Klimaklage beim Verfassungsgericht: Richtige Zeit, falscher Ort
Umweltverbände und junge Menschen legen Verfassungsbeschwerde gegen das Klimapaket ein. Doch Karlsruhe ist der falsche Ort für mutige Klimapolitik.
F ür Umweltverbände und die betroffenen jungen Menschen ist der „Gang nach Karlsruhe“ nur logisch. Das Bundesverfassungsgericht ist ihre letzte Hoffnung, dass der Klimaschutz und ihre Zukunft endlich ernst genommen werden. Denn auch nach zwei Hitzesommern, nach wöchentlichem Protest und Großdemonstrationen, nach Warnungen der Wissenschaft und Wahlen, die das Klima zum Thema hatten, steht eine Enttäuschung: ein Gesetz, das zwar ein Fortschritt ist, aber weit hinter dem Nötigen zurückbleibt.
Wie weit, das zeigt der Blick auf den Kalender: Vor einem Jahr legte die „Kohlekommission“ der Regierung ihren Plan zu Ausstieg und Strukturhilfen vor. Und am Mittwoch traf man sich mal wieder, um über Details zu reden, wo und warum es beim Kohleausstieg hakt.
Da ist der Ruf nach dem Über-Gesetzgeber in Karlsruhe verständlich. Aber daraus wird nichts werden. Das Verfassungsgericht ist zu Recht sehr vorsichtig, wenn es darum geht, der Regierung eine bessere Politik vorzuschreiben. Auch und gerade beim Klimaschutz werden sich die Richter kaum zu konkreten Fragen von CO2-Budget und Tempolimit äußern. Der Bundestag kann immer darauf verweisen, dass es ja nun ein Gesetz gibt, so unzureichend dieses auch sein mag.
Karlsruhe ist der falsche Ort für eine effektive Klimapolitik. Denn das Verfassungsgericht ist dazu verpflichtet, den gesellschaftlichen Ausgleich zu strittigen Fragen zu finden und die Grundrechte aller Beteiligten auszutarieren. Es konserviert damit im besten Sinne des Status quo.
Neue Ideen finden sich nicht im Gerichtssaal
Nichts aber braucht es weniger in der Klimapolitik, wo selbst Angela Merkel in seltener Offenheit von „Disruption“ spricht. Um der Klimakrise ernsthaft etwas entgegenzusetzen, ist ein grundsätzlich neues Denken und Handeln gefordert: ein radikal anderes System von Energie, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft. Neue Ideen, die alte Industrien überflüssig machen, das bedeutet Konflikt, Reibung, Streit. Da braucht es mutige Politik, Wirtschaft und Forschung, die sich auf Mehrheiten stützen können. All das findet sich aber nicht im Gerichtssaal, sondern auf den Straßen, in den Schulen, Betrieben und den Parlamenten, wo der Protest ja auch herkommt.
So schön das vielleicht wäre: Wer die Zukunft will, kann keine Abkürzung über Karlsruhe nehmen. In der Klimapolitik gibt es keine Alternative zur Klimapolitik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball