Knast für minderjährige Flüchtlinge: Wieder einsperren
Der Städtetag-Geschäftsführer fordert geschlossene Heime für minderjährige Flüchtlinge. Das wäre auch für einheimische Kids unsinnig.
Es ist bald Wahl in Bayern. Vielleicht kein Zufall, dass die Nachricht aus Passau kommt. „Städte fordern harte Linie gegenüber kriminellen jungen Flüchtlingen“, sagte der Geschäftsführer des Deutschen Städtetags der Passauer Neuen Presse. Es gebe eine kleine Gruppe von jungen kriminellen Flüchtlingen, die in der Jugendhilfe kaum zu integrieren wären. Für diese brauche man geschlossene Heime. Und auch CSU-Politiker Stephan Meyer forderte, man müsse Intensivtätern durch geschlossene Einrichtungen „wirkungsvoller Grenzen zeigen“.
Das Thema hat oft vor Landtagswahlen Saison. In Bremen geriet vor drei Jahren die rot-grüne Regierung so stark unter Druck, dass sie versprach, nach 30 Jahren Abstinenz wieder ein geschlossenes Heim für straffällige unbegleitete minderjährige Flüchtlinge einzurichten, das aber dann nie kam.
Zugleich schmort im Bundesrat ein neues Jugendhilfegesetz mit einem verräterischen Passus. Für junge Geflüchtete, die ohne Eltern einreisen, soll ein Zweiklassenrecht her. Es geht darum, die für einheimische Jugendliche geltenden Standards aufzuweichen. Also darum, billigere, weniger personalintensive Betreuung anzubieten. Provisorien, die 2015 vielleicht nötig und vertretbar waren, als über 40.000 junge Geflüchtete ins Land kamen, sollen dauerhaft legitimiert werden.
Ist es sinnvoll, geschlossene Heime für junge Geflüchtete einzurichten? Die Antwort ist relativ einfach. Es hat genauso viel oder wenig Sinn wie für bereits hier geborene Kinder und Jugendliche. Und rechtlich ist es bereits möglich, auch junge Geflüchtete einen der rund 350 Plätze in geschlossenen Heimen zuzuweisen.
Nur gelten dafür eben strenge Maßstäbe. In der Jugendhilfe werden junge Menschen nicht einfach weggesperrt, weil sie stören. Für Straftaten ist das Strafrecht da. Ob die Jugendhilfe überhaupt einsperren darf, ist umstritten. Wenn, dann muss eine Kindeswohlgefährdung vorliegen, die anders nicht abzuwehren ist. Dafür muss der Sorgeberechtigte einen Antrag stellen. Und man braucht ein sozialpsychiatrisches Gutachten und Menschen, die die Sprache der jungen Geflüchteten verstehen.
Das Problem einer kleinen Gruppe Jugendlicher aus Marokko gab es in Hamburg und Bremen schon vor drei Jahren. Hamburg hatte nach Beratung mit Kinder- und Jugendpsychiatern beschlossen, dass geschlossene Türen für diese Gruppe der oft auch traumatisierten Jungen nicht das Richtige sind. Im März 2015 errichtete der Landesbetrieb Erziehung eine besondere Einrichtung an einem unwirtlichen Ort, mitten in einem Gewerbegebiet am „Bullerdeich“, ein. Bis zu 20 Jugendliche lebten auf dem ehemaligen Recyclinghof in kleinen Wohncontainern. Am Eingang wachte eine externe Security. Ins Haupthaus, wo es Gespräche und Freizeitangebote gab, durfte nur, wer sich an die Regeln hielt. Eine Grundversorgung mit Essen bekam jeder. Arabisch sprechende Kulturmittler wurden eingesetzt.
Das Konzept hat mäßig gewirkt. Die Gruppe, die Probleme machte, ist nicht mehr da. Einige zogen in andere Städte oder Länder weiter, einige kamen ins Jugendgefängnis, die meisten sind inzwischen erwachsen. Im April wurde das Haus am „Bullerdeich“ wieder geschlossen. Nun steht es leer, und es gibt die – auch umstrittene – Idee, es für hier geborene Problemjugendliche wiederzueröffnen.
Auch in Bremen, wo Konzept und Etat für ein Heim schon beschlossen waren, fand der rot-grüne Senat andere Wege. Der Plan ist inzwischen beerdigt.
Jetzt spitzte sich das Problem offenbar in Mannheim zu. Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) klagte über eine Gruppe von 15 Jugendlichen aus Nordafrika, die regelmäßig Diebstähle auf offener Straße begingen, und sprach von Staatsversagen. Unter anderen Bildgriff das auf. Und der Hauptgeschäftsführer des Städtetags, Helmut Dedy, diktierte der Passauer Neuen Pressebesagtes Statement in den Notizblock. „Ähnlich wie für andere jugendliche Intensivtäter muss auch für Wiederholungstäter unter den minderjährigen unbegleiteten Ausländern eine spezielle Betreuung errichtet werden“, so Dedy. In enger Absprache sollten die Landesjugendämter, Jugendpsychiatrie sowie Polizei und Staatsanwaltschaft „Konzepte zur geschlossenen Unterbringung dieser Personen erarbeiten und umsetzen“, sagt er. In besonders schweren Fällen müsse das Jugendstrafrecht greifen.
Kein Beschluss des Städtetags
Das empörte gestern Norbert Müller, den Jugendpolitiker der Linksfraktion im Bundestag. „Herr Dedy betreibt billigen Populismus auf dem Rücken junger Geflüchteter“, sagt Müller. Das Jugendstrafrecht biete genug Möglichkeiten, mit jungen Straftätern umzugehen. „Jugendhilfe unterstützt junge Menschen und ist nicht dafür da, schwierige Jugendliche in der geschlossenen Unterbringung wegzusperren.“ Müllers Büro rief übrigens beim Städtetag an und erfuhr, dass Herr Dedy seine Meinung kundtat. Einen Beschluss des Städtetags gibt es nicht, bestätigt eine Sprecherin. Und bekräftigt, dass es nur um eine kleine Gruppe gehe, für die man eine besondere Lösung brauche wie in Hamburg.
Das Thema wird kontrovers diskutiert. Es zeigt sich, dass sich die Lage dort beruhigt, wo die Jugendhilfe ihre Arbeit macht und die jungen Menschen nicht mehr in Großunterkünften, sondern individuell betreut und erreicht werden. In Hamburg hat sich die Lage auch deshalb beruhigt, weil die Stadt ein schulisches Ausbildungsprogramm aus dem Boden stampfte. Das Aufweichen von Jugendhilfestandards für junge Geflüchtete gilt Experten als Irrweg.
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