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Kolumne Aufgeschreckte Couchpotatoes„Die Welt ist kompliziert geworden“

Edith Kresta
Kolumne
von Edith Kresta

Touristische Programme ändern sich, Geschichten werden umgeschrieben. Victor, Fremdenführer in der Kvarner Bucht in Kroatien, ist verwirrt.

Traditioneller Schmuck aus der Kvarner Bucht Foto: Visit Rijeka

V ictor spaziert mit uns über den „Lungomare“, die zwölf Kilometer lange Standpromenade, die auch durch den Kurort Opatija führt. Er ist erfahrener Reiseführer, ein Urgestein des istrischen Tourismus. Schon als Kind hat er in seinem Elternhaus mit deutschen Urlaubern gespielt. Dort habe er sein erstes Deutsch gelernt. Heute zeigt er deutschsprachigen und englischsprachige Besuchern die Kvarner Bucht.

Er kennt ihre Geschichten. Die von Opatija etwa, der „alten Dame des Tourismus“. Seit 160 Jahren ist Opatija Winterkurort, erstes Seebad der Donaumonarchie. Entsprechend üppig sind die Villen, viele sind heute modernisierte Hotels und Pensionen. Opatije ist der touristische Vorort der angegrauten Hafenstadt Rijeka, die sich gerade auf den Titel „Europäische Kulturhauptstadt 2020“ vorbereitet.

Victor hält vor einem der zahlreichen Schmuckgeschäfte an der Strandpromenade. „Früher haben wir das immer stolz gezeigt.“ Er zeigt auf einen Anhänger, ein schwarzer Kopf mit Turban in Silber eingefasst. Morčič, der Mohr, ist origineller Schmuck in Rijeka und dem kroatischen Küstenland. Familienschmuck. „Die Ohrringe mit der Büste eines schwarzen Gesichts mit Turban werden noch heute von mehr als 70 Prozent der Frauen dieser Gegend getragen“, behauptet Victor. Doch für viele, vor allem seine amerikanischen Gäste, sei Morčič heute ein Schandfleck.

„Vor ein paar Jahren wurde ihm noch eine in dreißig Sprachen übersetzte touristische Broschüre gewidmet, heute streicht man ihn aus dem offiziellen Programm. Die Darstellung des Morčič gilt als rassistisch, verletzend.“ Victor dirigiert deshalb meistens seine Gäste schnell an den üppigen Auslagen vorbei, wo Ohrringe, Broschen, Armbänder, Ringe und Stecknadeln mit dem Morčić ausliegen.

Vor ein paar Jahren wurde dem Morčič,noch eine in dreißig Sprachen übersetzte Broschüre gewidmet, heute streicht man ihn aus dem offiziellen Programm

Victor, Guide

Er kennt zwei Legenden über die Entstehung des Morčić. Eine datiert aus dem 16. Jahrhundert, als die Türken mit dem Angriff auf Rijeka drohten. Während der Belagerung richteten die Bewohner von Rijeka ihre Augen gen Himmel und beteten, dass Gestein vom Himmel die Türken niedermetzeln würde. Genau das geschah. So blieben am Feld nur ihre Turbane liegen.

Als Erinnerung an dieses Ereignis haben die Männer aus Rijeka ihren Frauen Ohrringe in Form eines mit Turban bedeckten Kopfes angesteckt. Die zweite Legende, die von der Halbinsel Pelješac kommt, besagt, dass eine italienische Fürstin ein schwarzes Dienstmädchen hatte, das sie sehr mochte. Sie schenkte ihr die Freiheit, und als Erinnerung an sie ließ sie Ohrringe mit ihrer Gestalt anfertigen.

Victors Reportoire an Geschichten ist ärmer geworden, „die Welt komplizierter“, findet er. „Ich darf auch nicht mehr ‚meine Damen und Herren‘ sagen, um kein Geschlecht auszugrenzen.“ Victor sagt nun „liebe Gäste“.

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Edith Kresta
Redakteurin
Schwerpunkte: Reise und Interkulturelles. Alttazzlerin mit Gang durch die Institutionen als Nachrichtenredakteurin, Korrespondentin und Seitenverantwortliche. Politologin und Germanistin mit immer noch großer Lust am Reisen.
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