Kochen als Kunstperformance: Wenn ich eine Banane wäre

In Kunstausstellungen geht es derzeit viel um Essen und Kochen. Nahrung erzählt davon, wie Menschen, Dinge und Geschmäcker an einen Tisch gelangen.

Hände, die Margarine in einer Plastikfolie kneten

Bearbeiten von Margarine im Kochvideo „Cooking with the erotic“ von Ilana Yacine Harris-Babou, 2016 Foto: (c) Temporary Gallery, Köln 2023

Mit jedem Tropfen Wasser, das sich vom Eis in der Sommerhitze löste und über das gelbe Rund perlte, drang Schönheit und Unbehagen hervor. Wie ein Relief hatte Künstler Caique Tizzi tropische Bananen für das Sommerfest im Berliner Brücke-Museum in Wasser gefroren.

Ein essbares Kunstwerk, dessen gelbe Frucht auch Sinnbild für den globalen Handel, die Pestizide, die schlechten Bedingungen auf den Plantagen ist. Caique Tizzi tourt mit seinen Essperformances gerade auf Kunstmessen und Kultur­events. Tisch, Teller und Gericht, sie sind bei ihm auch ein wunderschönes, langsam wegkonsumierbares Varnitas-Stillleben.

Essen scheint gerade überall zu sein in der Kunst. In Bregenz startet nun ein Sommerprogramm mit dem Titel „Das große Fressen“, und Künstlerin Dafna Maimon baute dafür einen gigantischen Verdauungstrakt auf. Man kann sich dann hineinbegeben in seine rot-braunen Windungen, sich hindurchwühlen wie ein zerkautes und zersetztes Stück – sagen wir mal – Banane.

Soeben eröffnete auch die Retrospektive der feministischen Konzeptkünstlerin Martha Rosler in der Frankfurter Schirn. Ikonisch ist darin die Videoarbeit „Semiotics of the Kitchen“ von 1975. Mit Schürze steht Martha Rosler in einer Küche wie damals die populäre Fernsehköchin Julia Child. Trocken benennt sie die Kochutensilien – den Topf, den mechanischen Rührbesen –, um dann über die knapp 7 Minuten des Videos mit zunehmend anschwellender Aggression der an den Herd gefesselten Hausfrau ihre Funktion vorzuführen.

Was wir essen, wie wir essen, wer es zubereitet, das ist politisch. Und es erzählt viel davon, wie die Menschen, Dinge und Geschmäcker überhaupt an einen Tisch gelangen.

Die Gabel der Prinzessin

Norbert Elias, der große Soziologe der Tafelsitten, berichtet 1939 in „Über den Prozess der Zivilisation“ von der Anektdote einer griechischen Prinzessin, die im 11. Jahrhundert bei ihrer Vermählung mit einem venezianischen Dogen wegen einer Gabel einen Skandal verursachte. Sie habe diese beim Hochzeitsmahl verwandt. Für die Vene­zia­ner sei es jedoch anmaßend gewesen, „Gottes Gaben“ nicht mit bloßen Händen zu sich zu nehmen.

Das Ereignis deutet Elias als Initialzündung, die Gabel der aus dem fernen Byzanz kommenden Prinzessin sollte später unter europäischen Adligen zum Distinktionsmerkmal bei Tisch werden, war noch im 17. Jahrhundert ein Luxusartikel, bis sie sich dann in vielen Teilen der Welt als Alltagsgegenstand ausbreitete.

Dass die Dinge des Essens migrieren können, führte auch der Performancekünstler Rikrit Tiravanija vor. Er, 1961 in Argentinien geboren, in Thailand aufgewachsen und heute zwischen Berlin, New York und Bangkok hin und her reisend, mischte einst mit seinen „food pieces“ den Kunstbetrieb auf. In der Gallery 303 in New York installierte er 1992 eine Küche, kochte und servierte dort Thaicurry in zwei Versionen. Scharf war die thailändische, mild diejenige, wie sie in den New Yorker Restaurants serviert wurde.

