Klimapolitik und Schutz von Indigenen: Windkraft versus Menschenrechte
Indigene sollten beim Kampf gegen die Erderhitzung einbezogen werden. Doch was passiert? Durch den Bau von Windparks verlieren sie ihre Lebensgrundlagen.
D er Übergang zu Erneuerbaren Energien hat sich als zentraler Beitrag zur Begrenzung der Erderhitzung erwiesen – einer komplexen Krise in vielfältigen Formen und Dimensionen, die sich nicht nur auf den Alltag der Menschen auswirkt, sondern alles Leben auf unserem Planeten gefährdet. Der Wechsel zu nachhaltiger Energiegewinnung ist Teil der Lösung, wenn wir den Klimawandel stoppen wollen.
Auf dem Weg dahin sind indigene Bevölkerungsgruppen und ethnische Minderheiten wichtige Beteiligte, die nicht übersehen werden dürfen. Die Weltbank weist darauf hin, dass die traditionellen indigenen Gebiete, die nur gut 20 Prozent der Erdfläche ausmachen, 80 Prozent der verbliebenen Biodiversität unseres Planeten halten.
Außerdem verfügen sie über ein in Jahrtausenden gewachsenes Wissen darüber, wie sie den durch den Klimawandel erzeugten Gefahren begegnen müssen, wie sie sie verringern oder sich an sie anpassen können. Obwohl diese Gruppen also bei der Verteidigung unseres Planeten in vorderster Linie stehen, wurden sie in der Regel von der öffentlichen Debatte über Lösungen ausgeschlossen. Man hat sie stattdessen verfolgt, bedroht und attackiert.
Indigene Gruppen und Ethnien werden insbesondere in Lateinamerika diskriminiert und sind strukturellem Rassismus ausgesetzt. Armut und Ausgrenzung treffen sie ebenso hart wie soziale Ungerechtigkeit. Nach Informationen der Weltbank machen indigene Gruppen nur 6 Prozent der Weltbevölkerung aus, aber 15 Prozent der Menschen, die in extremer Armut leben.
Ihre Lebenserwartung liegt um 20 Jahre niedriger als die der nicht-indigenen Bevölkerung, und ihr Zugang zur Justiz und anderen Entscheidungsträgern ist sehr erschwert. Diese Nachteile machen es für sie mühsam, die negativen Auswirkungen des Klimawandels abzuwehren. Sie sind ihnen deshalb stärker ausgesetzt.
Deutlich geringere Lebenserwartung
Wir konnten diese Trends selbst in der agrarischen und indigenen zapotekischen Gemeinschaft in der Gemeinde Unión Hidalgo mit 15.000 Einwohner*innen am Isthmus von Tehuantepec im Süden Mexikos beobachten. Der Isthmus ist der wichtigste Standort für die Windenergiegewinnung in ganz Mexiko. Dutzende großer Windenergiefarmen sind bereits aktiv vor Ort. In Unión Hidalgo ist ein Windpark namens „Piedra Larga“ errichtet worden, seine 114 Windturbinen ragen in kaum 500 Meter Abstand von der Gemeinde in den Himmel.
ist Gründerin und Geschäftsführerin der mexikanischen Menschenrechtsorganisation ProDesc, des „Projekts für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“.
Die Windparks werden als Beitrag zur Energietransformation und als ökonomische Alternative vorgestellt, um die Armut in der Region zu beenden. Tatsächlich wurden sie aber auf sehr fruchtbaren Böden errichtet, was das auf Landwirtschaft und Viehzucht basierende Entwicklungsmodell der zapotekischen Gemeinden zerstörte. Die Windkraftbetreiber behaupten, dass nur 2 Prozent der Gesamtfläche für die Stromgewinnung benötigt werden und die übrigen Flächen anderweitig genutzt werden können.
In Wirklichkeit werden beim Bau dieser Anlagen große Gebiete eingezäunt und bewacht. Zutritt ist nicht mehr erlaubt. Die Windparks verletzten die Menschenrechte der indigenen Bevölkerung, darunter ihr Recht auf Selbstbestimmung. Ebenso wenig wurde beachtet, dass indigene Gemeinschaften laut mexikanischem Recht solchen Vorhaben auf ihrem Land vorab, ungehindert und auf der Grundlage vollständiger Informationen auch über die Umweltfolgen zustimmen müssen.
In Unión Hidalgo haben sich elf Jahre nach dem Bau des ersten Windparks die Versprechen wirtschaftlicher Entwicklung nicht erfüllt. Vielmehr hat sich ein Gefühl der Unsicherheit und der Gewalt entwickelt. Offizielle Daten zeigen, dass 57,6 Prozent der Bevölkerung weiterhin in Armut leben, 35,1 Prozent haben in ihren Häusern keinen Zugang zu grundlegender öffentlicher Versorgung, 37,1 Prozent leben in Ernährungsunsicherheit und 21,4 Prozent haben keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung.
Außerdem hat sich die Gewalt innerhalb der indigenen Bevölkerung verschärft, weil Leute mit einem Interesse am Zustandekommen der Projekte die Gemeinden gespalten und deren sozialen Zusammenhalt zerstört haben. Vertreter der Windkraftbetreiber locken mit Stipendien, Jobs oder Aufträgen, wenn sie ihre Anlagen bauen wollen. Die Unternehmen machen solche Versprechungen in der bewussten Absicht, bestimmte Gruppen in der Region des Isthmus gegeneinander auszuspielen.
