Kolumbiens Ex-Präsident unter Hausarrest: Ermittlungen gegen Alvaro Uribe
Nach Jahren folgenloser Anklagen entscheidet Kolumbiens oberstes Gericht, den rechten Ex-Präsidenten Alvaro Uribe unter Hausarrest zu stellen.
Als Begründung für diesen Schritt nennt das Gericht Risiken von Justizbehinderung bei den weiteren Ermittlungen. Grundlage sei eine hohe Zahl an bereits gesammelten Beweisen gegen Uribe, darunter Zeugenaussagen, Filmaufnahmen und Telefonmitschnitte. Das Gericht betonte, dass Uribe auch im Hausarrest seine Verteidigung „mit allen Garantien eines rechtsstaatlichen Verfahrens“ vorbereiten könne. „Der Entzug meiner Freiheit betrübt mich zutiefst für meine Frau, für meine Familie und für die Kolumbianer, die immer noch glauben, dass ich etwas Gutes für das Vaterland getan habe“, schrieb der 68-Jährige auf Twitter.
Der Grund für die Ermittlungen gegen den ultrarechten Politiker der Regierungspartei Centro Democrático geht bis ins Jahr 2012 zurück. Der linke Senator Iván Cepeda hatte in einer Parlamentsdebatte Uribe beschuldigt, eine paramilitärische Gruppe mitbegründet und Verbindungen zum Drogenhandel zu haben. Daraufhin zeigte Uribe ihn an. Der Vorwurf: Cepeda habe Zeugen bestochen und so ein Komplott gegen ihn geschmiedet.
Das oberste Gericht kam jedoch zum entgegengesetzten Schluss – und eröffnete ein Verfahren gegen Uribe. Er steht seitdem unter Verdacht, Zeugen bestochen zu haben, um gegen Cepeda auszusagen. Unter den Zeugen sind mehrere ehemalige Paramilitärs, die Uribe erst belasteten, später ihre Aussage widerriefen und das mit Druck und Zahlungen von Uribes Anwalt Diego Cadena begründeten. Gegen Cadena und seine Anwaltskollegen wird ebenfalls wegen Bestechung und Nötigung ermittelt. Uribe soll das Schmiergeld finanziert haben, was Telefonmitschnitte belegen sollen.
Uribe – erbitterter Gegner des Friedensabkommens
Der heutige Senator war von 2002 bis 2010 Präsident Kolumbiens und ist bis heute der mächtigste Politiker des Landes. Die kolumbianische Gesellschaft ist tief gespalten. Während die einen ihn wegen der harten Bekämpfung der Farc-Guerilla in seiner Amtszeit bis heute verehren, werfen die anderen ihm vor, dass der Preis dafür schwere Menschenrechtsverletzungen waren.
In Uribes Amtszeit fällt unter anderem der Skandal um die „falsos positivos“. Dabei richtete die Armee schätzungsweise 5.000 unschuldige Zivilisten hin und verkleidete sie als Guerilleros, um Quoten zu erfüllen und Kopfprämien zu kassieren. Auch erlebten rechte Paramilitärgruppen eine Blütezeit, die vor allem linke Guerillagruppen bekämpften, auf deren Konto aber auch etliche Morde an Vertreter*innen der Zivilgesellschaft gehen.
Uribe ist nicht nur erbitterter Gegner des Friedensabkommens mit der Farc-Guerilla, das sein ehemaliger Verteidigungsminister und Nachfolger Präsident Juan Manuel Santos aushandelte. Ohne Uribes Unterstützung wäre auch der jetzige Präsident Iván Duque kaum ins Amt gekommen. Dieser stellte sich am Dienstag in einer Ansprache hinter Uribe – und somit gegen die Justiz: „Ich glaube und werde immer an seine Unschuld und Ehrenhaftigkeit glauben; er hat sich mit seinem Beispiel einen Platz in der kolumbianischen Geschichte erobert.“
Gegen Uribe laufen seit Jahren Ermittlungen wegen schwerer Vorwürfe, die bisher keine juristischen Konsequenzen hatten. Verwandte und politische Mitstreiter*innen kamen hinter Gitter, Uribe nicht. So wurde sein Innenminister Sabas Pretelt wegen Stimmenkaufs für die Wiederwahl von Uribe zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die Chefin des mittlerweile aufgelösten Geheimdienstes, die Uribes Gegner*innen ausspionieren ließ, ebenso. Uribes Bruder Santiago ist seit 2016 in Haft, weil er wegen der Gründung einer paramilitärischen Gruppe und Mordes angeklagt ist.
Solidaritätsautokorsos in Medellín
Doch seit Kurzem scheint sich das Blatt zu wenden. Anfang Juni leitete das Gericht Vorermittlungen gegen Uribe wegen der mutmaßlichen Bespitzelung von Journalist*innen und Politiker*innen in den sogenannten „Carpetas secretas“ ein. Im Juli unterlag Uribe vor Gericht dem Journalisten Daniel Mendoza, gegen den er wegen Rufschädigung vorgehen wollte. Mendoza hatte eine Online-Miniserie über Uribe mit dem Titel „Matarife“ (Schlächter) gestartet.
Er und sein Kollege Gonzalo Guillén hatten auch den Skandal um die „Ñeñepolítica“ ins Rollen gebracht, deretwegen das Gericht ebenfalls Vorermittlungen eingeleitet hat. Laut der Recherchen soll Uribe den Drogenhändler „Ñeñe“ Hernández engagiert haben, um Stimmen für die Wahl von Präsident Duque zu kaufen.
Vor der Entscheidung war das Gericht unter anderem mit einem offenen Brief von prominenten Uribe-Unterstützer*innen unter Druck gesetzt worden. Am Montag hatte es seine Unabhängigkeit in einer Erklärung betont.
Der Direktor von Human Rights Watch, José Miguel Vivanco, gratulierte am Dienstag dem Gericht zu der Entscheidung zum Hausarrest. In Bogotá kamen Menschen zu Freudendemos zusammen. Um 18 Uhr schlugen Bogotaner*innen aus ihren Fenstern und Balkonen auf Töpfe. Auch Uribe-Anhänger*innen protestierten: Vor allem in Medellín, der Hauptstadt der Region Antioquias, deren Gouverneur Uribe einst war, veranstalteten Menschen Solidaritätsautokorsos, aus denen sie die kolumbianische Fahne schwenkten.
Bei einer Verurteilung drohen Uribe bis zu acht Jahre Haft.
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