Koalitions-Vertrag in Bayern steht: CSU mit orangefarbenen Sprenkeln
CSU und Freie Wähler haben ihren Koalitionsvertrag unterschrieben. Auch die Grünen scheinen ihre Handschrift hinterlassen zu haben.
Sie selbst nennen sich gern Bayernkoalition – und in der Tat: Das scheint einer der größten gemeinsamen Nenner dieser neuen Schicksalsgemeinschaft zu sein. Zwei Regionalparteien haben sich hier gefunden, auch wenn die größere der beiden, die CSU, ihr Wahldesaster nicht zuletzt auch der unrühmlichen Rolle zu verdanken hatte, die sie in den vergangenen Monaten auf Bundesebene spielte.
Wie sehr die beiden einander wollten, war schon vom ersten Tag nach der Wahl an unverkennbar. Aiwanger, der sein Selbstbewusstsein in den letzten Wochen vor der Wahl kaum noch zu zügeln wusste, hat seit dem 14. Oktober in einem Tempo verbal abgerüstet, dass man ihn kaum noch wiedererkannt hätte – wären da nicht weitere sein markantes Idiom und die Liebe zu oft verwegenen Metaphern geblieben.
Aiwangers Botschaft an den Verhandlungspartner lautete – frei übersetzt und etwas verkürzt: Lasst mich in die Regierung, und wir können über alles andere reden. Ein Gesprächsangebot, das man bei der CSU freudig, vielleicht auch etwas überrascht, annahm.
Diskrepanzen zwischen den Parteien waren überschaubar
Dass die Verhandlungen dann auch in Rekordgeschwindigkeit über die Bühne gingen, dürfte dem geschuldet sein. Aber auch dem Fakt, dass die Diskrepanzen ohnehin überschaubar waren und die aktuelle wirtschaftliche Lage des Freistaats so gut ist, dass genug da ist für Bürgergeschenke beider Parteien.
Das Ergebnis ist nun der schon im Frühjahr von Söder aufgelegte Maßnahmenkatalog mit einigen orangefarbenen Tupfern und ein paar kleineren Abstrichen. Seine Prestigeprojekte, etwa das Luft- und Raumfahrtprogramm oder auch das Familiengeld, darf Söder behalten. Die dritte Startbahn des Münchner Flughafens wird fünf Jahre lang nicht weiterverfolgt.
Auch das kein allzu großer Wermutstropfen für Söder. Der hatte das Projekt angesichts des großen Protests ohnehin vorläufig schon mal auf Eis gelegt; dazu kommt, dass die Lufthansa jüngst hat durchblicken lassen, dass es ihr gar nicht mehr so pressant mit der Startbahn ist.
Bei ihrer Kernforderung nach einer kostenfreien Kinderbetreuung konnten sich die Freien Wähler dagegen – weitgehend – durchsetzen. Für Kinder in einer Kita oder im Kindergarten bekommen die Eltern künftig einen Zuschuss von 100 Euro pro Monat, was bisher lediglich im letzten Kindergartenjahr der Fall war. Auch die Straßenausbaubeiträge werden abgeschafft.
Nur 100 Pferde für die Kavallerie
Hier hatte es zuletzt noch den Streitpunkt gegeben, inwieweit die Betroffenen auch rückwirkend entlastet werden können. Der Kompromiss: Man einigte sich auf einen Sonderfonds für Härtefälle seit 2014. Viele der übrigen „Erfolge“ Aiwangers bewegen sich auf einem Niveau, wo Söder beispielsweise für seine angekündigte bayerische Kavallerie statt der geplanten 200 und 100 Pferde zugestanden wurden.
Auch in der Asylpolitik waren die Freien Wähler ohnehin mit der CSU weitgehend einig oder bereit, Söder seine Spielzeuge wie die eigene bayerische Grenzpolizei zu lassen. Ein kleines Bekenntnis mit gewissem Neuigkeitswert gibt es jedoch – ob allerdings auf Betreiben der Freien Wähler, ist unklar: Bayerns Regierung will künftig „die 3+2-Regelung noch offensiver anwenden“.
Sollte dies tatsächlich umgesetzt werden, wäre das eine gewisse Abkehr von der bisherigen Praxis, wonach man die Integration von Flüchtlingen – auch auf dem Arbeitsmarkt – eher zu verhindern suchte, um keinerlei Abschiebehürden entstehen zu lassen.
Dass CSU und Freie Wähler beide in dem Vertrag ihre Handschrift hinterlassen haben, verwundert freilich nicht. Interessanter ist es da schon, dass ausgerechnet die Grünen, die von der CSU nach einer kurzen Sondierung aus Höflichkeit umgehend als potenzieller Koalitionspartner aussortiert worden waren, ein paar Akzente in dem Schriftstück setzen konnten.
Eine Watschn für den Minister
So will die Koalition im umstrittenen Polizeiaufgabengesetz einen zentralen Kritikpunkt, den Begriff der „drohenden Gefahr“, einer Überprüfung unterziehen. Auch eine Begrenzung des Flächenverbrauch auf fünf Hektar steht im Vertrag – zwar nur als Richtgröße, aber immerhin.
Und dann noch dieser schlichte Satz: „Die Änderungen im Alpenplan werden wir rückgängig machen.“ Eine Watschn für den zuständigen Minister der vorletzten Regierung – einen gewissen Markus Söder, der die Änderungen durchsetzte, um die Skischaukel am Riedberger Horn zu ermöglichen.
All das, davon kann man ausgehen, ist dem beeindruckenden Erfolg der bayerischen Grünen bei der Landtagswahl geschuldet. Mit 17,6 Prozent haben sie ihr Ergebnis gut verdoppelt. Ein Signal der Wähler, das die CSU offenbar nicht ignorieren wollte.
Markus Söder, CSU
Das ist der Bereich, wo ein wenig die alte CSU durchschimmert, die es früher stets meisterlich verstanden hat, der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie deren Vorstöße, so sie nicht mehr abzuwenden waren, einfach übernahm und umdeklarierte. Oder wie es Söder am Sonntag formulierte: „Bayern kann grüner werden – auch ohne die Grünen!“
Söders Parteivorsitz gilt als sicher
Am Dienstag soll nun Söder vereidigt werden, in einer Woche dann das neue Kabinett. Drei Minister und zwei Staatssekretäre werden die Freien Wähler bekommen – das aus CSU-Sicht wohl schmerzhafteste Zugeständnis. Aiwanger selbst wird das Wirtschaftsressort mit den Zuständigkeiten für Energie und Landesentwicklung übernehmen, der profilierte Bildungspolitiker Michael Piazolo das Kultus- und Thorsten Glauber das Umweltministerium.
Wer die CSU-Ministerien, darunter auch ein eigenes Digitalministerium übernimmt, ist noch offen. Dass sich Söder hier bedeckt hält, könnte vielleicht auch damit zusammenhängen, dass es da ja noch diese andere Personalentscheidung gibt. Parteichef Horst Seehofer hat angekündigt, sich nächste Woche zu seiner persönlichen Zukunft äußern zu wollen.
Dass Markus Söder künftig auch den Parteivorsitz übernehmen soll, gilt dem Vernehmen nach mittlerweile in der Partei als ausgemachte Sache. Sollte in diesem Zuge dann auch ein Ministerposten in Berlin zu vergeben sein, hätte dies natürlich auch Auswirkungen auf Söders Berufungen in Bayern.
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