Köhler und Schwan streiten: Unruhe über mögliche Unruhen
Streit über mögliche Proteste in der Krise zwischen dem Bundespräsidenten und seiner Herausforderin: Köhler hat Warnungen Schwans zurückgewiesen.
BERLIN AP/dpa/taz Von sozialen Unruhen als Folge der Weltwirtschaftskrise ist in Deutschland anders als in Frankreich, Island oder Großbritannien noch nichts zu spüren. Doch die Debatte darüber erzeugt zumindest schon mal Unruhe im politischen Betrieb.
Nach Kanzlerin Angela Merkel hat nun auch Bundespräsident Horst Köhler die Warnungen von SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan zurückgewiesen. "Natürlich ist die Krise beherrschbar", sagte Köhler am Wochenende im RBB-Inforadio. Die Bürger sollten sich nicht selbst "in Panik reden". Köhler weiter: "Ich bin überzeugt davon, dass die Demokratie in Deutschland feste Wurzeln gefasst hat. Und deshalb denke ich, dass die Demokratie in Deutschland auch diese Krise bestehen wird."
Köhlers Herausforderin Gesine Schwan hatte vergangene Woche davor gewarnt, dass infolge der Wirtschaftskrise die Wut der Menschen in den kommenden Monaten wachsen und die Stimmung "explosiv" werden könnte. Daraufhin wurde sie nicht nur von CDU und FDP, sondern auch vonseiten der SPD kritisiert. "Die sozialen Unruhen sollen wir nicht herbeireden", sagte Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier.
Zuvor hatte bereits DGB-Chef Michael Sommer die aktuelle Krise mit der der 30er-Jahre verglichen und gesagt, möglicherweise würden sich Menschen auch jetzt von der Politik abwenden oder radikalisieren.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hält solche Warnungen für unbegründet. Er habe nicht den Eindruck, dass man jetzt eine Debatte über mögliche soziale Unruhen führen müsse, sagte er am Sonntag im Deutschlandfunk. Natürlich müsse man die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Man solle den Beschäftigten aber nicht unterstellen, dass sich Unruhen entwickelten, wenn die Arbeitslosigkeit zunehme, sagte Schäuble. "Das unterstellt eigentlich auch den Beschäftigten in Deutschland etwas, was der DGB-Vorsitzende ihnen einfach nicht unterstellen sollte."
Die Bürger selbst sehen das allerdings etwas anders - ihre Wut wächst offenbar. Die Mehrheit rechnet angesichts der Krise mit sozialen Unruhen auch in Deutschland. Laut einer Emnid-Umfrage im Auftrag von Bild am Sonntag glauben 54 Prozent an eine solche Entwicklung, im Osten sogar 61 Prozent.
Rund ein Drittel der Befragten gab an, sich zumindest an Demonstrationen beteiligen zu wollen. Rund vier Fünftel der Befragten haben Verständnis für solche Proteste.
DGB-Chef Sommer hat unterdessen seine Warnung vor sozialen Unruhen im Fall der Verschärfung der Krise verteidigt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund wolle mit seinen Mahnungen dafür sorgen, "dass diese Krise nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen wird", sagte er am Wochenende in Nürnberg.
Auch die SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan verteidigte ihre Warnung. "Nein, ich habe an keiner Stelle überzogen", sagte sie am Sonntag in Frankfurt. "Wer das Panikmache nennt, macht selbst Panik." Sie glaube, die Deutschen könnten es verkraften, wenn Realitäten offen angesprochen würden. WOS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid