Klimakrise und Finanzen: Klimaschutz ist bares Geld
Finanzverwalter müssen nicht im Blindflug agieren, sondern sollten besser in Umweltstandards investieren. Denn Naturrisiken sind auch Finanzrisiken.

D ie Katastrophe bahnt sich massiv an: Die rasche Erderwärmung und die zunehmende Umweltzerstörung bedrohen jeden Sektor der Weltwirtschaft. Viele Anleger wie Hedge-Fonds-Manager machen wie gewohnt weiter, während andere, darunter Verwalter langfristiger Vermögenswerte wie etwa Pensionsfonds und Staatsfonds, erkannt haben, dass Natur- und Klimarisiken alle Facetten der Weltwirtschaft beeinflussen werden.
Auch wenn sich viele Aktionäre und CEOs weiterhin auf die Quartalsergebnisse konzentrieren, haben die Verwalter langfristiger Vermögenswerte damit begonnen, Unternehmen auf Naturkapitalrisiken hin zu untersuchen, um Umweltschocks zu antizipieren, die den langfristigen Wert ihrer Vermögenswerte verringern könnten. So prüft der norwegische Staatsfonds, der Vermögenswerte in Höhe von 1,7 Billionen Dollar verwaltet, inzwischen 96 Prozent seines Portfolios auf derartige Risiken. Dabei handelt es sich nicht um eine interne Verfeinerung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Zusagen, sondern um eine bedeutende institutionelle Veränderung.
Norwegen ist nicht allein. Vor Kurzem hat der staatliche finnische Pensionsfonds begonnen, Möglichkeiten zur Kalkulation naturbedingter finanzieller Risiken im Zusammenhang mit langfristigen Pensionsverpflichtungen zu untersuchen. Auch das Finanzunternehmen Temasek Holdings in Singapur setzt inzwischen Biodiversitätsdaten ein, um Risiken und Chancen im Zusammenhang mit Naturkatastrophen zu bewerten.
In einer Zeit, in der Zusagen zum Umweltschutz zu einem Streitpunkt politischer und kultureller Auseinandersetzungen geworden sind, besteht kein Zweifel daran, dass diese Maßnahmen nicht durch politischen Druck oder gesellschaftliche Trends, sondern durch Pragmatismus motiviert sind. Schon jetzt führen extreme Wetterereignisse, der Verlust biologischer Vielfalt, Wasserstress und Ressourcenknappheit zu wirtschaftlichen Verwerfungen, von denen Länder mit niedrigem Einkommen besonders hart betroffen sind.
2022 sorgten Überschwemmungen in Pakistan für Verwüstungen in der Landwirtschaft, in der 40 Prozent der Arbeitskräfte des Landes beschäftigt sind. Lebensmittelpreise schnellten in die Höhe, das Land geriet an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. In Indonesien führte die Palmölproduktion dazu, dass 2022 ein vorübergehendes Exportverbot verhängt wurde – weil durch die Palmölproduktion Wälder abgeholzt und Torfmoore zerstört wurden. In Brasilien und Äthiopien führten steigende Temperaturen und unregelmäßige Regenfälle zu einem Rückgang der Kaffee-Ernten, der wiederum die Weltmarktpreise in die Höhe trieb und die landwirtschaftlichen Einkommen sowie die Exporteinnahmen schmälerte.
Auch Länder mit hohem Einkommen sind gegen diese Risiken nicht immun. In den USA sorgen Dürren für Ernteeinbußen von Arkansas bis Oklahoma, Immobilienversicherer sehen sich aufgrund klimabedingter Katastrophen wie Wirbelstürme und Waldbrände veranlasst, ihre Prämien zu erhöhen, den Versicherungsschutz zu reduzieren und sich aus Hochrisikogebieten ganz zurückzuziehen. In Europa beeinträchtigen naturbedingte Risiken die Olivenölproduktion in Italien und Griechenland, den Weinanbau in Frankreich, Italien und Spanien, die Holzwirtschaft in Mittel- und Nordeuropa, die Fischerei im Mittelmeer und den Schiffsverkehr auf Rhein und Donau.

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Dennoch werden diese Risiken in den Finanzmodellen nicht angemessen eingepreist. Das liegt zum Teil daran, dass die Daten zum Naturkapital im Gegensatz zu jenen über Treibhausgasemissionen nach wie vor fragmentiert, uneinheitlich und schwer zugänglich sind. Die Risiken sind komplex, es gibt keine Mess- oder Berichtsstandards. Infolgedessen fehlen den meisten Banken die notwendigen Informationen, insbesondere standortspezifische Daten, um die Umweltabhängigkeit der Kreditnehmer zu bewerten.
Doch es entstehen neue hilfreiche Instrumente, diese Lücken zu schließen. Das kostenlose Onlinetool „Exploring Natural Capital Opportunities, Risks and Exposure“ etwa hilft Finanzinstitutionen, naturbezogene Risiken zu erkennen, die sich in Kreditvergabe, Underwriting und Investitionen in risikoreichen Branchen ergeben. Darüber hinaus hat die Taskforce on Nature-related Financial Disclosures eine Reihe von Empfehlungen und Leitlinien ausgearbeitet, die Unternehmen und Finanzinstitutionen unterstützen sollen, Natur und Katastrophen in ihre Entscheidungen einzubeziehen. Einige Zentralbanken haben Szenarien entwickelt, um Auswirkungen von klima- und naturbezogenen Risiken auf Wirtschaft und Finanzsystem abzuschätzen. Es gibt also Mittel, Maßnahmen zu ergreifen, Investoren sind nicht gezwungen, im Blindflug zu agieren.
Hier geht es nicht mehr nur um eine Frage des Bewusstseins. Angesichts der Tatsache, dass Investoren bereits mit den finanziellen Folgen ökologischer Instabilität konfrontiert sind – von gestrandeten landwirtschaftlichen Vermögenswerten bis hin zur Verschlechterung der Kreditwürdigkeit klimaanfälliger Volkswirtschaften –, besteht kein Zweifel daran, dass Naturrisiken auch Finanzrisiken sind. Zentralbanken und Institutionen wie der Internationale Währungsfonds haben nun die Pflicht, diese Erkenntnis in all ihre Aktivitäten zu integrieren – bevor der nächste vermeidbare Schock eintritt. An der Spitze werden Institutionen stehen, die bereit sind, das alte Denken hinter sich zu lassen, Naturstandards mitzudenken und nicht nur in Märkte zu investieren, sondern auch in Systeme, die diese Märkte tragen.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier.
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