Volksinitiative „Demokratie für alle“: Abstimmen, um abstimmen zu dürfen

Eine Initiative fordert das Wahlrecht ab 16 und für AusländerInnen. Das will zum Teil auch Rot-Grün-Rot – eigentlich. Ein Wochenkommentar.

Franziska Giffey (SPD) wirft Zettel in Wahlurne mit der Aufschrift "A-K"

Manchmal braucht es nur den richtigen Anfangsbuchstaben, um abzustimmen Foto: dpa

Aus aktuellem Anlass ein Funfact aus Übersee: Der neue chilenische Präsident Gabriel Boric, am Freitag frisch eingeführt, wurde auch von vielen Menschen ins Amt gehoben, die zwar seit mindestens fünf Jahren in dem südamerikanischen Land leben, aber nicht die Staatsbürgerschaft besitzen. Hinter den Anden herrscht das weltweit älteste Wahlrecht für AusländerInnen auch auf nationaler Ebene, und es ist auch heute noch eine absolute Ausnahme, dass Staaten dieses Privileg gewähren. In Deutschland sind wir weit davon entfernt.

Hier gilt wie in den meisten EU-Mitgliedsstaaten eine sehr dünne Light-Version des AusländerInnen-Wahlrechts: Nur wer aus einem anderen Land der Europäischen Union stammt, darf sein Kreuzchen machen – und das auch nur (außer bei den Europawahlen) auf kommunaler Ebene, in Berlin sind das die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversamlungen (BVV). Und noch eine Lücke tut sich auf, die mit Wahlrecht allerdings nur im weiteren Sinne zu tun hat: Für eine Volksinitiative – im Grunde eine Art XL-Petition – dürfen alle unterschreiben, die mindestens 16 Jahre alt und in Berlin gemeldet sind.

Unter anderem deshalb hat die Initiative „Demokratie für alle“, die am Donnerstag mit dem Unterschriftensammeln begonnen hat, diese Partizipationsform gewählt, um genau das zu ändern. Ein Volksbegehren hätte tatsächlich mehr Gewicht – mit ihm bzw. dem anschließenden Volksentscheid können Gesetze verabschiedet werden. Aber allein als Symbol wäre es problematisch, wenn wieder nur die abstimmen, die das ohnehin schon dürfen.

Rein praktisch ist es andererseits ohnehin nicht möglich, ein AusländerInnenwahlrecht per Berliner Volksgesetzgebung durchzusetzen: Das kann nur der Bund, weshalb „Demokratie für alle“ und ihre UnterstützerInnen den Senat lediglich dazu auffordern, eine entsprechende Bundesratsinitiative zu starten.

Bei einer weiteren Forderung, nämlich der nach einem Wahlalter von 16 Jahren fürs Abgeordnetenhaus und Volksentscheide, ist das anders: Hierzu muss „nur“ die Landesverfassung geändert werden. Das ist durchaus wahrscheinlich: Sowohl Rot-Grün-Rot als auch die FDP sind explizit für diese Reform, womit die nötige Zweidrittelmehrheit gegeben wäre. Hier fragt sich eher, warum die Koalition ihre versprochene Initiative nicht längst gestartet hat. Die Konzepte liegen ja längst in den Schubladen der Parteien.

Pragmatische Kompromisse

„Demokratie für alle“ macht auch Kompromisse, das ist selbstverständlich und pragmatisch. Ihre Forderung lautet etwa, dass das Wahlrecht allen zustehen soll, die seit 3 Jahren in Deutschland leben. Das ist auch eine willkürliche Setzung, aber sie ist nachvollziehbar.

Zwar verfängt das Argument bei vielen zu Recht nicht mehr, es solle nicht über die Politik mitbestimmen dürfen, wer hier arbeitet, Steuern zahlt oder einfach nur Teil der Gesellschaft ist, sondern nur, wer sich endgültig für ein Leben in Deutschland entschieden hat. Aber eine gewisse Vertrautheit mit den Problemen, um die es im Zusammenleben geht, darf man schon voraussetzen – und da ist eine solche flache Schwelle legitim.

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Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.

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