Knast oder Klapse: Kein Pardon dem Betrüger
Nach deutschem Recht wäre er frei – und doch sitzt Andreas P. seit langem in der geschlossenen Psychiatrie. Wenn er da rauskommt, dann nur, um ins Gefängnis zu gehen.
Andreas P. muss bald ins Gefängnis, aber das ist schon die gute Nachricht. Denn er ist einer, den sie weggesperrt haben, wegsperren wollen. Also: Rein präventiv. Damit er nicht wieder zum Betrüger wird.
Die letzten bald neun Jahre saß er in der geschlossenen Psychiatrie im Klinikum Bremen-Ost ein. Doch selbst das Bundesverfassungsgericht fand das unverhältnismäßig. Denn für so eine Unterbringung in der Forensik kommt nach deutschem Recht nur in Frage, wer „schuldunfähig“, mindestens aber als „vermindert schuldfähig“ gilt. Herr P. – das sagen alle seine Gutachter – ist das nicht.
Also muss er – nein, nicht freigelassen werden, sondern bald schon ins Gefängnis, für fast drei Jahre. Um noch drei alte Haftstrafen abzusitzen, allesamt wegen Betrügereien. Zwar ist noch keine offizielle Entscheidung gefallen. Aber das ist wohl nur eine Formsache. Dabei wäre Herr P. heute ein freier Mann, wenn in seinem Fall nur deutsches Recht angewendet werden würde.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will strengere Regeln für die Einweisung von StraftäterInnen in die Psychiatrie aufstellen.
So sollen dauerhafte Unterbringungen auf gravierende Fälle beschränkt und die Anforderungen an GutachterInnen erhöht werden.
Die Einweisung soll künftig zudem schon nach vier Monaten überprüft werden - statt wie bisher nach einem Jahr.
Die angestrebte Reform ist eine Reaktion auf den Fall von Gustl Mollath, der von der bayerischen Justiz vor sieben Jahren in die Psychiatrie eingewiesen wurde.
Bundesweit saßen 1980 in West-Deutschland 3.237 Personen im Maßregelvollzug, 1990 waren es 3.649 und im Jahr 2000 schon 5.872. Bis 2012 stieg die Zahl laut Statistischem Bundesamt auf über 10.000 an.
2012 waren in Bremen 122 Menschen, in Hamburg 281, in Niedersachsen 1.229 betroffen.
Doch zuletzt verurteilt hat ihn das Landgericht im österreichischen Krems. 2005 war das – er bekam fünf Jahre. Und eine Einweisung in eine „Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher“, die zeitlich unbegrenzt ist. Er war dem Urteil zufolge zwar nicht „unzurechnungsfähig“, habe aber seine Taten „unter dem Einfluss geistiger und seelischer Abartigkeit von höherem Grade“ begangen, wie man in Österreich so sagt. In Deutschland wäre er dafür im Knast gelandet. Denn der Sachverständige hatte im Prozess gesagt: „Ich finde keinen Grund zu sagen, er könne nichts dafür.“ Und ganz sicher sei P. „nicht geisteskrank“. In Österreich durfte man einen wie ihn damals trotzdem noch in die geschlossene Psychiatrie einweisen. In Bremen nicht. Doch hier sitzt er seit 2006 – in Folge des Urteils aus Österreich.
Sein Therapeut am Klinikum Bremen-Ost beschrieb den Patienten P. im Gespräch mit der taz zwar als „starrsinnig und dickköpfig“, als „impulsiv“ und etwas cholerisch. Ja, er habe auch eine Persönlichkeitsstörung – „aber das allein reicht nicht aus, um untergebracht zu werden“. Trotzdem hat das Landgericht Bremen seit 2006 gleich fünf Mal entschieden, dass er dort weiter im Maßregelvollzug einsitzen muss. Und dass dies auch verhältnismäßig ist – weil sein Krankheitsbild unverändert sei, weil die „Gefahr der Begehung weiterer Straftaten“ bestünde. Auch das Oberlandesgericht sah das so. Das Bundesverfassungsgericht nicht. Also wird das Landgericht jetzt die Maßregel für beendet erklären müssen.
Aber da sind ja immer noch die fünf Jahre Haft von 2005 – aus Krems. Und eine Verurteilung des Amtsgerichts Bremen von 2004, zu einem Jahr und fünf Monaten, und dann noch eine, zu zwei Jahren, alle wegen Betrugs. Macht zusammen acht Jahre und fünf Monate. Wenn man, so wie in diesem Fall, keine Gesamtfreiheitsstrafe bildet, wie die Juristen sagen, also alle einschlägigen Urteile zusammenfasst und einen Mengenrabatt gewährt, was üblich wäre.
Sven Sommerfeldt, P.s Anwalt, sagt: Die „Gesamtdauer der Freiheitsentziehung“ dürfe jene knapp achteinhalb Jahre „weder erreichen noch überschreiten“. Hat sie aber ja schon in diesem Frühjahr. Er sagt außerdem, die Jahre, die P. nach österreichischem Recht in der Forensik saß, müssten voll auf die Strafe angerechnet werden. Und er sagt: P. müsste einen „Härteausgleich“ bekommen, weil er ja den sonst üblichen Mengenrabatt nicht bekam. „Es erscheint deshalb angemessen“, so Sommerfeldt, „die Vollstreckung der Freiheitsstrafen mit sofortiger Wirkung für erledigt zu erklären.“ Also Herrn P., der mittlerweile Anfang 50 ist, nun freizulassen.
Im Bremer Landgericht sehen sie das anders. Seine Strafen könnten nur zu zwei Dritteln angerechnet werden, sagt der zuständige Richter: „Das Gesetz sieht das so vor.“ Man könne nicht anders. Sommerfeldt sagt, sie könnten schon, sie wollen nur nicht. Das sei „Unsinn“, sagt der Richter. Allenfalls könne man das restliche Drittel – das sind genau zwei Jahre und acht Monate – zu Bewährung aussetzen. Bei günstiger Sozialprognose. Die fehlt aber: Im Mai bescheinigte ein Gutachter Herrn P., dass zwar keine Gewalttaten mehr, wohl aber Betrügereien von ihm zu erwarten seien. 1991 wurde er mal, auch in Bremen, wegen Vergewaltigung verurteilt, bekam viereinhalb Jahre dafür, die er auch abgesessen hat. Im Gefängnis. Ja, eine Störung habe er schon, sagt P. selbst, aber keine so ausgeprägte. Dem Landgericht Bremen wirft er „schwere Rechtsbeugung“ vor. Für ihn ist das alles ein ganz „linkes Ding der deutschen Justiz“, wie überhaupt vieles in seinem Leben.
Seine Bewährungshelferin sprach sich jüngst ausdrücklich für die Aussetzung seiner Strafe aus. Sommerfeldt hat nun einen „Gnadenerweis“ für seinen Mandanten bei der Generalstaatsanwaltschaft beantragt, damit seine Freiheitsstrafe von 2004 mindestens zur Bewährung ausgesetzt wird. Die Staatsanwaltschaft hatte einen ähnlichen Antrag zu Jahresbeginn schroff abgelehnt: Es bestehe „kein Anlass“, einen Gnadenerweis auch nur „zu erwägen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland