Klimakonferenz in Bonn: Eine langsame Gradwanderung
195 UN-Länder diskutieren die Zukunft des Klimaschutzes: Das 1,5-Grad-Ziel ist kaum zu erreichen, wenn nicht sofort gehandelt wird.
Vor allem gilt das für das zentrale Ziel von Paris: Den Klimawandel bis 2100 auf „deutlich unter 2 Grad Celsius“ zu begrenzen und „Anstrengungen zu unternehmen“, 1,5 Grad zu erreichen. Für die vielen anderen Ziele – 100 Milliarden Dollar jährlich für arme Länder, technische Hilfe, Ausbau der Erneuerbaren – gibt es Arbeitsaufträge für die nächsten Jahre. Aber die 1,5-Grad-Grenze, von der alle reden, „ist eigentlich nicht umzusetzen, das wissen auch alle“, so ein Verhandler, der lieber anonym bleiben will.
„Die Wissenschaft sagt uns, dass das sehr schwierig wird“, meint auch Tosi Mpanu Mpanu aus der Demokratischen Republik Kongo und Vorsitzender der Ländergruppe der am wenigsten entwickelten Staaten (LDC). Vor allem diese Länder hatten zusammen mit den Umweltgruppen in Paris auf „One point Five“ gedrängt – ohne diese Zahl wäre das Abkommen wohl so gescheitert wie Kopenhagen 2009.
Die Politiker, die sich in Paris vor den Kameras für die 1,5 Grad feiern ließen, sind nicht in Bonn. Statt 3.500 Journalisten sind nicht einmal 100 angereist. Und die Verhandler müssen zusehen, wie sie die 1,5 Grad jetzt irgendwie umsetzen.
Eigentlich unmöglich
Die Aufgabe ist so gut wie unmöglich. Beim jetzigen Verbrauch ist „unser Budget an Kohlenstoff für 1,5 Grad in weniger als zehn Jahren aufgebraucht“, sagt der Klimaökonom Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Bill Hare, Experte von „Climate Analytics“, hat errechnet, dass sich die Emissionskurve „so schnell wie möglich, aber auf jeden Fall in den nächsten Jahren“ abflachen muss, wenn das Ziel noch politisch möglich sein soll. Da ist schon eingerechnet, dass ab 2050 über „negative Emissionen“ der Kohlenstoff wieder aus der Luft gefiltert werden muss: Die Hälfte könnte der weltweite Wald liefern – „aber dann muss die Entwaldung gestoppt werden“, so Hare. Die andere Hälfte müsste aus der Industrie abgeschieden und irgendwo gespeichert werden – sehr umstritten bei Umweltschützern.
So eng dieser Zeitplan der Wissenschaftler ist, so langsam sind die Verhandlungen: 2018 soll der UN-Klimarat einen Bericht dazu vorlegen, was das 1,5-Grad-Ziel bedeutet. Im selben Jahr wollen die Staaten das erste Mal über die Klimapläne reden, die sie in Paris vorgelegt haben – und die umgesetzt die Welt bis 2100 auf fast 3 Grad aufheizen würden. Und wirklich ernst soll es mit schärferen Plänen erst 2023 werden – da wären dann endgültig die zehn Jahre um und das 1,5-Grad-Ziel außer Reichweite.
In Bonn kennt jede Delegierte und jeder Verhandler diese Zahlen. Einen Ausweg hat niemand. Auch nicht die Umweltgruppen, die hier NGOs (Non-Governmental Organisations) heißen. Sie sitzen immer wieder auf der Bühne des kleinen Pressesaals „Nairobi III“ unter dem himmelblauen Slogan „We’re accelrating climate action“. Ihre Ideen: schnelles Ende der Klimakiller-Chemikalie HFC, Obergrenzen auch für Flugzeuge und Schiffe, ein Ende der Kohle in den G-7-Ländern.
Auch NGOs fehlt echter Plan
Aber: „Auch wir NGOs haben keinen echten Plan, wie wir zu 1,5 Grad kommen können“, sagt Manfred Treber für das Climate Action Network. „Alle Wege, die bislang dafür diskutiert werden, sind sehr umstritten.“ Damit meint er vor allem BECCS, die Verbrennung von Biomasse und Speicherung des daraus folgenden CO2 – es würde die umstrittene unterirdische Lagerung bedeuten und möglicherweise weltweit die Wälder bedrohen.
Die Klimaverhandlungen rutschen in eine absurde Situation: Sie streben offiziell und mit riesigem weltweiten diplomatischen Aufwand ein Ziel an – 1,5 Grad – , für das sie viel zu langsam sind. Es bleibt die Hoffnung, dass die Welt sich schneller verändert, und es gibt optimistische Signale: Der weltweite Ausstoß von CO2 ist in den letzten Jahren nicht gestiegen, die Investoren ziehen sich aus der Kohle zurück und stecken ihr Geld in regenerative Energie aus Wind und Sonne.
„Wir müssten sofort anfangen, noch ist Zeit,“ sagt Bill Hare. Man könne auf erprobte Techniken setzen: „Stromversorgung ohne Kohle, höhere Effizienz bei Industrie und Haushalten, Umstellung auf Strom im Verkehr.“
Aber es gibt jenseits des futuristischen Glaspalasts am Bonner Rheinufer eben auch andere Tendenzen: Die globalen Temperaturen klettern schnell, 2016 könnte bereits 1,3 Grad Celsius wärmer sein als der historische Durchschnitt – und wenn die Kohle nur billig genug wird, könnten Investoren sie in Ländern wie Vietnam und Türkei weiter ausbauen.
In Bonn präsentierte sich auch die neue UN-Klimachefin Patricia Espinosa. Ihr Credo für den Erfolg zeigt, wie wichtig die externen Einflüsse sind: „Die Regierungen schaffen es nicht allein.“
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