Klimawandel im Harz: Sport ohne Winter
Nach 49 Jahren gibt der Betreiber des Naturschnee-Skigebietes auf dem Sonnenberg auf. Nun braucht der Harz Konzepte für einen nachhaltigen Tourismus.
Noch zu Beginn der 2000er-Jahre, vor gar nicht so langer Zeit also, bedeckte im Harz über Monate eine dicke Schneedecke Berge und auch Täler. In den Hochlagen des Mittelgebirges stiegen die Temperaturen in diesem Zeitraum selten über minus fünf Grad. Die Skisaison dauerte von November bis April.
Zuletzt fielen die Winter immer häufiger aus: Kein richtiger Frost, kaum Schnee, allenfalls der Brocken-Gipfel war längere Zeit in Weiß gehüllt – auf dem höchsten Berg im Harz ist Skilaufen allerdings untersagt. Auch auf den Hängen des 971 Meter hohen Wurmbergs fielen in den vergangenen Jahren erst sehr spät die ersten Flocken. Zumindest war dort einige Wochen lang Skifahren trotzdem möglich. Seilbahn-Betreiber Dirk Nüsse verlässt sich seit fünf Jahren nämlich nicht mehr allein auf die Natur. Er setzt auf Kunstschnee aus Schneekanonen.
Rund zehn Millionen Euro hat der Unternehmer in den vergangenen Jahren in den Ausbau des Skigebietes auf dem Wurmberg investiert. Zwei Millionen Euro schoss das Land Niedersachsen zu. Mit dem Geld wurden unter anderem neue Pisten und Lifte gebaut, unzählige Bäume für den Bau von Parkplätzen gefällt und an die 100 Schneekanonen errichtet. Neun der 15 Ski- und Rodelpisten können damit beschneit werden.
Am Wurmberg wurden 16,5 Hektar Wald gerodet
Auch die Schneekanonen und -lanzen entlang der Abfahrten brauchen allerdings passende Bedingungen für die Produktion von Kunstschnee, also Temperaturen von null Grad oder darunter. Nüsse darf inzwischen sogar doppelt so viel Kunstschnee produzieren und dafür 130.000 statt wie früher 66.000 Kubikmeter Wasser aus dem Speicherbecken am Wurmberggipfel entnehmen, das aus dem Quellfluss Warme Bode gespeist wird
Naturschutzverbände hatten vergeblich gegen die vom Landkreis Goslar erteilte erweiterte Genehmigung protestiert. Es handele sich um einen erheblichen Eingriff in ein geschütztes Fließgewässer, argumentierte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Außerdem seien die Schneekanonen keine nachhaltige Lösung. Wenn die Hänge an einem Wochenende beschneit würden, komme am nächsten Montag wieder eine Wärmewelle „und alles ist weg“, sagen die Umweltschützer. Der Kunstschnee sei eine Sackgasse.
Der Naturschutzbund (Nabu) weist noch auf andere Folgen für die Umwelt hin: Insgesamt wurden nach seinen Angaben am Wurmberg für das Skigebiet 16,5 Hektar Wald gerodet. Davon entfielen 11,5 Hektar auf die Erweiterungen der Skipisten, ein Hektar auf die Fläche für den Speichersee und 3,5 Hektar auf die Erweiterung von Parkplätzen.
Auch die Umweltschützer wollen Tourismus
Millioneninvestitionen und Naturzerstörung: Ist Skifahren im Harz künftig also nur noch unter diesen Bedingungen möglich? Fast hat es den Anschein. Denn außer auf dem Bocksberg bei Hahnenklee, wo acht Schneekanonen die sogenannte Familienabfahrt beschneien, deuten manche Zeichen auf Abschied vom Wintersport.
Nach 49 Jahren gab jetzt der Betreiber des Naturschnee-Skigebietes auf dem Sonnenberg auf. „Danke für Ihre Treue, für unvergessene Augenblicke, für wunderbare Begebenheiten, für wirklich tolle Skitage und für unglaublich nette Gespräche“, verabschiedete sich Michael Sonderfeld im Internet von seinen Gästen. Ob die Anlagen dauerhaft geschlossen oder verkauft werden, steht noch nicht fest. Zuletzt hatte die Touristik-Gesellschaft der Stadt Braunlage ein Kaufangebot abgegeben.
Die Gemeinde Walkenried im Südharz will noch nicht einmal in einen neuen Bulli zum Spuren von Loipen investieren. Das bisher genutzte Fahrzeug ist altersschwach und könnte mitten im Wald stehen bleiben, heißt es. Sollte dort überhaupt ausreichend Schnee fallen, blieben 50 potenzielle Loipenkilometer ungespurt.
Zeitreise in die 70er-Jahre
„Der Harz hat eine Menge zu bieten, zieht tausende Gäste an und überzeugt mit zeitgemäßen Produkten“, erklärte jüngst der Harzer Tourismusverband. „Seit einigen Jahren entwickeln sich verlässlich neue Angebote, bringen Orte und Einrichtungen voran und sorgen für einen nachhaltigen touristischen Erfolg der Region, der nicht nur als weicher Imagefaktor eine wichtige Rolle spielt.“ Doch das ist Werbe-Schönsprech. Die Realität sieht anders aus. Immer noch begibt sich, wer durch den Westharz fährt, auf eine Zeitreise in die 70er-Jahre der Bundesrepublik: die Lokale geschmückt mit Rehbockgeweihen und Zinntellern, Jägerschnitzel auf den Speisekarten, Nippes in den Schaufenstern.
Seit der Wiedervereinigung hat der Westharzkreis Goslar mehr als ein Drittel seiner Besucher verloren, in den vergangenen Jahren konnte der Trend zumindest gestoppt werden. Weil der Wintertourismus, über Jahrzehnte die Säule des Geschäfts, wegen des Klimawandels vielerorts zusammenbrach, setzt langsam ein Umdenken ein: Natur und Kultur werden jetzt mehr beworben.
Neue Themenwanderwege
Der Harzklub, ein Verein zur Pflege des Harzer Brauchtums, hat begonnen, die Wanderwege im Harz zu entflechten und übersichtlicher zu gestalten. Das Angebot soll für Gäste überschaubarer und das Wandern in dem Mittelgebirge attraktiver werden, teilte der Verein mit. Derzeit verwirre eine „Vielzahl von übereinander und nebeneinander angelegten“ Wegen. Insgesamt würden rund 10.000 Kilometer Wanderwege unter die Lupe genommen und optimiert.
Zudem wurden neben Klassikern wie dem „Harzer-Hexen-Stieg“ und dem „Goetheweg zum Brocken“ neue Themenwanderwege erschlossen: So setzt der mit etlichen Infotafeln versehene „Steinway-Trail“ von Seesen nach Wolfshagen dem legendären Klavierbauer Heinrich Engelhard Steinweg (1797–1871) ein Denkmal.
Kultur im Kloster
Bereits zum zehnten Mal lockten in diesem Jahr sechs im Harz oder am Harzrand gelegene Klöster mit einem Kulturprogramm Besucher an. Beim „Harzer Klostersommer“ 2018 gab es mehr als 50 Konzerte, Führungen, Feste und andere Veranstaltungen. Das Krimi-Festival „Mordsharz“ ging mit einem guten Dutzend Lesungen, die teils in Bergwerken oder an anderen „gruseligen“ Orten stattfanden, in die siebte Saison.
Auch die Umweltschützer wollen, dass der Harz touristisch boomt. Sie sagen aber, dass in einen nachhaltigen, ökologischen Fremdenverkehr investiert werden soll. Die Natur mit ihren Pflanzen, Tieren, Gewässern und Wäldern sei das eigentliche Kapital des Harzes. Wer es verschleudere oder mit Mega-Vorhaben wie in Braunlage zerstöre, vernichte die Grundlagen des Harztourismus.
Viele touristische Schätze seien nur unzureichend gehoben. Dutzende Badeseen mit kristallklarem Wasser blieben unentdeckt, weil es an Infrastruktur für Gäste fehle. Wenig beworben wurde bislang auch das „Oberharzer Wasserwirtschaft“ genannte System der im Mittelalter angelegten Gräben, Kanäle und Teiche. Schließlich wurden sie ja erst 2010 zum Weltkulturerbe ernannt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste