Kochen mit Geflüchteten: 365 Tage Tee
Ein Mann aus der Sahara lädt in seinem Flüchtlingsheim alle zum Tee ein. Während der Zeremonie erzählt er seine Geschichte.
Wer von dem 34-Jährigen zu einem Glas Tee eingeladen wird, der muss sich seine Geschichte anhören. Wie ein König ohne Land sitzt er im Schneidersitz mit durchgestrecktem Rücken auf dem Fußboden. Seine Haut glänzt, vom Schweiß oder vom Wasserdampf. Er breitet die Arme weit zum Gruß aus und lächelt. Hinter ihm kann man durch das Fenster die S-Bahn-Schienen sehen. Dort fährt gerade ein Zug vorbei, dessen Rattern die Begrüßung „Salem!“ fast übertönt.
Eine große Schale mit Nüssen und Datteln steht auf dem Boden gleich neben dem Campingkocher, auf dem eine eiserne Teekanne steht. „Das gibt es bei uns traditionell zur Begrüßung, bevor wir Tee trinken“, sagt Adda. Er spricht Arabisch, ein anderer Flüchtling übersetzt für ihn.
Adda gehört einem fast vergessenen Volk an. Westsahara? Stirnrunzeln. Ratlose Gesichter. So reagieren viele, wenn man sie nach dem von Marokko besetzten Land fragt. Rund vierzig Jahre ist es her, dass Marokko das Gebiet nach dem Abzug der spanischen Kolonialmacht zu einem großen Teil annektierte. Eine Mauer verschließt den Sahrauis, die oft in Flüchtlingslagern in Algerien leben, den Weg in ihre Heimat.
Grüner Tee
1 Bündel frischer Minze, am besten Nanaminze
Zucker
Zubereitung: Die trockenen Teeblätter in eine Kanne legen, mit heißem Wasser übergießen, kurz warten und den ersten Sud wegschütten. Die Kanne nun mit heißem Wasser auffüllen, fünf Teelöffel Zucker einrühren. In einer zweiten Kanne drei Stängel frische Minze mit heißem Wasser übergießen. Nachdem beide Tees kurz ziehen konnten, ein Glas halb mit grünem, halb mit Minztee füllen. Aus großer Höhe den Tee von Glas zu Glas gießen, so dass sich Schaum bildet. Diesen Vorgang mit frischem Tee mehrfach wiederholen, bis der Schaum bis zur Hälfte im Glas steht. Mit beiden Tees auffüllen und den Gästen servieren.
„Ich habe seit meiner Geburt in einem Flüchtlingslager gelebt“, erzählt Adda, „überall sind Minen im Sand vergraben, täglich laufen Tiere oder Menschen darauf.“ Dann holt er das Handy aus einer Tasche seiner Jeans, die er unter dem Gewand trägt. Er zeigt Fotos. Ein Freund ohne Arm, eine Bekannte, die ihren Fuß verloren hat. Nichts regt sich in seinem Gesicht.
In den Gläsern steht Schaum
Er packt das Handy wieder weg, denn es wird Zeit für den Tee. Adda streift die weiten Ärmel nach hinten. Er hat zwei Kannen, die er abwechselnd auf den Campingkocher stellt. Die eine füllt er mit Wasser und einem Bündel frischer Minze. In der anderen Kanne bereitet er grünen Tee zu. Der ersten Aufguss sieht wie aufgewühltes, schlammiges Wasser aus. Er befreit die Blätter von Staub und lässt sie leicht aufquellen. Adda gießt ihn in die Toilette im Zimmer nebenan. Den nächsten Aufguss – dieser hat nun ein zartes Olivgrün – süßt er mit fünf Teelöffeln Zucker.
Vor Adda steht ein silbernes Tablett mit sechs Gläsern. Er hat das Set von einem Kulturverein geschenkt bekommen. Adda gießt nun in das erste Glas etwas Minztee und etwas grünen Tee. Dann nimmt er das Glas und gießt den Inhalt aus großer Höhe ins nächste. Ein paar Tropfen fallen aufs Tablett, erzeugen ein leises Trommeln. Wieder nimmt er das Glas und gießt den Tee ins nächste, bis er alle sechs durch hat.
In den Gläsern steht nun etwas Schaum. Adda gibt alles zurück in die Kanne mit dem grünen Tee. Dann beginnt er von neuem, der Schaum ist bald so hoch wie das halbe Glas. Er ist nicht fest wie auf einem Cappuccino, vielmehr bildet er Bläschen, so als würde man mit einem Strohhalm Luft in Limonade pusten.
Das Ganze dauert etwa eine Viertelstunde. Irgendwann ist man ordentlich verwirrt. Adda konzentriert sich, sein Mund ist leicht geöffnet. Er kostet. „Noch nicht süß genug“, sagt er, greift nach der Dose und gibt noch einen Teelöffel Zucker in die Kanne mit dem grünen Tee. Dann wiederholt er sein Spiel. Man möchte endlich auch mal kosten. Doch Adda will noch mehr von seinem Zuhause erzählen.
In seinem früheren Leben war er Soldat und bewachte die Grenze – so wie sein Vater. Doch Adda wollte nicht wie dieser von einem Panzer getötet werden. Deshalb desertierte er. „Mit einem Lkw bin ich nach Libyen gekommen.“ Von dort ging es über das Meer nach Italien, bis er schließlich Deutschland erreichte. Seit rund einem Jahr ist er nun hier. Derzeit lernt er Deutsch. Doch drei Tage in der Woche sind ihm zu wenig. Er will mehr lernen, er will weiterkommen, er will hier raus. Adda hat klare Vorstellung von seinem künftigen Leben: „Ich möchte in der Gastronomie arbeiten.“ Und er will aufklären, über sein Land, die Grenzmauer, den Sand und die Minen.
Auf einem Tisch liegen Zeitschriften und ausgedruckte Artikel, in denen es um den Westsahara-Konflikt geht. Solche Zettel drückt er auch gerne einmal einem anderen Flüchtling in die Hand, der dann verdutzt schaut. Adda hat außerdem fünf Flaggen im Raum aufgestellt. „Sahara Libre“, sagt er. Schwarz für den Tod, Weiß für den Frieden, Grün für das Leben, in der Mitte prangt ein roter Halbmond. Es sind die Farben und Symbole der Demokratischen Arabischen Republik Sahara, die von der Mehrzahl der Staaten auf der Welt völkerrechtlich nicht anerkannt wird. Damit sich das ändert, wird Adda weiterkämpfen, nicht mehr mit dem Gewehr, aber mit Worten und nicht zuletzt – mit Tee.
Bitter und süß
Und dann ist es so weit. Adda verteilt die gefüllten Gläser. Über dem Tee steht nun eine hohe Schaumschicht bis hoch zum Rand. Er schmeckt leicht bitter und sehr, sehr süß. Wärme breitet sich im Körper aus und der Zucker findet seinen Weg schnell ins Blut.
Das Teekochen hat Adda schon als Kind gelernt. Die maghrebinische Teekultur ist in der Westsahara weit verbreitet. „Wir trinken dort den ganzen Tag Tee“, sagt Adda, „was sollen wir auch anderes tun?“ Arbeit gibt es nicht. Die Frauen, Männer und Kinder sind von Hilfsorganisationen abhängig.
Adda sehnt sich nach seiner Familie, den zwei Brüdern und der Schwester. Sie leben in einem Zelt, haben keinen Strom. „Wenn sie Internet benutzen wollen, müssen sie kilometerweit laufen“, sagt er. Daher höre er nur selten etwas von ihnen. Aber er wisse, dass seine Mutter glücklich sei. „Weil ich in Sicherheit bin und nicht sterben muss“, sagt er.
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