bewohnern einer Flüchtlingsunterkunft, oder wie es die Polizei dann zur besseren Übersichtlichkeit formulierte: zwischen Deutschen und Ausländern.

Weil man noch nicht sagen könne, welcher Anlass die Gewaltkette begründete und ob sie sich überhaupt wie in der Pressemitteilung beschrieben abgespielt hat, „muss zur Vereinfachung leider auch auf die wenig differenzierenden Begriffe ‚Deutsche‘ und ‚Ausländer‘ zurückgegriffen werden“, beschreibt die Polizeidirektion ihre hübsche Kausalität. Dabei ist eigentlich nur eine der beiden Bezeichnungen neu, nämlich, dass dort „Deutsche“ auch als solche benannt werden.

Das gibt der Pressemitteilung, in der „Ausländer“ fünf Mal und „Deutsche“ sieben Mal auftaucht, gleich eine ganz neue Tonalität. Etwa wenn es dort heißt, es „stürmten dann wohl wiederum mehrere Deutsche in das Wohnhaus der Ausländer“, verprügelten die Bewohner, von denen einige danach die Gruppe aus 30 Deutschen verfolgten.

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An der Szene, die diese Formulierung zeichnet, rüttelt dann auch nicht mehr, dass die Polizei sich in der für ihre Neonazis bekannten Stadt noch nicht festlegen will, „ob die Gewalt durch eine rassistische bzw. extremistische Motivation begleitet wurde.“ Ob diese Form der Herkunftsnennung im Sinne meiner Nachbarin ist, wird sich wohl erst beim nächsten Balkongespräch herausstellen. Die Pressemitteilung hängt schon an meiner Pinnwand.

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Helke Ellersiek
freie Autorin in Leipzig
Helke Ellersiek, Jahrgang 1994, studiert Politikwissenschaft in Leipzig und schreibt seit 2015 für die taz, zunächst als NRW-Korrespondentin und später im Team der taz.Leipzig. Seit 2017 berichtet sie für verschiedene Medien aus Ostdeutschland.
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2 Kommentare

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  • 4G
    42494 (Profil gelöscht)

    Wie sollte es denn korrekt beschrieben werden?

  • Das glaube ich kaum, dass sich bereits „beim nächsten Balkongespräch herausstellen“ wird, ob „diese Form der Herkunftsnennung“ ganz oder teilweise „im Sinne“ der Nachbarin ist. Herausstellen wird sich höchstens, ob die Nachbarin sie in dem Augenblick gut findet, in der das Gespräch stattfinden wird.

     

    Darüber, ob es auch in ihrem Interesse ist, wenn in einer Nachricht unterschieden wird zwischen „Deutschen“ und „Ausländern“, wird die Frau vermutlich noch gar nicht nachgedacht haben bis zum nächsten Interview. Das wird sich frühestens herausstellen, wenn Pressemitteilungen auch wertende Adjektive oder Sobstantive enthalten, die sie als Meinung kenntlich machen, und diese nicht hinzu gedacht werden müssen von den Adressaten selber. Etwa, wenn die Zeitung titeln würde: „Deutschen haben sich beschissen benommen, Ausländer haben sich gewehrt“ oder "Deutsche als Arschlöcher - Opfer wehren sich heldenmütig".

     

    Dass das demnächst passiert, ist allerdings sehr unwahrscheinlich. Und zwar alleine schon aus ökonomischen Gründen. Von den nationalen noch gar nicht zu reden.