Kohleausstieg in Deutschland: Ungesunder Umgang mit der Kohle
Laut EU-Kommission muss Deutschland zügig seine Stickoxide drosseln. Das wäre teuer für die Industrie, also wird es nicht umgesetzt.
Weil die Luft mit Stickoxiden belastet ist, sterben in Deutschland jedes Jahr 6.000 Menschen vorzeitig, gibt das Umweltbundesamt an. Bei Stickoxiden denken viele zuerst an stickige Städte und den Diesel-Abgas-Skandal, aber neben dem Verkehr gibt es eine zweite große Quelle in Deutschland: die Kohlekraftwerke. Immerhin ein Drittel der Stickoxid-Belastung hierzulande stammt aus fossiler Verbrennung. Spitzenreiter sind die Braunkohlekraftwerke.
Europaweit kommen laut dem Europäischen Umweltbüro – einer Dachorganisation zahlreicher Umweltverbände in Europa – 20.000 Menschen früher zu Tode, weil Kohlekraftwerke die Umwelt verschmutzen mit Stickoxiden, aber auch mit Schwefeldioxid, Feinstaub und Schwermetallen. Grund genug für die EU, vor genau einem Jahr schärfere Grenzwerte für sogenannte Großfeuerungsanlagen wie Kohlekraftwerke in Kraft zu setzen. Braunkohlemeiler dürfen demnach ab 2021 maximal 175 Milligramm Stickoxide pro Kubikmeter ausstoßen. Nach deutschem Recht sind derzeit weiterhin 200 Milligramm erlaubt – weil die Bundesregierung die EU-Regelung noch nicht entsprechend umgesetzt hat.
Die EU will auch, dass die Unternehmen ihre Verbrennungsanlagen mit der besten Technik nachrüsten, um die Abgasfracht weiter zu senken. Schon Monate bevor sie gültig wurden, liefen in Deutschland Kohlelobby, Bund und Länder gegen die neuen EU-Grenzwerte Sturm.
Mitte Juli 2017 gab es schließlich ein Krisentreffen im Bundeskanzleramt beim damals zuständigen Kanzleramtschef Peter Altmaier. Ziel: bei der EU wenigstens bei Stickoxiden einen Grenzwert von 190 Milligramm für Braunkohle durchzusetzen. Der EU-Wert, beschwerten sich Kohleverbände und Braunkohleländer wie Sachsen und Brandenburg, sei „fehlerhaft“ zustande gekommen, „rechtswidrig“ und „unverhältnismäßig“, weil der Einbau der nötigen Reinigungstechnik viel zu teuer sei.
Erst mal die Füße stillhalten
Bis dato hatte die Bundesregierung unliebsame Regulierungen aus Brüssel wie bei den CO2-Grenzwerten für Pkws oder bei Glyphosat verhindern können, bei der Braunkohle scheiterte sie. Ein Grund: In Europa gilt Braunkohle mit nicht einmal mehr 10 Prozent Anteil an der Stromerzeugung als Auslaufmodell. In der entscheidenden Abstimmung sprachen sich 20 der 28 EU-Staaten für schärfere Grenzwerte aus.
Aus ihrer Niederlage zog die Bundesregierung bislang vor allem den Schluss, die neuen EU-Regeln nicht in nationales Recht umzusetzen. Dafür sieht das Bundesimmissionsschutzgesetz eigentlich eine Frist von einem Jahr vor. Die lief nun Mitte August 2018 ab.
Das zuständige Umweltministerium schert das wenig und will sich auf keinen Termin für eine Umsetzung festlegen: Diese erfolge zu einem „späteren Zeitpunkt“, dennoch würden die Änderungen noch „fristgerecht“ umsetzt, heißt es. Die Klima-Allianz Deutschland kritisiert dagegen: „Wie beim Verkehr stellt die Bundesregierung die Interessen der Industrie, in diesem Fall der Kohleindustrie, über die Gesundheit der Bürger.“
Unternehmen hoffen auf Ausnahmegenehmigungen
Im Bundeswirtschaftsministerium, das nun vom damaligen Kanzleramtschef Altmaier geleitet wird, glaubt man bis heute, die EU habe die Emissionsvorgaben für Stickoxide „fehlerhaft abgeleitet“. Die Bundesregierung legte aber, anders als Polen und Bulgarien, bisher beim Europäischen Gericht (EuG) keinen Einspruch gegen die neuen Grenzwerte ein. Nur Sachsen trat Anfang 2018 einer Klage der Kohle-Dachverbände und deutscher Kraftwerksbetreiber gegen die neuen EU-Abgasgrenzwerte für die Großfeuerungsanlagen bei. Ob die Klage zulässig ist, hat das Gericht noch nicht entschieden.
Unternehmen und Politik setzen derweil darauf, ohne teure Nachrüstungen, aber mit Ausnahmegenehmigungen um die Grenzwerte herumzukommen. Hintergrund: Würde Deutschland bis 2030 alle Meiler vom Netz nehmen, müssten sich die meisten Betreiber kaum noch um die neuen Grenzwerte sorgen. Der entscheidende Ball liegt derzeit bei der Kohlekommission.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“