Klimaliste Berlin legt Wahlprogramm vor: Berlin soll ein Donut werden
Die Klimaliste Berlin hat ein radikales Programm für die sozialökologische Transformation vorgelegt. Es orientiert sich an der Donut-Ökonomie.
Gegründet hat sich die Klimaliste Berlin aus Umweltaktivist*innen von der Initiative Klimanotstand Berlin, Fridays-For-Future und aus desillusionierten Parteimitgliedern anderer Parteien. Die mittlerweile von radikal:klima umbenannte Partei tritt zu den Abgeordnetenhauswahlen an und fordert, die in Paris vereinbarten Klimaziele auch in Berlin umzusetzen – also unter anderem, dass sich das globale Klima um nicht mehr als 1,5 Grad erhitzen soll.
Für ihr am Freitag vorgestelltes 300 Seiten dickes Programm haben laut Antonio Rohrßen, einem der Kandidat*innen für die Abgeordnetenhauswahl, 100 Freiwillige mehr als ein Jahr lang gearbeitet und dabei mehr als 100 Gespräche mit Expert*innen für Klimafragen geführt.
Rohrßen sagte bei der Präsentation des Klimaplans: „Der Plan ist noch nicht perfekt. Es ist die Version 1.0. Es ist ein lebendiges Dokument, das fortentwickelt werden soll und Grundlage hoffentlich auch für andere Partei sein könnte.“
Ingwar Perowanowitsch
Ingwar Perowanowitsch, ein weiterer Kandidat der Klimaliste, sagte der taz mit Blick auf die aktuelle rot-rot-grüne Koalition: „Keine Partei hat bisher das Notwendige gefordert. Unser Programm ist der Paris-konforme Pfad. Daran muss sich jede Partei messen lassen, die Klimagerechtigkeit ernst nimmt.“ Man wolle mit dem radikalen Programm auch den Diskurs anstoßen und den Bürger*innen im Wahlkampf Möglichkeiten aufzeigen.
Kurz zusammenfassen könnte man den Klimaplan so: Alle Klimaschutzmaßnahmen müssen schneller gehen und weiter reichen. Strom darf nur noch aus erneuerbaren Energien kommen – bis 2026 soll es in Berlin keine Kohleverstromung mehr geben, Gas soll langfristig auch weg. Das Baugewerbe – mit dem Einsatz von viel Beton einer der klimaschädlichsten Wirtschaftszweige – soll eine Ökobilanz von Nettonull aufweisen und bei Nichteinhaltung Sanktionen ans Land zahlen. Aus diesen Einnahmen will die Klimaliste wiederum energetische Sanierungen fördern.
Gerechtere Verteilung von Wohnraum?
Überhaupt: innerstädtische versiegelte Flächen sollen weniger werden, damit Berlin von der sommerlichen Hitzeinsel zu einer Schwammstadt werden könne – mit mehr Parks und Grünflächen soll mehr wasseraufnahmefähige Infrastruktur geschaffen werden, damit Berlin widerstandsfähiger gegen Wetterextreme wird. Dafür sollen 90 Prozent der an Straßen angrenzenden Parkplätzen bis 2030 umgewidmet werden. Weitere der insgesamt rund 500 Forderungen sind unter anderem: Autofreiheit, Zero-Waste und regionalisierte Wirtschaftskreisläufe.
Gleichzeitig werfen die Forderungen viele Fragen auf: Etwa, dass beim knappen Wohnraum in Berlin Neubau aufgrund der schlechten Klimabilanz „nur die letzte Lösung“ sein könne, wie es auf der Pressekonferenz am Freitag hieß.
Mit einem Anreizsystem soll dafür gesorgt werden, dass Wohnraum gerechter verteilt werde und etwa Menschen, die alleine auf 90 Quadratmeter lebten, ihren Raum eher teilten oder in WGs zögen. Ebenso sollen durch Homeoffice frei werdende Flächen zu Wohnraum werden.
Die Donut-Ökonomie
Eingehalten werden sollen bei diesem Klimaplan im Übrigen soziale Standards, wie es in einer Mitteilung heißt. Dabei soll das sogenannte Donut-Modell der britischen Ökonomin Kate Raworth den Rahmen bilden. Das Wirtschaftsmodell geht sowohl von planetaren Grenzen aus als auch von sozialen, die bei künftigen politischen (Klima-)Maßnahmen einen nicht überschreitbaren Rahmen bilden müssten – und einen Ausweg aus der kapitalistisch-rücksichtslosen Wachstumsökonomie bieten sollen.
Dem Handlungsspielraum für Politik sind damit in Donutform sozialökologische Grenzen gesetzt. Es gibt drei Ebenen: Im Loch der Donuts herrschten menschenunwürdige Unterversorgung mit Ressourcen wie Wohnraum, Bildung, Nahrung oder schlechten Arbeitsbedingungen. Der Außenrand des Donuts steht für die begrenzten planetaren Ressourcen – verschmutzte Meere, Verlust der Artenvielfalt und Klimawandel.
In der Mitte hingegen sei der „Sweet Spot“ oder die Glasur, wo eine Balance von Ökologie, Politik und Wirtschaft herrschen soll. Der so modellhaft entstehende Donut müsse nach innen durch eine soziales Fundament und nach außen durch die begrenzten ökologische Kapazitäten abgegrenzt sein.
Tatsächlich hat Amsterdam als erster Wirtschaftsraum mit dem Modell der von einigen bereits als neue John Maynard Keynes gefeierten Ökonomin ein Konzept zum Umbau der Stadt nach Donut-Prinzipien entwickelt. In Amsterdam sind im Zuge dessen eine Reihe von kreislaufwirtschaflichen Initiativen gestartet, die diese Entwicklung mittragen wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts