Klimaschutzpläne der Ampel-Koalition: Mondlandung ist relativ
Finanzminister Lindner kündigt 200 Milliarden für den Klimaschutz an. Die Grünen jubeln, doch auf den zweiten Blick schrumpft das Paket zusammen.
Eine steile Metapher – und ganz im Einklang mit den grünen Jubelstürmen auf Twitter. „Wow!“, heißt es dort bei Abgeordneten der Partei, „wichtiger Schritt“, „super Sache“ und „großes Ausrufezeichen!“. Seit Sonntagabend geht das so, seit Finanzminister Christian Lindner in der ARD von einer Einigung in den Haushaltsverhandlungen gesprochen hatte. Er gehe davon aus, dass die Bundesregierung für „die Transformation von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat“ bis 2026 rund 200 Milliarden Euro vorsehen werde, sagte der FDP-Chef. Klimaminister Robert Habeck bestätigte die Summe kurz darauf.
Im ersten Moment klang das nach dem großen Erfolg, den die Grünen dringend brauchten, nachdem Kanzler Olaf Scholz sie vor acht Tagen mit der Ankündigung überrascht hatte, die Militärausgaben massiv zu erhöhen. Zur Erinnerung: Zu den jährlichen rund 50 Milliarden Euro im regulären Verteidigungshaushalt soll ein Bundeswehr-Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden kommen. Zum Ausgleich, hieß es seitdem von den Grünen, sei auch an anderer Stelle mehr Geld nötig, unter anderem eben beim Klimaschutz.
Ob mit Lindners Ankündigung jetzt aber tatsächlich eine Zeitenwende in der Klimapolitik auf die in der Verteidigungspolitik folgt? Abschließend lässt sich das am Montag kaum beantworten, zumal die Koalition etliche Details zunächst unter Verschluss hält. Aus dem Finanzministerium heißt es, genaue Infos gebe es erst bei der Vorstellung des nächsten Haushaltsentwurfs, die nächste Woche ansteht.
Mehr altes Geld als neues
Fest steht aber schon mal: Beim Großteil der 200 Milliarden Euro handelt es sich nicht um neues Geld. Laut Grünen-Chef Nouripour gehen allein 110 Milliarden auf Pläne der alten Regierung zurück. Tatsächlich hatte die Große Koalition im letzten Jahr in ihrer Finanzplanung bis 2025 für den Klimafonds Einnahmen in dieser Größenordnung vorgesehen (pro Jahr zwischen 20,7 und 34,2 Milliarden). Sie speisen sich aus Rücklagen, Zuweisungen aus dem regulären Haushalt und Einnahmen aus dem Emissionshandel.
Hinzu kommen laut Nouripour die 60 Milliarden Euro aus dem Nachtragshaushalt 2021, den die Ampel im Januar verabschiedet hatte. Die Koalition verschob den Betrag damals aus nicht benötigten Corona-Krediten in den Klimafonds. Durch diesen Trick umging sie die Schuldenbremse. In Summe ist man damit bei 170 Milliarden.
Bleibt zu den 200 Milliarden also nur noch eine Differenz von 30 Milliarden Euro, die tatsächlich neu sind. Allerdings soll davon auch das Jahr 2026 abgedeckt werden, das in der Finanzplanung der alten Regierung noch gar nicht auftauchte – sie ging ja nur bis 2025. So gesehen wirkt der Aufwuchs der Klimaschutzmittel gleich weniger imposant als noch auf den ersten Blick.
Genauer Zweck noch unklar
Unklar ist darüber hinaus noch, wofür die Ampel das Geld im Detail ausgeben wird. Ein großer Teil wird auf die Abschaffung der EEG-Umlage entfallen. Als Aufschlag auf den Strompreis fließt die Umlage bisher in den Ausbau der Erneuerbaren Energien, dieser Aufschlag soll in Zukunft aber durch Haushaltsmittel ersetzt werden. Christian Lindner sprach in einer Pressekonferenz am Montag von „bis zu 50 Milliarden Euro“, die allein diese Maßnahme ausmachen könne. Daneben erwähnte er die CO2-Reduktion in der Industrie, die Stärkung der Wasserstoffwirtschaft und den Aufbau von Ladesäulen für Elektroautos.
Keine Rede ist bisher unter anderem von neuen Förderungen für die Wärmedämmung von Gebäuden. Entsprechend zwiespältig ist die Deutsche Umwelthilfe bei der Bewertung der Ankündigung. „Erst mal ist es gut, dass die Regierung auch für den Klimaschutz Geld in die Hand nimmt. Aber wenn es ausschließlich dafür verwendet wird, den Strompreis stabil zu halten, fehlt etwas“, sagt Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. „Nötig sind zum Beispiel auch zusätzliche Mittel für Gebäudesanierung und Energieeffizienz.“
Möglicherweise wären dafür aber doch mehr als die 200 Milliarden Euro nötig. Woher nehmen? Auf seiner Pressekonferenz am Nachmittag stellt Grünen-Chef Nouripour in einem Nebensatz noch mal die Schuldenbremse in Frage. Tatsächlich könnten neue Kredite den Handlungsspielraum erweitern. Mit FDP-Chef Lindner im Finanzministerium wird sich das aber weiterhin schwierig gestalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren