Koalitionen in Ostdeutschland: Geschwister im Geiste
Dass die Union mit dem BSW koalieren könnte, hat nicht nur taktische Gründe. Die beiden Parteien haben erstaunlich viele Gemeinsamkeiten.
J ahrzehntelang schloss die Union jede Zusammenarbeit mit Kommunisten aus – und warf der Sozialdemokratie immer mal wieder vor, den antiextremistischen Konsens zu verraten. Mit extremen Parteien koaliert man nicht und mit linken schon gar nicht. So lautete das Diktum der CDU in Zeiten des Kalten Kriegs, an dem aber auch nach der „Wende“ festgehalten wurde.
Das Bild, das sich Unionsmitglieder von Sahra Wagenknecht machten, passte dazu perfekt: Ob man sie nun primär als Kommunistin, als DDR-Apologetin oder als Kreml-Freundin ansah – oder alles zusammen –, so funktionierte sie als Schreckgespenst wunderbar.
Wie sehr sich die Zeiten geändert haben, zeigt sich dieser Tage, wenn die Parteigründerin nun von einem Sondierungsgespräch mit CDU-Politikern zum nächsten reist – mit dem Ziel, in gleich drei Bundesländern ein gemeinsames Regierungsbündnis zu bewerkstelligen.
Dass die Union im Osten wenige Alternativen hat, ist offensichtlich: Will sie ihr antiextremistisches Erbe nicht vollends aufgeben, indem sie mit der rechtsextremen AfD kooperiert, bleibt ihr nichts anderes übrig, als mit Wagenknecht zu reden. Doch für die CDU gibt noch andere Gründe, über ihren Schatten zu springen.
In der Migrationspolitik kaum zu unterscheiden
Da wäre zunächst eine machtstrategische Dimension, denn ein Bündnis mit dem BSW könnte das strukturelle Langzeitproblem der CDU lösen, das sich bisher aus ihrer Abgrenzungsstrategie ergab: ihre begrenzte Bündnisfähigkeit. Weil sie bisher Kooperationen mit Links- und Rechtsaußen ausgeschlossen hat, war die Union effektiv auf Bündnisse mit SPD, FDP und Grünen angewiesen. Hatten diese keine Mehrheit, wie es heute in Ostdeutschland der Fall ist, wurde es eng. Das hat sich bereits in den vergangenen Jahren in Thüringen gezeigt.
Dass die Union dort fünf Jahre lang eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow tolerierte, konnte sie nur schwer begründen. Mit Wagenknechts neuer Partei dagegen ist das koalitionsarithmetische Spiel wieder auf null gesetzt: Der antiextremistische Konsens wird mit Blick auf das BSW erst gar nicht bemüht, gilt es doch, einen potenziellen Partner zu umwerben, statt ihn von vornherein auszuschließen.
Während die taktischen Motive auf der Hand liegen, gibt es aber auch inhaltliche Gründe, Koalitionen auszuloten. Wie politikwissenschaftliche Analysen gezeigt haben, bestehen zwischen BSW und CDU mehr Gemeinsamkeiten, als man denken könnte. Am offensichtlichsten zeigen sich diese in der Migrationspolitik.
Ob es nun um die Begrenzung von Sozialleistungen für Asylsuchende geht oder um die Verlagerung von Asyl- und Prüfverfahren an die EU-Außengrenzen oder an Drittländer: Die Vorschläge, die man zuletzt aus BSW und CDU hören konnte, sind kaum voneinander zu unterscheiden. In beiden Parteien wird Migration als ein ganz maßgebliches Problem angesehen, das es zu begrenzen gilt. Zudem haben es sich Friedrich Merz und Sahra Wagenknecht gleichermaßen zur Aufgabe gemacht, die AfD durch eine Light-Version ihrer Politik zu halbieren – auch wenn damit bisher die einen so wenig Erfolg haben wie die anderen.
Beide hassen „Gender-Gaga“ und die Grünen
Auch in gesellschaftspolitischen Fragen sind beide Parteien vereint im Kampf gegen „Gender-Gaga“ und „Cancel Culture“. Längst ist Sahra Wagenknecht Teil jenes Welt-, Bild- und Nius-Kosmos geworden, in dem auch CDU-Politiker und nahestehende Publizistinnen regelmäßig die Beschneidung der Meinungsfreiheit durch „woke“ Linke diskutieren. Ganz wie die CDU tritt auch das BSW als Partei der „Normalen“ auf, die von Eliten und Minderheiten umerzogen werden sollen.
Selbst in der Wirtschaftspolitik gibt es bemerkenswerte Überschneidungen zwischen CDU und BSW. Funktionierende Marktwirtschaft, fairer Wettbewerb und eine Politik für den Mittelstand sind nicht nur Schlüsselvokabeln der Union. Sie stehen so auch im BSW-Programm.
Dass sich die Ex-Kommunistin Wagenknecht seit Jahren auf den CDU-Kanzler Ludwig Erhard und seinen Ordoliberalismus beruft, macht sich in den ökonomischen Zielen ihrer neuen Partei bemerkbar. Auch Wagenknechts Plädoyer für Technologieoffenheit statt klimapolitischen Verboten kann man in der CDU unterschreiben. Die Grünen gelten aktuell in beiden Parteien als Hauptfeind.
Selbst mit den Wagenknecht-Forderungen nach einem höheren Mindestlohn und mehr Umverteilung werden Konservative umgehen können – dank jahrelanger Koalitionserfahrung mit dem linken SPD-Flügel, der nichts anderes forderte.
Außen- und sicherheitspolitisch ist die CDU gespalten
Und was ist mit der Außen- und Sicherheitspolitik? Hier lauern für mögliche Bündnisse aus CDU und BSW die größten Gefahren. Das liegt weniger daran, dass Wagenknechts Kritik an der Nato und an der westlichen Russlandpolitik in der Partei von Konrad Adenauer und Helmut Kohl auf eine geschlossene Abwehrfront träfe. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Die BSW-Positionen werden längst von Teilen der CDU unterstützt, nicht zuletzt vom sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer.
Doch genau hierin liegt das Problem. Ähnlich wie ein Bündnis zwischen SPD und Linkspartei im Bund lange unmöglich war, weil es die Sozialdemokraten über den Umgang mit der Agenda 2010 zerrissen hätte, könnte die Außenpolitik die Christdemokraten zerreißen. Würde sie in der Ukrainepolitik ganz auf Wagenknechts Forderungen eingehen, würde sich schnell zeigen, wie gespalten sie selbst in dieser Frage längst ist. Ihre pro-westliche Tradition kann die Union nicht einfach so ablegen.
An dieser Front wird sich daher zeigen, wie ernst es Wagenknecht mit ihrer Bereitschaft meint, Verantwortung zu übernehmen. Will sie in Sachsen und Thüringen tatsächlich zu stabilen Regierungen beitragen, sollte sie der CDU nicht zu viele Zugeständnisse abringen. Der Schatten, über den die Union springen muss, ist auch so schon groß genug.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP