Klüngel im Bundeswirtschaftsministerium: Chefsuche beginnt von vorn
Die Energieagentur Dena startet ein neues Chef-Findungsverfahren. Nach der Affäre um Staatssekretär Graichen erhebt die CDU weitere Vorwürfe.
In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass Schäfer von einer Kommission für die letzte Bewerbungsrunde des Co-Chefpostens bei der bundeseigenen Agentur vorgeschlagen worden ist, der auch der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Patrick Graichen angehörte. Schäfer war Graichens Trauzeuge. Die endgültige Personalentscheidung hat der Aufsichtsrat der Dena getroffen, dem Graichen nicht angehört. Mit der Suche nach geeigneten Kandidat:innen war ein externer Personaldienstleister beauftragt worden. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums führte die Kommission Gespräche mit sechs Kandidat:innen und befand Schäfer einstimmig als denjenigen mit der besten Qualifikation.
Ursprünglich sollte Schäfer seinen Posten am 15. Juni antreten. Der Verwaltungswissenschaftler war bis 2016 energiepolitischer Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, danach beim von Graichen mitgegründeten Thinkthank Agora Energiewende und dann Leiter der Abteilung Klimapolitik bei den Naturschutzorganisationen WWF sowie Nabu. Beim Nabu kündigte er im vorigen Jahr, weil er dessen Kritik an der Windkraft falsch findet.
Graichen hat inzwischen die Teilnahme an der Personalsuche als Fehler bezeichnet. „Ich hätte mich ab dem Moment, als Michael Schäfer Kandidat wurde, aus dem Verfahren zurückziehen sollen, damit im weiteren Prozess kein falscher Eindruck entsteht“, erklärte er. Das Bundeswirtschaftsministerium erklärte, es habe zwar keine rechtlichen Fehler gegeben, aber es „könnte der Anschein einer möglichen Befangenheit entstanden sein“. Oppositionspolitiker haben wiederholt den Rücktritt Graichens gefordert. Habeck räumt Fehler ein, weist das aber zurück. Graichen ist ein ausgewiesener Fachmann für die Energiewende. Unter seiner Regie treibt das Wirtschaftsministerium den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv voran. Auch das geplante umstrittene Heizungsaustauschgesetz geht maßgeblich auf ihn zurück. Sein Rückzug wäre für Habeck ein dramatischer Verlust.
Verschwägerte Staatssekretäre
Ob die Angelegenheit mit dem Neuaufrollen der Postenbesetzung bei der Dena erledigt ist, ist offen. Im Zuge der Trauzeugen-Affäre ins Blickfeld geraten sind die verwandtschaftlichen Beziehungen im Wirtschaftsministerium. Graichen ist verschwägert mit Michael Kellner, der ebenfalls Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium ist. Kellners Frau Verena Graichen und ein weiterer Bruder arbeiten beim renommierten Öko-Institut, das Aufträge von der Regierung erhält. Das ist seit der Regierungsübernahme bekannt. Um Interessenkonflikte zu vermeiden, sind Graichen und Kellner nicht an der Auftragsvergabe an das Öko-Institut beteiligt.
Die öffentliche Empörung über die – seit Langem bekannten – Verbindungen ist groß. Oppositionspolitiker wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Tilmann Kuban etwa sprechen von „mafiösen Tendenzen“. CDU-Generalsekretär Mario Czaja nutzt die Trauzeugen-Affäre für eine Generalabrechnung mit Habecks Politik. „Es steht die Integrität des Bundeswirtschaftsministers selbst in Frage“, sagte er im Sender Welt-TV. Czaja wirft Habeck außerdem vor, 18 Referatsleiter-Positionen ohne Ausschreibung besetzt zu haben und „gegen den Sachverstand des Ministeriums“ zu regieren. Die Folge sei „der ganze Mist“, den er bei der Gaspreisbremse, beim Heizungsgesetz oder beim Atomausstieg gebaut habe, sagte Czaja.
Allerdings kommen Besetzungen ohne Ausschreibung auch in anderen Ministerien immer wieder vor. Auch im Verkehrsressort wurden mehr als ein Dutzend Stellen ohne Ausschreibung besetzt. Das ist etwa der Fall, wenn die Position ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Minister erfordert. „Das ist ein übliches Verfahren“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Dafür gäbe es klare Regeln.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin