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Kolumne Aufgeschreckte CouchpotatoesKulturelle Aneignung

Edith Kresta
Kolumne
von Edith Kresta

Unsere türkischen Nachbarn lieben Gans mit Rotkohl und Plastiktannen. Sie dürfen das: Sie gehören ja nicht zur weißen Mehrheitsgesellschaft.

Den Niklaus haben wir geklaut Foto: imago/Bild13

B ei Ozmanns gibt es Gans mit Rotkohl zu Weihnachten. Unsere türkische Nachbarin ist rotkohlvernarrt. Sie hat sich unser Weihnachtsmenü kulturell angeeignet. Die Frage, wie bleiben wir uns selbst treu, ohne uns dem anderen zu verschließen, hat sie ganz pragmatisch beantwortet: Ihr Rotkohl ist durch die Zutat von Knoblauch und Kurkuma äußerst schmackhaft.

„Hinter kultureller Aneignung steckt die kolonialrassistische Praxis, in der sich die Mehrheitsgesellschaft die Kultur von Subalternen (…), vor allem Kolonialisierten, abschaut, aus dem Kontext reißt und aneignet“, so ein Credo der Critical Whiteness. Sprich: ihnen etwas wegnimmt. Die Ozmanns nehmen uns nichts weg. Sie gehören nicht zur Mehrheitsgesellschaft. Im Gegenteil, man würde sie auf dem besten Weg zur Integration bezeichnen.

Vermischung, Austausch, Aneignung, kulturelles Patchwork, das eigentlich Selbstverständliche in der Begegnung, das Spannende in der Kunst, auch beim Reisen, ist unter Generalverdacht geraten, weil man die Privilegien dahinter erfragt. Wer nimmt wem was? In der Logik der Critical Whiteness immer die privilegierten Weißen den diskriminierten Minderheiten. Statt sich mit realen Machtverhältnissen und konkreter Diskriminierung von Weißen, Nichtweißen und Minderheiten zu befassen, geht es um kulturelle Zuschreibung, um vererbte Privilegien, um Schwarz und Weiß, um Benachteilung, letztendlich um Kränkungen.

Eine Afrikanerin im Dirndl auf dem Oktoberfest kränkt niemanden, allenfalls ist sie angepasst. Die nach Indien reisende Deutsche im Sari hingegen ist nicht einfach peinlich, sondern glich übergriffig. Anmaßend aufgrund ihrer historisch gewachsenen Privilegien. So schematisch wird die Critical Whiteness zur engstirnigen Ideologie, zu einem Wettbewerb der Meistdiskriminierten.

Eigentlich hatten wir überlegt, dieses Jahr auf den Weihnachtsbaum zu verzichten aus Rücksicht auf die kulturellen Gefühle unserer muslimischen Nachbarn. Aber nachdem diese uns ihre Plastiktanne gezeigt haben, kommt uns diese antirassistische Geste überflüssig vor.

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Edith Kresta
Redakteurin
Schwerpunkte: Reise und Interkulturelles. Alttazzlerin mit Gang durch die Institutionen als Nachrichtenredakteurin, Korrespondentin und Seitenverantwortliche. Politologin und Germanistin mit immer noch großer Lust am Reisen.
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13 Kommentare

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  • @ "...wieviel Adolf noch klar geht, ohne dass es

    zu sehr auffällt." Hauptsache! &

     

    Damit sei dieser Rotkohlbraten mit Plastik

    An Tannenbaum gegessen.

    Danke. & "Früher war mehr Lametta!"

    Genau!;)

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    Critical Whiteness ist nichts Anderes als die Identitäre Bewegung von Links und Postkolonialismus die Wiedereinführung der Erbsünde in eine sekularisierte Gesellschaft. Beides ist wiederlich!

  • Haben wir es Trump zu verdanken bzw. seinem Erfolg und den folgenden Analysen, dass die "intellektuelle Vorhut" auf einmal so etwas wie Selbstkritik entwickelt. Den Begriff des "Wettlaufs der Meistdiskriminierten" habe ich bisher jedenfalls eher auf gemäßigt rechten bzw. Männerseiten gefunden, wenn es um überdrehte Diskussionen etwa an der HU ging, ob die schwarze Lesbe von der weißen Cis-Frau kritisiert werden darf.

  • Bei uns kommt seit vielen Jahren nur noch ein Hanukka-Baum in die gute Stube. Geschmückt mit deutschem Eichenlaub sowie mit freundlichen und furchterregenden tibetischen Buddhas

  • 3G
    3641 (Profil gelöscht)

    "Eigentlich hatten wir überlegt, dieses Jahr auf den Weihnachtsbaum zu verzichten aus Rücksicht auf die kulturellen Gefühle unserer muslimischen Nachbarn."

     

    Ayayayaya...

     

    Wenn man glaubt, überwiegend von so denkenden Menschen umgeben zu sein, habe ich Verständnis dafür, dass die Leute AfD wählen.

     

    Und ich habe gelernt, dass Türken nicht weiß sind und darum nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehören.... Interessant!

  • Weihnachtsmärkte sind rassistisch? Nach dem Kommentar ist man shcon antirassistisch, wenn man auf den Weihnachtsbaum verzichtet! Na denn.

     

    Und das Tragen eines Longyis in Myanmar wird als Respekt gesehen, nicht als Aneignung. Die Kolonialisten haben weisse Anzüge getragen.

  • Erstaunlich. Es hat nur mehrere Jahre gebraucht, damit auch Links der Mitte mal Zweifel kommen an einer theoretischen Praxis, die völlig offensichtlich schwachsinnig und vor allem kontraproduktiv ist.

     

    Dem kleinen Mann auf der Straße, der kein Soziologie/Gender/Sonstwas-Studium absolviert hat, ist doch von Anfang an klar, dass gerade kultureller Austausch Vorurteile abbaut und Rassismus verhindert.

    • @Yoven:

      Ich nehme an das ist der kleinen Frau, die Soziologie/Gender/Sonstwas studiert hat, mindestens genauso klar.

      Diese Critical-Whiteness- und ähnliche Schwachköpfe sind, denke ich, ein recht kleiner Haufen, der gerade ziemlich hochgejazzt wird. Aber so ist das ja oft mit durchgeknallten ideologischen Kleingruppen; je verrückter, desto mehr Aufmerksamkeit bekommen sie. V. a. wenn sie neu auf den Plan treten.

      • @Ruhig Blut:

        Allerdings haben solche Gruppen auch das Potential, ihr Gedankengut in der Linken breitzutreten. Das spricht in meinen Augen für die Fähigkeit der Szene zur Selbstreflexion, die sowohl Chancen als auch Gefahren birgt.

        Die Chance besteht darin, blinde Flecken sichtbar zu machen und Missstände zu überwinden. Man denke nur an den Erfolg der Antideutschen. Nicht, dass ich viel für die übrig hätte, aber ich denke, dass sie sich mit der Aufdeckung von tatsächlich vorhandenem Antisemitismus in der Linken durchaus Verdienste erworben haben.

        Die Gefahr besteht natürlich in den ewigen Spaltungen und internen Streitereien, die Außenstehende oft kaum nachvollziehen können und die die Position der Linken insgesamt schwächen.

        Die Rechte (auch wenn ich diese Gegenüberstellung nicht sonderlich mag, aber sei‘s drum) hat diese Fähigkeit zur Selbstreflexion nicht. Da geht’s doch immer nur darum, wieviel Adolf noch klar geht, ohne dass es zu sehr auffällt.

  • Was viele Critical-Whiteness-Verfechter offenbar nicht kapieren können, ist für mich das Wesen der Kultur. Sie ist kein Privateigentum Einzelner. Sie ist etwas, worauf sich viele verschiedene Menschen freiwillig geeinigt haben. Wer einen Beitrag leisten darf zu einer Kultur und wer nicht, können also nicht irgendwelche Propheten einer wahren Lehre von oben herab und abschließend entscheiden. Die Mehrheit entscheidet. Und wenn die sich nicht bestohlen fühlt sondern bereichert, sollten die Critical-Whiteness-Gurus das akzeptieren. Und zwar selbst dann, wenn die kulturelle Mehrheit Teil einer unterdrückten Minderheit ist, die gerne selbst für sich entscheiden würde. Es sei denn, sie wollten sich als A... – ach, was soll‘s. Kann sich ja jeder outen wie er mag.

     

    Ihr paternalistisches Macho-Gehabe haben die Critical-Whiteness-Fans im Übrigen auch bloß nicht selber erfunden. Sie haben es dummen weißen, schwarzen, gelben und braunen Machthabern aller Kulturen und Geschlechter abgeschaut. Die aber haben sich darüber wahrscheinlich eher gefreut als geärgert. Dieser Typ Mensch freut sich halt jedesmal ein zusätzliches Loch (wohin auch immer), wenn er bestätigt wird von anderen in dem, was er so tut. Auch und gerade dann, wenn es ganz großer Mist ist.

  • Da schau her - "Unsere türkischen Nachbarn lieben Gans mit Rotkohl und Plastiktannen.

    Sie dürfen das: Sie gehören ja nicht zur weißen Mehrheitsgesellschaft."

    Da muß ich aber bei Kadir mal nachfragen.

    Der kocht nämlich & Plastiktannen?

    Passiert der wahrscheinlich - alter Schwede!

  • Schon der Weihnachtsbaum ist eine christliche Aneigung eines Brauches aus dem Mithraskult. Happy Kwanzaa & Boom Shankar!

    • @Bandari:

      Wie so viel, eine aufgezwungene kulturelle Aneignung, bzw. das Christentum sollte durchgesetzt werden und so übernahm man alte Bräuche der Heiden und stattete diese mit einem christlichen Narrativ aus, um das alte vergessen zu machen. Wie auch Kirchen an ehemaligen Kultplätzen errichtet wurden. Da die Tanne nicht in Ägypten vorkommt, war der Brauch Tannen zu schmücken wohl bereits hier verankert. Baumschmückung eventuell aus Mithras.







      Aber was ist nicht Aneignung? Türken waren vor 2000 Jahren auch keine Moslems...







      [...]







      Ich halte diese ganze Diskussion für totalen Schwachsinn. Woher was wie wo kommt hingegen, ist interessant.

       

      Gekürzt. Bitte bleiben Sie sachlich. Danke, die Redaktion.