Koalition und FDP einigen sich: Wahlrecht ab 16 kommt in Berlin
Rot-Grün-Rot will mithilfe der FDP das Wahlalter bei Abgeordnetenhauswahlen auf 16 Jahre senken. Bis Ende 2022 könnte ein Beschluss stehen.
Allein kann die Koalition die Neuerung nicht beschließen, weil dafür eine Verfassungsänderung erforderlich ist, bei der im Parlament eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig ist. Darüber verfügen SPD, Grüne, Linkspartei und FDP seit der Wahl im vergangenen September, anders als in der vorigen Wahlperiode. Die Stimmen der bei früheren Debatten über ein niedrigeres Wahlalter ablehnenden CDU sind dafür nicht nötig. Saleh rief deren Fraktions- und Landesvorsitzenden Kai Wegner dennoch auf, sich dem Bündnis für eine Änderung des Wahlalters anzuschließen: „So ein Vorhaben sollte man so breit wie möglich verabreden.“
Im Abgeordnetenhaus verfügen die drei Koalitionsfraktionen zusammen seit Herbst über 92 Sitze. Mit den 12 Mandaten der FDP-Fraktion sind es 104 – sechs mehr als die Zwei-Drittel-Mehrheit erfordert. In der vergangenen Wahlperiode fehlten einem solchen informellen Bündnis vier Stimmen. „Liebe CDU, macht mit“, forderte Saleh seinen CDU-Kollegen Wegner auf. Die CDU habe zwar in der Vergangenheit Gesprächsangebote nicht angenommen, „aber die Tür steht nach wie vor offen“, sagte Saleh.
Die Christdemokraten hatten bisher unter anderem damit argumentiert, dass es nicht zusammenpasse, wenn 16-Jährige ein Landesparlament wählen, aber nicht vollumfassend Verträge abschließen dürfen. Die Haltung in der aktuellen CDU-Fraktion ist allerdings offener: Fast die Hälfte ihrer 30 Abgeordneten ist im Herbst neu ins Abgeordnetenhaus gekommen. Fraktionssprecher Olaf Wedekind ging gegenüber der taz davon aus, dass sich die Fraktion bei ihrer nächsten Sitzung am 3. Mai mit dem Thema beschäftigen wird, falls bis dann ein offizieller Antrag vorliegt.
SPD-Fraktionschef Saleh hatte nach eigenen Angaben im Auftrag der rot-grün-roten Koalition mit FDP-Mann Czaja gesprochen, zu dem er, wie sich im Parlament immer wieder zeigt, einen guten Draht hat. „Mir persönlich ist das Thema seit vielen Jahren wichtig“, sagt er der taz. Tatsächlich fragte Saleh schon im taz-Sommerinterview 2019 rhetorisch zum Thema Wahlalter: „Wer soll das hinbekommen, wenn nicht Rot-Rot-Grün?“ Der SPD-Landesverband habe sich bereits vor vier Jahren hinter die Forderung nach einem Wahlalter ab 16 Jahren gestellt. Eine Mitgliederbefragung 2015 hatte das noch abgelehnt.
Jusos wollen ab 14 wählen
Dass künftig auch unter 18-Jährige das Landesparlament wählen können, ist auch eine langjährige Forderung des SPD-Nachwuchsverbands Jusos. Deren Landesdelegiertenkonferenz hatte sich sogar dafür ausgesprochen, schon ab 14 Jahren wählen zu lassen. Für ihre Landeschefin Sinem Tasan-Funke waren die Jusos in der SPD die treibende Kraft hinter der nun verabredeten Absenkung auf 16 Jahre. „Wir sehen das auch als unseren Erfolg, dass das jetzt kommt“, sagt sie der taz.
Wenn das Abgeordnetenhaus die Verfassungsänderung tatsächlich, wie von Saleh angestrebt, bis Jahresende beschließt, wäre Berlin das sechste Bundesland, in dem auch 16- und 17-Jährige mit abstimmen dürfen. Das ist bisher in Bremen, Brandenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein möglich – und seit Anfang April auch im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg. „Wenn die CDU dort zustimmen kann, warum dann nicht auch in Berlin?“, fragte Saleh gegenüber der taz. Im seit 2017 von der CDU geführten Schleswig-Holstein war das Wahlalter 2013 unter der rot-grünen Vorgängerregierung abgesenkt worden.
Bei den in Berlin zeitgleich zur Abgeordnetenhauswahl anstehenden Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen dürfen 16- und 17-Jährige in Berlin bereits mit abstimmen. „Das hat der Demokratie genutzt und nicht geschadet“, meint Saleh und fordert: „Keine Angst vor Beteiligung!“ Deshalb darf die Absenkung des Wahlalters aus seiner Sicht auch nicht auf der Landesebene halt machen: „Perspektivisch müssen wir über das Bundeswahlrecht nachdenken.“
Die auf Bundesebene regierende Ampel-Koalition befürwortet das. Sie hat aber im Bundestag auch mit der Linksfraktion zusammen keine Zwei-Drittel-Mehrheit und wäre, anders als die rot-grün-rote Koalition in Berlin, auf die CDU angewiesen.
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