Tiravanija machte das Kunstpublikum zum direkten Konsumenten, paarte Happening mit Institutionskritik. Der prominente Kunstkritiker Jerry Saltz machte dazu noch eine weitere Beobachtung: „Americans had to eat with strangers“. Sinnlich, durch den Gaumen schuf Tiravanija einen sozialen Raum, Bekanntes konnte darin geschmeidig auf Unbekanntes stoßen.

Biesenbach und das Thaicurry

Der Museumsdirektor Klaus Biesenbach sähe gern Tiravanijas Thaicurry-Küche als Street-Food-Stand am zukünftigen Museum der Moderne in Berlin, wie er im Frühjahr einmal bei einer Pressekonferenz am Rande bemerkte. Wenn es denn gelänge, um den gerade entstehenden Neubau von Büro Herzog & de Meuron herum einen Park anzulegen.

Ein alter Kochtopf mit Verzierungen

Stand mal in einer Suppenküche für Hilfsbedürftige: „Aguas Calientes“ von Gabriel Chaile, 2020 Foto: Catalina Romero, Courtesy of the Artist and Private Collection

Das Kochen ist ohnehin längst raus aus den Kunstinstitutionen und auf die Straße gelangt. Davon berichtet gerade die Ausstellung „Cooking as Performance“ in Köln. Von ihr aus ziehen etwa Künstlerin Paula Erstmann und Kuratorin Lisa Klosterkötter mit einer mobilen Küche durch die Straßen, spüren an einer klassischen Konditorei oder einer srilankische Garküche ihre kulinarische Historie auf.

Aber was tun, wenn die Straßen leer sind, wie während der Pandemie? Dann werden die sozialen Medien zum öffentlichen Raum, dann kocht man über Videos gemeinsam. Die Kölner Schau in dem Kunstverein „Temporary Gallery“ hat zahlreiche solcher Filme aus dem Netz zusammengestellt. Wie der rätselhafte Hollywood-Regisseur David Lynch Quinoa in zähen 20 Minuten auf körnigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen zum Blähen bringt.

Atemberaubend sind die 43 Tiktok-Sekunden aus einem US-amerikanischen Gefängnis, in denen ein Insasse eine Pringles-Dose mit Aludeckel über ein simples Elektrokabel erhitzt, unter die Metallfläche seines Zellenbetts schiebt und sie kurzerhand zur Herdplatte umwandelt. Seine Burritos brät er so goldig braun. Performance, Kunst, Öffentlichkeit und Privatheit, soziale Realität – sie überschneiden sich alle hier.

Griff in die Gemüseschüssel

Rezepte teilen, heißt auch, seine persönliche Geschichte teilen, seine Identität öffentlich zu verhandeln. Eine heutige Identität, die so hybrid zwischen verschiedenen Ländern und Social-Media-Profilen wandeln kann. Das führt in Köln auch das Video von einer der vielen Kochsessions vor, die Künstler Hiwa K. vor einigen Jahren mit Studierenden an der Kunsthochschule Mainz veranstaltete.

„Cooking as Performance“: Temporary Gallery, Köln. Bis 9. September

Hiwa K. kommt aus dem Irak, war zu dem Zeitpunkt schon lang in Deutschland. Per Skype schaltete er seine Mutter aus dem irakischen Sulai­ma­niy­ya für die Sessions dazu. Sie wies das Kochteam auf Kurdisch an. Hiwa K. übersetzte, wenn sie um noch ein halbes Glas Olivenöl und um einen weiteren kräftigen Griff in die Gemüseschüssel bat. Und je mehr Form das Gericht annahm, umso aufgelöster wirkte der Künstler zwischen den Realitäten seines Lebens, zwischen der Mainzer Küchengesellschaft und der von der schlechten Internetverbindung verrauschten Mutter aus der Heimat.

„Die Distanz zu ihr war so groß, dass ich trotz meiner Sehnsucht, sie zu sehen, ziemlich unsicher war, wie es mit dieser digitalen Mama weitergehen sollte, ist sie es oder nicht?“, schrieb Hiwa K dazu.

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