Klimawandel und Biodiversität: Ohne Zoos nichts los

Selbst wenn wir das Klima bis 2050 retten, könnten wir dann ganz schön allein dastehen: Für Tausende von Tier- und Pflanzenarten ist das zu spät.

ein Nashorn steht auf einer Wiese

Nicht den Kopf hängen lassen, Nördliches Breitmaulnashorn: Vielleicht kommst du ja in den Zoo Foto: dpa

Hurra, wir schreiben das Jahr 2050 und das Klima ist gerettet! Wer hätte das drei Jahrzehnte zuvor noch für möglich gehalten? Dass es tatsächlich gelingen könnte, die Erderwärmung bei 1,5 Grad einzuhegen!

Also alles noch mal gutgegangen? Leider nein. Denn für Tausende Tier- und Pflanzenarten kam jede Hilfe zu spät. Sie sind ausgestorben. Wo es einst im Great Barrier Reef vor der australischen Küste über 2.300 Kilometer Länge als einer der größten Hotspots der Biodiversität wimmelte und funkelte, stehen über weite Strecken nun weiße Kalkgerippe, über die ein paar verhungernde Seesterne kriechen.

Keine Überraschung: Schon 2019 stand fest, dass selbst bei Erreichen des 1,5-Grad-Ziels 70 bis 90 Prozent der Korallenriffe sterben würden, einhergehend mit dem Verlust Tausender Arten.

Aber nicht nur der Klimawandel, die Aktivitäten der Menschheit insgesamt haben das lang befürchtete größte Massenaussterben seit dem Ende der Dinosaurier ausgelöst. Wo früher artenreiche Regenwälder standen, wachsen heute nur noch Sojabohnen oder es wächst gleich gar nichts mehr, weil die Erosion die dünne Schicht fruchtbaren Tropenbodens weggespült hat. Wo einst Wildnis oder vielgestaltige Kulturlandschaften lagen, stehen heute Siedlungen und Industriegebiete.

Letzte Chance: Zoo

Selbst in den zahlen- und flächenmäßig ohnehin schon viel zu kleinen Schutzgebieten sind massenhaft Arten für immer verschwunden: gewildert wie die Nashörner, Elefanten und Schildkröten, oder aber wie die Frösche und Salamander an einer sich weltweit ausbreitenden Pilzinfektion verreckt.

Im Jahr 2050 hätte die Menschheit dabei auf viele dieser Probleme eine Antwort: Das Bevölkerungswachstum ist zum Stillstand gebracht, die industrielle Landwirtschaft wurde zurückgedrängt, der Fleischkonsum reduziert, der Amphibienkillerpilz besiegt, großflächige neue Schutzgebiete konnten geschaffen und verwüstete Flächen renaturiert werden.

Einzig: Die Arten, die dort 2019 noch lebten, gibt es schlicht und einfach nicht mehr. Einmal ausgestorben, sind sie für immer weg. Da nutzt das schönste wiederhergestellte Biotop nichts.

Schon 2019 war die Lage für die globale Biodiversität eindeutig und ebenso gut wissenschaftlich abgesichert wie der menschengemachte Klimawandel. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES hatte unmissverständlich auf die drohende Katastrophe hingewiesen: Geschätzt eine Million Arten stand vor dem Aussterben, und zwar nicht irgendwann, sondern in den kommenden Jahrzehnten.

Abgesehen davon, dass im Jahr von Trump und Bolsonaro die Welt von rettendem Tun weit entfernt war – selbst wenn damals sofort und ohne weitere Verzögerungen alles unternommen worden wäre, um bedrohte Spezies in ihren Lebensräumen zu schützen, wäre es für viele von ihnen längst zu spät gewesen.

Zu groß waren damals schon die Schäden in den Biotopen, zu fragmentiert die Restlebensräume, zu geschwächt und individuenarm die überlebenden Populationen, zu verschmutzt die Ozeane, zu weit verbreitet freilaufende Katzen und eingeschleppte Bioinvasoren.

Als nur noch rund 50 Java-­Nashörner durch die Dschungel trotteten, war längst klar, dass sie in freier Wildbahn keine Chance mehr hatten. ­Dasselbe galt für die letzten 10 Vaquita-Schweins­wale, die letzten 15 chilenischen Loa-Frösche, die letzten vier Jangtse-Riesenweichschildkröten … Die einzige Chance, diese Arten zu erhalten, wäre gewesen, sie zunächst in menschlicher Obhut zu züchten.

Fundiertes Populationsmanagement fehlt

Doch die Menschheit hat versäumt, solche Reservepopulationen aufzubauen. Dabei wäre das leicht möglich gewesen. Die nötigen Kenntnisse und Techniken, um bedrohte Arten durch Erhaltungszuchten dauerhaft zu retten, standen bereit. Erforderlich wären nur mehr Geld und Platz gewesen.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Gerade die besonders betroffenen kleineren Arten wie Amphibien, Reptilien, Fische und Wirbellose konnten mit vergleichsweise wenig Aufwand in den Aquarien und Terrarien von Zoos, wissenschaftlichen Einrichtungen und engagierten Privathaltern gezüchtet werden. Man hätte nur Kapazitäten ausbauen und Halter koordinieren müssen, um ein biologisch fundiertes Populationsmanagement aufzubauen.

Bei vielen größeren Tierarten funktionierte das ja längst erfolgreich: Wisent, Przewalski-Pferd, Waldrapp, Arabische Oryx-Antilope, Spix-Ara, Zhous Scharnierschildkröte, Axolotl – zahlreiche Arten konnten durch Erhaltungszucht zunächst vor dem Aussterben bewahrt werden, oder ihre kurz vor dem Verschwinden stehenden Freilandpopulationen wurden durch die Auswilderung von gezüchteten Tieren gestärkt.

„Artgerecht ist nur die Freiheit“, ­skan­dierten Tierrechtler gefühlig

Es ging in die richtige Richtung – doch dann kam alles anders. Statt dass die Zoos ausgebaut wurden, gerieten sie immer stärker unter Druck. Statt dass Privathalter zur Verstärkung der Zuchtbemühungen eingebunden wurden, verbot man die private Wildtierhaltung. „Artgerecht ist nur die Freiheit“, skandierten Tierrechtler, die ihr eigenes Gefühlsleben auf andere Spezies projizierten, obschon ihnen Nashorn und Lemur-Laubfrosch angesichts der Zustände in dieser angeblichen Freiheit sicherlich den Vogel gezeigt hätten – oder die Socorro-Taube, die im Freiland schon 2019 ausgestorben war und nur noch in Zoos und bei Züchtern weiterleben konnte.

Gefühligkeit siegte über Faktenkenntnis

Aber es nutzte alles nichts, Gefühligkeit siegte über Faktenkenntnis: Eine zoologische Einrichtung nach der anderen wurde geschlossen, in Auffangstationen für einheimische Feld-, Wald- und Wiesenarten oder in Heime für irgendwelche Schmusetiere umgewandelt.

Nun stehen noch reihenweise großzügig gehätschelte Rehe in weitläufigen Anlagen herum, während verwöhnte Hunde und Katzen über monströse Luxusspielplätze tollen, in die all die Tierschutz-Spendengelder geflossen sind, statt sie für den Erhalt gefährdeter Arten einzusetzen.

Zu spät. Nun sind sie ausgestorben. Kein Kind wird je wieder über einen lebenden Elefanten, eine Giraffe oder ein Nashorn staunen, und von der Vielfalt der rund achttausend Amphibienarten ist gerade mal gut die Hälfte übriggeblieben.

Dieses Massensterben ist nicht nur tragisch, weil jede Art ein unersetzlicher Wert an sich ist – das kann man ethisch begründen, religiös oder auch nur aus der Beobachtung der Freude, die sie dem Menschen spenden.

Jede Spezies kann von unschätzbarem Nutzen sein

Jede Spezies kann aber zudem von unschätzbarem Nutzen für den Menschen sein, nur weiß man halt vorher nicht, welche. Wer hätte beispielsweise 1928 gedacht, dass dank eines hässlichen Schimmelpilzes ein Jahr später ein Stoff namens Penicillin entdeckt werden würde, der Abermillionen Menschen das Leben retten sollte?

Um die Mitte des Jahrhunderts ist Schluss. Planet und Menschheit haben den Point of no Return erreicht, eine unbewohnbare Erde führt zum Zusammenbruch von Zivilisation und internationaler Ordnung – wenn wir nicht radikal umsteuern.

So steht es in dem Bericht [pdf], den der australische Thinktank Breakthrough National Centre for Climate Restoration veröffentlicht hat.

Wir wollen diese Prognose zum Anlass nehmen, im Rahmen einer Reihe darüber nachzudenken, was bis 2050 passieren wird, passieren kann – und was passieren muss, um das Unheil noch abzuwenden.

Wir wollen wissen, wie man sein Leben bis zum Untergang bestreitet, und wir möchten über eine komplexe und potenziell schönere Zukunft der Menschheit nachdenken – eine, die wir voraussichtlich verpassen werden.

Alle Texte aus der Serie, finden Sie hier.

Wie dramatisch sich zudem das Verschwinden so vieler Spezies auf die globalen Ökosysteme auswirkt, ist 2050 schon deutlich zu spüren. Durch das Fehlen vieler natürlicher Prädatoren und durch plötzlich frei gewordene ökologische Nischen breiten invasive Arten, Ernteschädlinge und Krankheitsüberträger sich ungebremst aus.

2051: Outbreak. Ein neuer, für Menschen tödlicher Krankheitserreger taucht plötzlich auf und rast um die Welt. Den Forschern gelingt es nicht, rechtzeitig ein Gegenmittel zu entwickeln. Pech gehabt, denn das hätte es längst gegeben – wie unzählige andere natürliche Substanzen, die in den Pflanzen und Tieren der Welt unerkannt schlummern, beziehungsweise eben schlummerten.

Der Wirkstoff, der die Menschheit hätte retten können, steckte in der Haut eines kleinen amazonischen Frosches, der irgendwann um 2040 beim Abbrennen eines der letzten brasilianischen Regenwaldstücke ausgerottet worden war. In Terrarien war er noch in den 2030er-Jahren eine häufig gezüchtete Art. Vor den Haltungsverboten und den Zooschließungen.

Das ist jetzt mal wirklich dumm gelaufen.

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