Klimaziele der EU: Auf der langen Bank
Vor sechs Jahren beschloss die EU-Kommission den Green Deal, um das Klima zu retten. Längst ist unklar, wie sehr sie das noch will.

Nun lässt auch noch der versprochene Plan zur Anpassung an die Folgen der Klimakrise auf sich warten: Damit sei erst 2026 zu rechnen, teilte die EU-Kommission am Dienstag mit. Eine Begründung lieferte sie nicht. Doch der Verdacht steht im Raum: Die EU nimmt es mit dem Klimaschutz nicht mehr so ernst.
„Europa ist der am stärksten vom Klimawandel betroffene Kontinent und trotzdem sinkt der Ehrgeiz beim Klimaschutz“, kritisiert der grüne Europaabgeordnete Michael Bloss. Das gelte nicht nur für die EU, sondern auch für die neue deutsche Bundesregierung: „Das ist politisches Versagen mit Ansage.“
Besorgt zeigt sich auch der Umweltverband WWF. „Während die Klimakrise weiter voranschreitet und Europa der Kontinent ist, der sich am schnellsten erwärmt, scheint die Uhr bei manchen Entscheider:innen in Europa und Deutschland rückwärts zu laufen“, sagt WWF-Expertin Fentje Jacobsen. „Nicht zu handeln ist in jedem Fall teurer als zu handeln.“
Die EVP steht auf der Bremse
Doch der politische Wille fehlt. Nicht nur in der EU-Kommission haben sich die Prioritäten verschoben: Statt des 2019 beschlossenen „Green Deal“ für den Klimaschutz stehen jetzt Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau obenan, was auch zur Verwässerung von klimarelevanten EU-Gesetzen wie der Lieferkettenrichtlinie geführt hat.
Auch im Europaparlament hat der Ehrgeiz nachgelassen. Vor sechs Jahren hat es noch den „Klimanotstand“ ausgerufen. Nun steht die größte Fraktion, die konservative EVP, auf der Bremse. Man müsse den Mitgliedstaaten und der Industrie „deutlich mehr Flexibilität“ geben, fordert Peter Liese (CDU), der umweltpolitische Sprecher der EVP.
Liese plädiert nicht nur dafür, das für 2035 geplante Verbrennerverbot für Kraftfahrzeuge abzuschaffen und durch eine „technologieneutrale“ Regelung zu ersetzen. Er rüttelt auch am EU-Klimaziel für 2040, das nach bisheriger Planung vorsieht, klimaschädliche Treibhausgase um 90 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Die „Fixierung“ der EU-Kommission auf 90 Prozent sei „Teil des Problems“, so Liese.
Bisher habe die EU nicht einmal ein Ziel für die Zeit nach 2030. Nach dem Ausstieg von US-Präsident Donald Trump aus dem Pariser Klimaschutzabkommen komme es darauf an, „schnell ein ambitioniertes, aber auch realistisches Ziel“ vorzulegen.
„Uns könnten vier verlorene Jahre drohen“
Mehr Druck macht der Grünen-Politiker Bloss. „Die EU braucht endlich ein verbindliches Klimaziel: mindestens 90 Prozent Emissionsminderung bis 2040“. Außerdem fordert er „klare Ausstiegspfade für Kohle, Öl und Gas, mehr Tempo beim Ausbau von Wind und Solar, den Abbau fossiler Subventionen und einen fairen sozialen Ausgleich.“
Die Kommission, die von der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen geführt wird, steht Liese näher als Bloss. Man müsse Flexibilität und Pragmatismus zeigen, sagte Klimakommissar Hoekstra. Schließlich brauche man für alle Maßnahmen eine Mehrheit unter den 27 EU-Staaten. Und dort geben konservative und rechte Regierungen den Ton an.
Brüssel nimmt offenbar auch Rücksicht auf Berlin. Vor dem Regierungswechsel in Deutschland wollte die EU-Kommission nicht mit neuen Klimazielen vorpreschen – nun könnte es noch schwieriger werden.
Deren Pläne enthielten einige Rückschritte und Schlupflöcher, kritisiert Stefanie Langkamp von der deutschen Klima-Allianz, einem Bündnis von mehr als 150 zivilgesellschaftlichen Organisationen, zu dem auch der WWF gehört. „Uns könnten vier verlorene Jahre drohen“, fürchtet Langkamp.
Diese Sorge teilt der EU-Abgeordnete Bloss: Von der neuen schwarzroten Bundesregierung sei nicht viel zu erwarten, meint er. „Meine Sorge ist daher, dass das Klimaziel für 2040 von 90 Prozent nur noch auf dem Papier steht“, sagte er der taz.
Wie es weitergeht, dürfte sich erst im Juli zeigen. Dann endet der polnische EU-Vorsitz, der im Klimaschutz auf der Bremse steht. Und dann muss die EU-Kommission Farbe bekennen. Die Brüsseler Behörde könnte die mit Spannung erwarteten Klimaziele gerade noch rechtzeitig vor der Sommerpause vorlegen – womöglich aber auch erst danach.
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