Klopapier statt Politik: Wenn „das Volk“ übernimmt
Bremens jüngste Flüchtlingsinitiative organisiert übers soziale Netzwerk, was in Unterkünften fehlt. Aber die Motive fürs Helfen sorgen für Unmut.
Jeden Tag veröffentlicht die FHB aktualisierte Bedarfslisten für die Flüchtlingsunterkünfte in den Stadtteilen. Da werden etwa Fußballschuhe, Badelatschen und Fahrräder in Arsten gesucht, Spielsachen in Bremen-Ost, ein Kleiderschrank und eine Waschmaschine in Gröpelingen. Fast 11.000 Menschen folgen der Facebook-Gruppe von FHB, zahlreiche Kommentare und Anfragen zeugen von großer Spendenbereitschaft.
Fehlende Zahnpasta
Auf diesen veröffentlichten Bedarfslisten finden sich immer wieder auch Dinge, die eigentlich nicht fehlen dürften. Laut FHB mangelt es beispielsweise in Gröpelingen an „Hygieneartikeln für Kinder und Frauen“, in Blumenthal fehlen Handtücher und in der Bahnhofsvorstadt Windeln.
Gehören diese Dinge nicht zur Grundausstattung von Flüchtlingsheimen? Und was bekommen die Menschen, die aus der Zentralen Erstaufnahmestelle (Zast) in die Unterkünfte der Stadt verteilt werden, mit auf den Weg? „Sie bekommen eine Erstausstattung mit – aus Sicht der Behörde ist der Grundbedarf also gesichert“, sagt David Lukaßen, Sprecher der Bremer Sozialbehörde. Alles Weitere sei dann aber Sache der Flüchtlingsheimträger.
Einer dieser Träger ist der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Jutta Becks, Geschäftsführerin des ASB Bremen, räumt ein, es habe in der Zast zwischenzeitlich Probleme mit der Versorgung gegeben: „Aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen sind viele Menschen von dort direkt und ohne Erstausstattung in andere Unterkünfte verteilt worden.“ Die Träger und Einrichtungsleitungen müssten sich dann um diese Dinge kümmern, „und das tun sie auch“, sagt Becks.
Auch andere Heimbetreiber bestätigen das auf Nachfrage der taz. Einer von ihnen, der ungenannt bleiben möchte, bietet sogar Zahnpasta an: „Seitdem auf dieser Facebook-Seite behauptet wurde, bei uns würde Zahnpasta fehlen, haben wir mehrere Kartons übrig – brauchen Sie welche?“
Der taz will Christian, wie sich der Initiator der FHB-Facebook-Gruppe nennt, weder seinen Nachnamen verraten noch Auskunft erteilen. Man wolle, teilt er lediglich im Facebook-Chat mit, „nicht politisch werden“ und verweist auf die Überschrift eines Kommentars im Bremer Weser-Kurier: „Das Volk übernimmt.“
Auf erneute Nachfrage reagiert nicht mehr er, sondern FHB-Aktivist Konrad, der ebenfalls seinen Nachnamen nicht nennen will. Und der fragt per Chat, ob die taz eine „Hetzkampagne gegen den Staat“ plane. Er ergänzt: „Es geht uns nicht darum, Missstände an den Tag zu bringen“, schreibt er im Chat, sondern darum, „dort zu helfen, wo etwas fehlt – das kann aus unterschiedlichen Gründen alles mal sein, aber deswegen muss man das nicht in der Presse aufbauschen“. Drei Tage später steht auf der Bedarfsliste der FHB, in einem Übergangswohnheim in Bremen-Hastedt werde Toilettenpapier gebraucht.
Durchdachte Hilfe
„Das Problem ist sicherlich, dass auf Facebook jeder weitestgehend ungeprüft alles veröffentlichen kann“, sagt Lucina Bogacki, die im Auftrag der Bremer Sozialsenatorin als Koordinatorin für zivilgesellschaftliches Engagement im Flüchtlingsbereich und als Koordinatorin für Migration für die Landesarbeitgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (LAG) arbeitet. Das Engagement der FHB sei toll, sagt sie, „aber es muss auch abgestimmt und vernünftig durchdacht werden“.
Bogacki hat sich vor Kurzem mit Christian und anderen FHB-AktivistInnen getroffen. „Es gibt in Bremen Initiativen wie den Verein Zuflucht, der seit über 20 Jahren arbeitet und sehr gut vernetzt ist oder auch Portale wie Gemeinsam in Bremen, die tolle Arbeit leisten“, sagt sie. „Es ist ganz wichtig, dass alle Flüchtlingshilfeorganisationen an einem Strang ziehen und zusammenarbeiten und ich hoffe, dass das auch mit der Flüchtlingshilfe Bremen funktioniert.“
Sie habe der FHB angeboten, Infoveranstaltungen abzuhalten und Kontakte zu vermitteln, „und das fanden die auch gut“. Der taz schrieb Christian indes: „Wir wollen mit keiner Hilfsorga direkt und exklusiv zusammenarbeiten. Unser Konzept geht hervorragend so auf.“
Der Satz „Das Volk übernimmt“ aus dem Weser-Kurier ärgert Bogacki: „Das hört sich an, als sei das etwas Neues – dabei tut es das bereits seit über 20 Jahren.“ Jedes Ehrenamt benötige darüber hinaus immer auch ein Hauptamt, „sonst kann vernünftig koordinierte Arbeit nicht gewährleistet werden“. Hinzu kommt, dass andere Flüchtlingsinitiativen stets, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, auf die Verantwortung des Staates für die Flüchtlinge hinweisen.
Bestes Beispiel ist die seit 23 Jahren aktive Flüchtlingsinitiative Bremen: „Wir übernehmen Aufgaben, für die der Staat eigentlich zuständig ist – insofern ist unsere Arbeit mit Blick darauf sogar falsch. Bloß: Den Menschen muss ja trotzdem geholfen werden“, sagt Mit-Initiatorin Gundula Orter. Deswegen hat die Initiative vor knapp zwei Jahren eine Ehrung des Senats für ihr Engagement abgelehnt. Beratungsstellen wie ihre sollten nicht geehrt, sondern durch den Staat überflüssig gemacht werden, sagte Oerter damals.
Zugang zu Ressourcen
Vielleicht, so mutmaßt Oerter heute, begründe sich der Erfolg der FHB auch aus dem „Bedürfnis von Nicht-Geflüchteten heraus, sich zu engagieren und eine gute Atmosphäre zu schaffen“. Darum ginge es letztlich aber gar nicht, „sondern um Rechte und um den Zugang zu Ressourcen – und zwar für alle Menschen“.
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