Leere Versprechungen
Dabei zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass die Unternehmen ihre Zusagen nicht einhalten, wenn sie die Baugenehmigung erhalten haben. Nachdem die Kommune Unión Hidalgo 2015 erfahren hatte, dass ein neuer Windpark auf ihrem Territorium errichtet werden sollte, suchte sie die Unterstützung von ProDesc, um den Bau dieses Projekts zu verhindern.
Nach monatelangen Recherchen wurde bekannt, dass hinter dem geplanten Windpark eine mexikanische Tochtergesellschaft von Électricité de France (EDF) stand, dem französischen Staatsunternehmen und einem der weltweit größten Energieproduzenten. Dieser große Windpark namens „Gunaa Sicarú“ hätte sich über eine Fläche von mehr als 47 Quadratkilometern erstreckt.
Es wäre das größte Windprojekt in Lateinamerika gewesen und hätte den Ort vollständig mit Windturbinen umgeben. Das Unternehmen informierte die Gemeinde jedoch nicht über alle Einzelheiten und den Umfang des Projekts, geschweige denn über dessen ökologische und soziale Auswirkungen.
Was danach folgte, war ein holpriger, aber auch bislang nie erprobter Ansatz zur Verteidigung der Menschenrechte, bei dem jedes vor mexikanischen und transnationalen Gerichten verfügbare Rechtsmittel eingesetzt wurde, um das Land und Territorium von Unión Hidalgo zu verteidigen. Die Kommune, unterstützt von ProDesc, griff auch auf außergerichtliche Maßnahmen zurück, wie sie die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen vorsehen.
2021 reichte Unión Hidalgo mit Unterstützung von ProDesc und der deutschen Nichtregierungsorganisation ECCHR als erste Gemeinschaft auf dem amerikanischen Kontinent eine Klage in Frankreich ein, die das innovative französische Gesetz zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen einsetzte.
Nach 5 Jahren Rechtsstreit, in denen der Bau des Windparks erfolgreich verhindert wurde, befand die mexikanische Bundeskommission für Elektrizität, dass das Gunaa-Sicarú-Projekt technisch nicht realisierbar sei. Dies ist der erste Sieg für eine Kommune in einem Land, in dem Straflosigkeit die Regel ist, wenn multinationale Unternehmen und Konzerne an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind.
Dieser Erfolg zeigt uns, worüber beim Thema Energiewende noch nachgedacht werden muss: Die bestehenden freiwilligen Mechanismen, Unternehmen für Verletzungen von Menschenrechten verantwortlich zu machen, sind unzureichend. Die wenigen bestehenden gerichtlichen Mechanismen weisen noch große Lücken auf: Wer sind die geeigneten Richter für solche Fälle, wer sollte die Beweislast tragen, wie sollte ein angemessener Umgang von Unternehmen mit Kommunen aussehen.
Menschenrechte statt Profite
Und wie lässt sich das enorme Machtgefälle zwischen multinationalen Unternehmen und sich verteidigenden Kommunen ausgleichen? Dies sind einige der Schlüsselfragen, die vollständig beantwortet werden müssen, um den indigenen Gemeinschaften im Globalen Süden Sicherheit zu geben.
Aktuell diskutiert die Europäische Union eine „Richtlinie zur Due-Diligence-Prüfung der Nachhaltigkeit von Unternehmen“. Ich möchte die europäischen Mitbürger*innen und Nichtregierungsorganisationen in der Region auffordern, auf eine Verordnung zu drängen, die die Menschenrechte und nicht die Profite in den Mittelpunkt der Diskussion stellt.
Die Energiewende darf nicht auf Kosten der Rechte indigener Gruppen und Ethnien gehen. Der Fall Unión Hidalgo zeigt, dass wir beim Kampf gegen den Klimawandel die ausbeuterischen und missbräuchlichen Praktiken der Rohstoffindustrie nicht wiederholen dürfen. Indigene Gemeinschaften leiden seit Jahrhunderten unter Landenteignung, Ausbeutung und Ungleichheit. Sie sind jedoch wichtige Akteure beim Schutz der Erde, und dafür sollten sie geachtet werden.
Wenn indigene Gemeinschaften beim Schutz unseres Planeten von größter Bedeutung sind, dann sollten auch ihre Entwicklungsmodelle im Mittelpunkt stehen. Dabei gibt es viele Themen zu diskutieren: die bessere Absicherung des Grundbesitzes von Frauen in ländlichen Gemeinschaften im Globalen Süden, die Stärkung der überlieferten indigenen Entscheidungsstrukturen, die Förderung kleinteiliger traditioneller Wirtschaftsaktivitäten und die Stärkung der Widerstandsfähigkeit der indigenen Bevölkerung.
Infolgedessen sollten die Europäer Verbündete werden, um diese anderen Vorstellungen von Entwicklung zu fördern, anstatt dem Globalen Süden ihre eigenen Modelle aufzudrängen. Es wäre falsch, den Klimawandel damit zu bekämpfen, dass wir riesige Wind- und Solarparks in indigenen Gemeinschaften im Globalen Süden bauen. Im gegenwärtigen Wirtschaftssystem fließt Geld mit extremer Leichtigkeit über alle Grenzen.
Die Verteidigung von Land, Territorium und natürlichen Ressourcen erfordert heute mehr denn je, dass Gemeinschaften und NGOs aus dem Globalen Norden und dem Globalen Süden zu einer echten transnationalen Zusammenarbeit finden. Diese Kooperationen bieten eine bessere Chance, die Menschenrechte indigener Gemeinschaften zu verteidigen und dadurch weitere Umweltschäden zu vermeiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut